Tory-Parteitag:Details für einen neuen Brexit-Deal

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Der britische Premier Boris Johnson beim Tory-Parteitag in Manchester (Foto: Frank Augstein/dpa)
  • Premierminister Boris Johnson hält an diesem Mittwoch beim Tory-Parteitag in Manchester seine Abschlussrede.
  • Am Dienstagmorgen hatte er versichert, er werde nach seiner Rede ein in Brüssel sehnsüchtig erwartetes Papier losschicken.
  • In ihm will London im Detail darlegen, wie genau man sich den neuen Deal vorstellt, der den Backstop beseitigt, aber gleichzeitig den Frieden auf der Insel wahrt.

Von Cathrin Kahlweit, Manchester, und Matthias Kolb, Brüssel, Manchester/Brüssel

Der Tory-Parteitag läuft zwar noch, aber die Delegierten sind in Schlussspurt-Laune und haben ihre Rückfahrtickets aus dem verregneten Manchester nach Hause längst gekauft. Ein paar Minister haben einige - dem aufziehenden Wahlkampf geschuldete - teure Ankündigungen wie 40 neue Krankenhäuser, eine Erhöhung des Mindestlohns und viele schöne, neue Straßen gemacht.

Aber eigentlich warten alle nur auf den Chef und seine Show: An diesem Mittwoch hält Premierminister Boris Johnson seine Abschlussrede, und es wäre eine große Überraschung, würde sie sich nicht sehr laut und sehr emotional um das Motto ranken: "Get Brexit done". Oder besser: "We get Brexit done." Denn die Opposition, das wiederholt Johnson oft und gern, wolle ja den Brexit verhindern.

Am Dienstagmorgen hatte Johnson in mehreren Interviews versichert, er werde in den kommenden Tagen, vielleicht schon direkt nach seiner Rede in Manchester, jenes in Brüssel so sehnsüchtig erwartete Papier losschicken. In ihm soll London im Detail darlegen, wie genau man sich den neuen Deal vorstellt, der den Backstop beseitigt, die Auffanglösung für Nordirland, aber gleichzeitig den Frieden auf der Insel wahrt.

Dargelegt werden soll auch, ob der Deal, den Johnson offiziell so dringend wünscht, ansonsten dem längst ausverhandelten Austrittsabkommen gleichen soll, das Theresa May mit Brüssel besprochen hatte. Wahrscheinlich ist das nicht, denn auf dem Parteitag hatten mehrere Kabinettsmitglieder deutlich gemacht, dass viele von Mays Kompromissen nicht mehr gelten sollen. Nach der Veröffentlichung des finalen Angebots will der Premier am Wochenende in Europas Hauptstädten für den Vorschlag werben.

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Der irische Vize-Premier twitterte, das Modell sei ein "Non-Starter"

Was Johnson allerdings bei seiner Rundtour durch die TV- und Radiostudios in Manchester strikt negierte, sind Details aus dem britischen Vorschlag, die in der Nacht zum Dienstag ihren Weg in die Presse gefunden hatten. Der irische Sender RTE berichtet, London wolle den ursprünglich versprochenen "frictionless trade", also den kontrollfreien, ungehinderten Handel über die innerirische Grenze hinweg, durch einen System aus grenzfernen Kontrollen ersetzen.

RTE zufolge sollen die Zollstationen zwischen fünf und zehn Kilometer entfernt von der EU-Außengrenze zwischen Nordirland und der Republik liegen. Händler sollen am Ursprungsort oder an den Kontrollstationen ihre Waren kontrollieren lassen, die Transporte würden dann per GPS bis zum Ankunftsort verfolgt. Nur für Nahrungsmittel, Landwirtschaftsprodukte und Vieh soll es eine Art Zollunion geben. Der irische Vizepremier Simon Coveney twitterte prompt, dieses Modell sei ein "Non-Starter".

Johnson behauptet nun, diese Vorschläge seien veraltet, er werde vielmehr etwas völlig Neues vorlegen. Allerdings sind seine Möglichkeiten beschränkt, in einem BBC-Interview sagte er, Kontrollen würden "absolut minimal" sein und keine neue Infrastruktur notwendig machen. Die Hardliner in der eigenen Partei, die Mays Deal niedergestimmt hatten, haben zwar angedeutet, sie könnten Johnson unterstützen, wenn er einen Deal nach Hause bringe, der Kontrollen in Irland zulässt, aber den Backstop abschafft. Gleichwohl werde man die Schlussrechnung von 39 Milliarden Pfund nicht zahlen. Die nordirische DUP signalisiert, man stimme zu, wenn Johnson ein Zeitlimit für den Backstop aushandeln könne - eine Lösung, die Brüssel ablehnt.

Johnson räumte in Manchester ein, ihm sei bewusst, dass eine Einigung bald gefunden werden müsse. Er sei nach wie vor "vorsichtig optimistisch". Und die EU-27? Prognosen gibt in Brüssel schon lange keiner mehr ab, an die Daueraufregung auf der Insel hat man sich gewöhnt.

"Die Kamikaze-Art, mit der die britische Regierung an das Thema herangeht, haben wir uns nicht ausgesucht", seufzt ein hoher EU-Diplomat und versichert, alles zu tun, um einen No-Deal zu verhindern. Den Vorwurf, für den Leak an RTE verantwortlich zu sein, weist die EU-Kommission zurück. Es liege in der Verantwortung Londons, ein Konzept vorzuschlagen, das alle Ziele des Backstops erfülle, so eine Sprecherin.

Mit dem Ende des Parteitags öffnet sich ein Zeitfenster. Im Umfeld von Chefunterhändler Michel Barnier geht man davon aus, dass Londons Vorschlag "möglicherweise schon am Mittwoch" eintreffe. Das Papier werde geprüft und mit der Gegenseite beraten. Dann informiere man die Mitgliedstaaten und das Europaparlament. Für die EU-27 bleibt die zentrale Unsicherheit bestehen: Kann der Premier eine Mehrheit im Unterhaus organisieren?

Der EU-Gipfel findet am 17./18. Oktober statt

Sollte Johnson das glauben, so EU-Diplomaten, dürfte er Brüssels Position entgegenkommen, damit ein Deal zum 31. Oktober steht. Ein anderes Szenario geht von einer harten Linie Johnsons aus; dann würde Brüssel kaum Kompromissbereitschaft zeigen und abwarten, ob sich Johnson an die Vorgabe des Unterhauses hält, eine Verschiebung des Austritts zu beantragen, um den Chaos-Brexit zu vermeiden.

Die Zeit drängt: Der EU-Gipfel beginnt am 17. Oktober, doch ein nächtliches Ringen zwischen Johnson und Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie den 25 anderen Regierungschefs soll es nicht geben. Knapp zwei Wochen bleiben Zeit, um vor dem Europaminister-Rat am 15. Oktober ein Ergebnis zu erzielen. Die Sorge, dass durch Mini-Deals die Einheit der EU-27 untergraben und Irland "unter den Bus" geworfen werde, weisen Diplomaten zurück: "Die EU hat als Friedensprojekt begonnen, das werden wir nicht gefährden."

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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