TV-Duell Johnson gegen Hunt:"Es erinnert an Wladimir Putin"

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Im TV-Duell treten Johnson (li.) und Hunt gegeneinander an. (Foto: Reuters; Bearbeitung SZ)

Der Meinungsforscher Chris Curtis erklärt vor dem TV-Duell in Großbritannien, wieso Boris Johnson so viel beliebter ist als Außenminister Jeremy Hunt, sein Parteifreund und Rivale für den Posten des Premiers.

Interview von Björn Finke, London

Es ist das erste Fernsehduell in diesem Wahlkampf: Am Dienstagabend überträgt der britische Privatsender ITV die Debatte zwischen Boris Johnson und Jeremy Hunt. Jeder der beiden konservativen Politiker will der nächste Premierminister Großbritanniens werden.

Die 180 000 Mitglieder der Konservativen Partei bestimmen per Briefwahl bis 22. Juli, wer Theresa May als Partei- und Regierungschefin ablöst; der Sieger wird am Tag darauf bekannt gegeben. In Umfragen liegt Brexit-Vorkämpfer Johnson weit in Führung. Warum das so ist, erklärt Chris Curtis vom britischen Meinungsforschungsinstitut Yougov.

SZ.de: Herr Curtis, wie wichtig ist die Fernsehdebatte heute Abend?

Chris Curtis: So eine Debatte kann einen Unterschied machen und die Umfragewerte von Politikern ändern. Das zeigen die Erfahrungen vergangener Wahlkämpfe. Allerdings ist es diesmal weniger wahrscheinlich, dass die Debatte großen Einfluss auf das Wahlergebnis hat.

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In einem Interview mit der BBC erklärt der Favorit um den Parteivorsitz der Konservativen den Brexit-Deal für tot. Gleichzeitig gesteht er ein, dass es eine Form der geregelten Zusammenarbeit mit der EU geben muss.

Wieso?

Zum einen hat die Konservative Partei die Briefwahl-Unterlagen bereits vergangene Woche verschickt. Viele Mitglieder werden schon am Wochenende Johnson oder Hunt angekreuzt und die Stimmzettel abgeschickt haben. Zum anderen ist der Vorsprung Johnsons in Umfragen einfach sehr groß.

Wie haben sich die Umfragewerte im Laufe der Kampagne geändert?

Wir haben am Anfang der Kampagne die Parteimitglieder gefragt, ob sie Johnson oder Hunt wählen wollen. Unter denen, die sich schon entschieden hatten, unterstützten 74 Prozent Johnson, 26 Prozent Hunt. Das ist ein Abstand von 48 Prozentpunkten. Das ist massiv und sehr ungewöhnlich für solche Wahlkämpfe. Es erinnert an Wladimir Putin und dessen Ergebnis bei der letzten Präsidentenwahl in Russland.

Chris Curtis vom britischen Meinungsforschungsinstitut Yougov (Foto: privat; Bearbeitung SZ)

Vergangene Woche haben wir eine zweite Umfrage gemacht: Der Abstand von 48 Prozentpunkten ist unverändert. Es ist sehr schwierig für Hunt, das noch zu drehen.

Wieso ist Johnson unter Parteimitgliedern jetzt so populär? Früher galt er vielen als Hallodri ...

Das stimmt. Im Sommer 2016, als es um die Nachfolge von David Cameron als Premierminister ging, haben wir in einer Umfrage ermittelt, ob die Mitglieder lieber Theresa May oder Boris Johnson als Partei- und Regierungschef sehen wollen. May gewann mit 59 zu 41 Prozent. Johnson trat ja dann gar nicht an. Im vergangenen Sommer, kurz vor seinem Rücktritt als Außenminister, sagten uns 48 Prozent der Mitglieder, dass er ein schlechter Premier wäre, 47 Prozent meinten, er wäre ein guter.

Und warum ist er nun so beliebt?

Der Umschwung ist bemerkenswert. Die Parteibasis unterstützt ihn nicht wegen seines Charakters oder wegen anderer politischer Ideen, sondern wegen des Themas Brexit. Die allermeisten Mitglieder wollen, dass Großbritannien die EU bis 31. Oktober verlässt, und wenn es sein muss, auch ohne gültigen Austrittsvertrag. Und sie glauben, dass Johnson derjenige Kandidat ist, der ihnen diesen Wunsch erfüllen wird. In dem einen Jahr, das seit seinem Rücktritt als Außenminister vergangen ist, hat Johnson diesen Ruf erfolgreich zementiert.

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Boris Johnson oder Jeremy Hunt? Der eine redet wirres Zeug über den Brexit, die Liste seiner Blamagen ist lang. Der andere gilt als langweilig. Heute fällt die Entscheidung.

Von Cathrin Kahlweit

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Trotzdem geben Mitglieder in Umfragen an, dass sie bei dem Thema Hunt deutlich weniger vertrauen. Anders als Johnson ist er nicht als Minister zurückgetreten wegen des Brexit-Kurses. Zudem war Johnson vor dem EU-Referendum das Gesicht der Brexit-Kampagne, er debattierte im Fernsehen.

Die große Mehrheit der Parteimitglieder hat für den Austritt gestimmt, und unter diesen Mitgliedern liegt Johnson bei Umfragen weit vor Hunt. Hunt liegt nur bei jenen Mitgliedern vorne, die im Referendum für den Verbleib gestimmt haben. Und das sind nicht viele.

Glauben die Mitglieder denn wirklich, dass ein Premier Johnson einen besseren Austrittsvertrag mit der EU aushandeln kann als Theresa May?

Sie sind nicht unbedingt davon überzeugt, dass Johnson einen besseren Deal aus Brüssel heimbringt, aber die meisten sind davon überzeugt, dass Großbritannien unter Johnson die EU bis Ende Oktober verlässt, ob mit Deal oder ohne.

Offenbar dreht sich bei diesem Wahlkampf alles um den Brexit. Trotzdem vergeht kein Tag, ohne dass Johnson oder Hunt kostspielige Versprechen zu anderen Politikbereichen abgeben: mehr Polizisten, niedrigere Steuern, mehr Geld für Schulen. Warum sparen sich die beiden nicht die Mühe?

Wenn sie zu solchen Politikfeldern von sich aus nichts sagen würden, würden Journalisten danach fragen. Und Johnson hat nichts zu gewinnen, wenn er über den Brexit spricht. Bei diesem Thema liegt er ohnehin weit vor Hunt, er kann nur verlieren. Also redet er lieber über anderes und weniger über den Brexit.

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