Großbritannien:Es könnte schmutzig werden

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Im Visier des konservativen Autors Michael Ashcroft: Labour-Vizechefin Angela Rayner. (Foto: Eddie Keogh/Getty Images)

Hat Labour-Vize Angela Rayner bei der Steuer geschummelt? Wenn überhaupt, geht es um einen geringen Betrag - Grund genug für eine harte Attacke von interessierter Seite.

Von Michael Neudecker, London

Zu Lord Ashcroft ist zunächst zu sagen, dass er im Vereinigten Königreich einen gewissen Ruf erworben hat, seit er über David Cameron und das Schwein schrieb. In der unautorisierten Biografie "Call me Dave" beschrieb Ashcroft vor neun Jahren, wie der ehemalige britische Premierminister während Studienzeiten angeblich in ein unsittliches Ritual involviert gewesen sein soll, in dem "ein privater Teil seines Körpers" sowie der Kopf eines toten Schweins eine Rolle gespielt haben sollen. Cameron weigerte sich damals, die "Piggate" genannte Angelegenheit überhaupt zu kommentieren, aber Lord Ashcroft hat seitdem die Aufmerksamkeit der Nation sicher, wenn er unautorisierte Politiker-Biografien veröffentlicht.

Mitte März erschien Ashcrofts neuestes Werk, "The Red Queen?", die rote Königin, eine unautorisierte Biografie von Angela Rayner, der rothaarigen Labour-Vize-Chefin. Es mangelt dem Buch zwar an Schweinsköpfen, nicht aber an Anekdoten mit Aufregerpotenzial. Eine davon beschäftigt seit Wochen die britischen Medien. Für die Briten, und vor allem für Rayner und die Labour-Partei ist die Sache gleichzeitig der erste Vorgeschmack auf die nächsten Monate, den bevorstehenden, womöglich schmutzigen Wahlkampf.

Im Kern geht es um die Frage, ob Angela Rayner Steuerschulden übersehen oder gar bewusst nicht beglichen hat, und an welcher Adresse sie während ihrer Ehe mit Mark Rayner lebte. Die Geschichte ist nicht ganz unkompliziert, die Details sind aber wichtig, um die politische Fallhöhe zwischen Fakt und Vorwurf zu verstehen.

Wo wohnte Rayner beim Verkauf ihres Hauses?

Es begann damit, dass Rayner in einer von staatlicher Sozialhilfe unterstützten Arbeiterfamilie aufwuchs und 2007 das ihrer Familie für eine geringe Miete zur Verfügung gestellte Haus im Raum Manchester kaufte. Das ist in Großbritannien ein durchaus üblicher Vorgang, wenn sich die Einkommensverhältnisse der unterstützten Personen ändern, das Recht auf Hausbesitz ist ein tief in der britischen Seele verankerter Wert. Rayner, die damals noch Angela Bowen hieß und alleinerziehende Mutter eines Sohnes war, bezahlte 79 000 Pfund für das Haus, zu der Zeit arbeitete sie als Sozialarbeiterin und war ein hochrangiges Gewerkschaftsmitglied. 2010 heiratete sie den Gewerkschaftler Mark Rayner, das Paar bekam zwei weitere Söhne. Mark Rayner besaß ebenfalls ein Haus, und von diesem Punkt in der Geschichte an beginnt das britische Steuerrecht eine Rolle zu spielen.

Wer in Großbritannien ein Haus kauft und wieder verkauft, muss den erzielten Gewinn versteuern - es sei denn, es besteht eine Ausnahme. Bei verheirateten Partnern, die mehrere Immobilien besitzen, kann der Steuerbehörde ein Hauptwohnsitz gemeldet werden, das ist dann die Immobilie, die bei einem Verkauf von der Steuer ausgenommen würde. Rayner verkaufte 2015 ihr Haus für 127 500 Pfund, das ergäbe einen zu versteuernden Gewinn von 48 500 Pfund, allerdings bezahlte sie damals keine Steuer. Der Vorwurf, den Ashcroft nun formulierte und den die britischen Medien und diverse Steuerexperten seit Wochen durchkauen, lautet: Rayner und ihr Mann wohnten überwiegend in seinem Haus, sodass sie eine Steuer auf den Verkauf ihres Hauses hätte zahlen müssen. Nach Schätzungen geht es um eine Summe zwischen 1500 und 3500 Pfund, also etwas mehr als 4000 Euro, höchstens.

Rayner beteuert, sie habe keinen Fehler begangen. Möglicherweise, legte der anerkannte Steuerexperte Dan Neidle dar, habe sie so viel an Renovierungen investiert, dass kein zu versteuernder Gewinn mehr übrig gewesen sei. Auf die Forderung diverser Tories, sie möge ihre Steuererklärung offenlegen, antwortete Rayner trotzig: Sie tue das gerne, aber nur, wenn auch diejenigen, die das verlangten, ihre veröffentlichten.

Niemand bezweifelt, dass die Vorwürfe politisch motiviert sind

Tory-nahe Blätter wie die Daily Mail erschienen zuletzt nahezu täglich mit fast absurd anmutenden Titelschlagzeilen ("Rayner hält dich zum Narren, Keir!", gemeint ist Labour-Chef Keir Starmer). Dass hinter der Sache eine politische Motivation steckt, bezweifelt ohnehin niemand. Am 2. Mai finden im Königreich die Lokalwahlen statt, bei denen den Tories ein desaströses Ergebnis vorhergesagt wird. Gewählt werden mehrere Bürgermeister, darunter in London, sowie viele Gemeinderäte im ganzen Land, und laut den Umfragen könnten zahlreiche Tories ihre Posten verlieren.

Außerdem ist Michael Ashcroft nicht nur Autor unautorisierter Bücher, sondern war einst stellvertretender Fraktionschef der Tories und saß als Tory-Lord jahrelang im Oberhaus. Bis er, Ironie der Geschichte, 2015 zurücktreten musste, wegen Unstimmigkeiten in seinem Steuerstatus. Ashcroft ist Milliardär und gilt als einer der reichsten 150 Briten, in den vergangenen Jahren spendete er mehrere Hunderttausend Pfund an die Konservativen.

Rayners Kommunikationsstrategie, darauf zu beharren, dass sie richtig gehandelt habe, und zu versuchen, die Vorwürfe zurück auf die Tories zu werfen, könnte ungünstige Folgen für ihren Chef Starmer und ihre Partei haben. Die Polizei in Greater Manchester gab am Wochenende bekannt, Ermittlungen aufzunehmen, und zwar auf Hinweis eines Tory-Abgeordneten. Für die Polizei ist jedoch nicht die Steuerfrage relevant, juristisch betrachtet wäre die selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Vergehens verjährt. Sondern die Adressfrage: Sollte Rayner tatsächlich in den Jahren, bevor sie selbst zur Abgeordneten gewählt wurde, überwiegend im Haus ihres damaligen Mannes gewohnt haben und nicht, wie sie im Wahlregister angegeben hatte, in ihrem eigenen Haus, dann wäre das ein Verstoß gegen das Gesetz.

Rayner sagte, sie würde in dem Fall selbstverständlich zurücktreten. Am Montag fand ein Treffen der Polizei statt, bei dem das weitere Vorgehen besprochen werden sollte. Zu erwarten ist eine länger andauernde Untersuchung, quälend lange - oder erfreulich lange, je nach Perspektive.

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