Griechenland:Wie sich die Linke in Athen zerlegt

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Stefanos Kasselakis, Chef der Partei Syriza, bei einer Demo gegen die Steuerpolitik in Athen. (Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

Die Partei Syriza von Alexis Tsipras bestimmte einst die Schlagzeilen, als sie gegen den Sparkurs aufbegehrte. Doch nun steht Stefanos Kasselakis an der Spitze, ein Unbekannter, der sich nicht mal als Linker zu erkennen gibt. Ob das gut geht?

Von Raphael Geiger, Istanbul

Als Fremder kam er, ein Fremder ist er bis heute geblieben. Seit September ist Stefanos Kasselakis der Vorsitzende von Syriza, jener Partei, die früher unter Alexis Tsipras die europäischen Schlagzeilen beherrschte. Damals, in der heute fast vergessenen griechischen Megakrise. Syriza wurde mit der Krise groß, regierte von 2015 bis 2019, mit Tsipras als Premierminister von Griechenland. Jetzt, unter Kasselakis, ist die Partei dabei, sich aufzulösen.

Kasselakis flog erst dieses Jahr aus Miami ein, wo er zuletzt lebte. Er war als Jugendlicher in die USA gegangen, verbrachte dort sein halbes Leben. Er studierte in Philadelphia, arbeitete einige Jahre lang bei Goldman Sachs, baute in New York ein eigenes Unternehmen auf. Erst vor einigen Wochen reiste er noch mal nach Brooklyn, wo er seinen Mann heiratete.

Bei der linken Syriza nennen manche ihn den "Amerikaner", was nicht als Kompliment gemeint ist. Kasselakis, 35, spricht mindestens so gut Englisch wie Griechisch, man merkt ihm an, wo er erwachsen wurde. Selbst auf Griechisch allerdings spricht er nicht die Sprache der Parteikader. Als man ihn fragte, was er mit Syriza vorhat, antwortete er, ihm schwebe eine griechische Version der amerikanischen Demokraten vor. Er wolle einen moderaten Kurs, vertreten von einem Vorsitzenden, also ihm, der weniger mit den Gremien der Partei spricht als mit den Wählerinnen und Wählern direkt. Über Twitter und Tiktok.

Die Athener Presse bezeichnete ihn als politisches Ufo

Die Athener Presse hat sich ein paar Metaphern dafür einfallen lassen, wie Stefanos Kasselakis in die griechische Politik kam. Ein politisches Ufo. Ein Meteorit. Ein Journalist beschrieb Kasselakis als griechische Bewerbung für das Guinness-Buch der Rekorde, auch das war nicht als Kompliment gemeint. Eher im Sinne von: So einen gab es noch nie.

Bei den Parlamentswahlen im Frühling verhalf Alexis Tsipras, noch Parteichef, dem in den USA lebenden Kasselakis zu einem Platz auf der Syriza-Liste. Syriza verlor die Wahl gegen die Nea Dimokratia von Premierminister Kyriakos Mitsotakis, und Kasselakis, der in Griechenland kaum bekannt war, schaffte es nicht mal ins Parlament. Nach den Wahlen trat Tsipras zurück. Seinen Nachfolger wählte damals die Parteibasis, darunter auch Mitglieder, die gerade erst beigetreten waren, gegen eine Gebühr von zwei Euro, ohne sich zu weiteren Zahlungen zu verpflichten.

Kasselakis kandidierte als einer von fünf, neben Größen wie dem früheren Finanzminister Efklidis Tsakalotos. Als Favoritin galt Efi Achtsioglou, eine frühere Arbeitsministerin. Bis heute hat kaum jemand in Athen eine Erklärung dafür, warum Kasselakis so viel besser abschnitt als erwartet. Charisma? Der Reiz des Neuen? Die Zwei-Euro-Mitglieder? Kasselakis, der Mann aus Florida, gewann schließlich gegen Efi Achtsioglou in der Stichwahl. Da fiel vielen Griechinnen und Griechen erst auf, dass die zweitgrößte Partei des Landes künftig von einem Mann bestimmt werden würde, von dem sie nie gehört hatten.

Syriza befindet sich seitdem in Aufruhr. Ein erfahrener Mann aus der Partei sagte, Kasselakis habe eine "feindliche Übernahme" vor. Er wolle sich nur den Markennamen der Partei sichern und seine eigene Bewegung daraus machen. Es falle doch auf, dass Kasselakis das Wort "links" nur ein, zweimal benutzt habe. Der Verdacht steht im Raum: Ist dieser Jungunternehmer aus den USA, der Griechenland nur aus seiner Jugend kennt, überhaupt ein Linker? Erst nach seiner Wahl wurde bekannt, dass Kasselakis in New York als Wähler bei den US-Republikanern registriert war, und das während der Trump-Jahre.

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Der Nachfolger von Alexis Tsipras, ein Republikaner? Kasselakis stritt das ab und wies darauf hin, dass er schon 2008, als Student, Wahlkampf für Joe Biden gemacht habe. In Athen, bei Syriza, halten ihn viele jedenfalls für ideologisch unzuverlässig. Der linke Flügel um den früheren Finanzminister Tsakalotos hat die Partei inzwischen verlassen, womit sie auch einige Abgeordnete im Parlament verlor. Ende vergangener Woche folgte eine Gruppe um Efi Achtsioglou. Damit sind es genügend Abtrünnige für eine eigene Fraktion.

Was Stefanos Kasselakis aus Syriza macht, ist unklar. Von der Kraft der US-Demokraten, Kasselakis' Vorbild, ist die Partei aktuell weit entfernt. In den Umfragen nähert sie sich einstelligen Werten. Manche in Athen glauben, dass Syriza den zweiten Platz in der griechischen Politik an Pasok abgeben wird, an jene alte Mitte-links-Partei also, die das Land in den Jahrzehnten vor der Krise immer wieder regiert hat, im Wechsel mit der Nea Dimokratia. Während der Krise war Pasok implodiert, während Syriza aufstieg. Jetzt ist die Krise vorbei, und die große Zeit von Syriza offenbar auch.

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