Für Nigel Farage ist es ein Festtag. "Dies ist der Anfang vom Ende Großbritanniens als Teil von Europa", schrieb der Vorsitzende der UK Independence Party (UKIP) bei Twitter. Das oberste Ziel der UKIP ist der Austritt aus der Europäischen Union. Diesem Ziel ist Farage nähergekommen, nachdem der britischen Premier David Cameron sich beim Euro-Krisengipfel in Brüssel gegen eine Änderung der EU-Verträge gestellt hat.
David allein in Europa: Nachdem Ungarns Premier Orban die Fronten gewechselt hat, steht Großbritanniens Premier Cameron in der Europäischen Union isoliert da.
(Foto: AFP)Nun soll ein neuer Vertrag die Gemeinschaftswährung aus der Krise führen. Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy heftig beworbenen Fiskalunion schlossen sich aber nicht nur die 17 Euro-Länder an. Zunächst war von einem Vertrag der 17 plus 6 die Rede. Die sechs, das waren: Dänemark, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Polen und Lettland.
Damit standen die Briten bereits ziemlich alleine da. Schweden und Tschechien erklärten, die nationalen Parlamente befragen zu müssen. Nur Ungarn stellte sich vehement an die Seite von David Cameron. Der betonte in Brüssel bis spät in die Nacht immer wieder, sein Land brauche Sicherheiten, andernfalls könne es nicht zustimmen. Um 6:20 Uhr am Freitagmorgen verkündete er schließlich: "Wenn wir keine Schutzklauseln bekommen, ist es besser, draußen zu bleiben". Das sei eine "harte, aber gute Entscheidung."
"Das ist Schwäche, nicht Stärke"
Während Euroskeptiker wie Farage sich freuten, zeigten sich andere Briten weniger amused. Während Frankreich und Deutschland den Rest der EU in den "Kern der Macht" geführt hätten, sei Großbritannien als Teil einer "rump group" zurückgeblieben, schreibt die konservative Zeitung The Times. Frei übersetzt heißt "rump group": "Hinterteil-Gruppe".
Der frühere sozialdemokratische Außenminister David Miliband benutzte bei Twitter ein anderes Bild: "Das Vereinigte Königreich ist mit Ungarn in ein Ruderboot neben dem 25-Nationen-Supertanker gesprungen. Das ist Schwäche, nicht Stärke."
Selbst das Boulevardblatt The Sun schloss sich dieser Bewertung an - von der reißerischen Zeile "Cameron zerstört Sarkozy bei Vertragskrach" einmal abgesehen. Großbritannien sei nun isoliert und laufe Gefahr, bei wichtigen Entscheidungen außen vor zu bleiben.
Von den vier Ländern, die in der Nacht noch keine Zustimmung für die Fiskalunion signalisiert hatten, machten die Tschechen und Schweden von Beginn an klar, dass ihre Zustimmung nur von einem Ja der nationalen Parlamente abhänge.
"Wir sind nicht Großbritannien"
Einzig Ungarn stellte sich auf die Seite der Briten - um diese Haltung später zu revidieren. "Das ungarische Parlament hat noch reichlich Zeit, um in dieser Frage zu entscheiden", erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. "Wichtig ist: Wir sind nicht Großbritannien", ließ sich ein ungarischer Diplomat in Brüssel zitieren.
Den Briten war die Unabhängigkeit von Europa schon immer heilig - dem Schengener Abkommen zum erleichterten Grenzverkehr trat das Land ebenso wenig bei wie der Währungsunion. Für Daniela Schwarzer, Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) war der Krisengipfel in Brüssel ein "Moment der Wahrheit". Die Briten hätten signalisiert, nicht mitmachen zu wollen - die übrigen Staaten hätten klargemacht, sich nicht aufhalten zu wollen. "Das ist in meinen Augen die richtige Entscheidung. Außergewöhnlich, aber nicht katastrophal, sondern einer gewissen Logik folgend", sagt Schwarzer.
Werner Weidenfeld, Politikwissenschaftler der Universität München, kommt zu dem selben Schluss. Die Weigerung der Briten sei keine Zäsur, sondern folge der Logik einer "differenzierten Integration": "Warum sollten die anderen warten, nur weil einer nicht mitmachen will?"
Doch der Gedanke, gewissermaßen am Enddarm der EU zu sitzen, ohne Einfluss auf den Kopf, verletzt den Stolz der Nation. "Ich bedauere, wie schlimm David Camerons Verhandlungsstrategie uns im Stich gelassen hat", sagte der Schatten-Außenminister der Labour-Party, Douglas Alexander.
Warum hat Cameron die Briten nun so isoliert? Klar ist, dass der britische Premier erheblichen Druck aus der eigenen Partei verspürte. Der euroskeptische Block der Tories ist traditionell stark, daran hatten schon Margaret Thatcher und John Mayor nichts ändern können. In den Tagen vor dem EU-Gipfel hatten Hinterbänkler und ranghohe Tories die Schlagzeilen dominiert: Cameron müsse hart bleiben und einiges herausholen für Großbritannien, andernfalls könne er die Partei nicht mehr führen, so der Tenor.