Graf von Saint Germain:Der Mann, der irgendwie auftauchte

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"Der Mann ist unsterblich und allwissend", schrieb Voltaire über den Musiker und Alchemisten Saint Germain. (Foto: Ullstein Bild via Getty Images)

Seine Herkunft hielt er geheim, als Diplomat konspirierte er in ganz Europa, als Hochstapler brillierte er - und verblüffte selbst Preußenkönig Friedrich II.

Von Josef Schnelle

Er konnte angeblich Verunreinigungen aus Diamanten entfernen, was bis heute noch nicht zuverlässig gelingt. Der Graf von Saint German rühmte sich am Hofe Ludwigs XV. außerdem, aus zwölf kleinen Diamanten ohne Gewichtsverlust einen großen von vollkommener Reinheit herstellen zu können.

Der König richtete ihm 1758 für seine wissenschaftlichen Experimente in dem Loireschloss Chambord ein Alchemistenlabor ein. Möglich, dass der vor allem von der legendären Mätresse Madame de Pompadour geförderte Lebemann diese auch gelockt hat mit einer Wundermedizin zur Erhaltung der "ewigen" Jugend.

Nachweislich konzentrierte Saint Germain sich neben der Diamantenmanipulation auf die Herstellung von Färbemitteln für Stoffe, ohne dafür teure exotische Substanzen zu benötigen. Dieser wissenschaftliche "Geschäftszweig" zieht sich durchs ganze Leben und gehört noch zu den Versprechungen, die er seinem letzten Förderer, dem Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, gemacht hat, bevor er 1784 im heutigen Ostseebad Eckernförde unter natürlich rätselhaften Umständen starb und in der St. Nicolai-Kirche beigesetzt wurde.

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Gemeinsam mit Karl, dem Statthalter des dänischen Königs, hatte er in dessen "Alchimistenturm" im Sommerschloss Louisenlund offenbar mit Vorformen der Anilinherstellung experimentiert und eine Färberei eingerichtet. Das dort hergestellte künstliche Gold nannte er "Similor" - also "Goldähnlich". Es lief aber schnell schwarz an und enttarnte sich so als Schabernack.

Tatsächlich ist über den Grafen von Saint Germain nur wenig Gesichertes bekannt. Er tauchte irgendwie auf: im besten Mannesalter, finanziell sorgenfrei und bestens gebildet, die Idealverkörperung des "Ehrenmannes" im Abendlicht des absolutistischen Zeitalters, das seiner Beendigung durch die Französische Revolution entgegenraste.

Giacomo Casanova traf ihn wiederholt bei seiner Gönnerin Madame d'Urfe. Seine sehr freundliche Beschreibung von Saint Germain in seinen Memoiren klingt ein bisschen so, als habe er sich selbst ganz ähnlich gesehen:

"Er gab sich in jeder Hinsicht als Wunderknabe, er wollte verblüffen und verblüffte auch tatsächlich. Er hatte eine entschiedene Art zu sprechen, die jedoch nicht missfiel, denn er war gelehrt, sprach fließend alle Sprachen, war sehr musikalisch, ein großer Kenner der Chemie, besaß angenehme Züge und verstand es, sich bei allen Frauen beliebt zu machen."

Manch einer entschuldigte die Leichtgläubigkeit gegenüber Saint Germain in der Tat mit dessen vollendetem Auftreten. Wenn er auch vielen als Scharlatan und Hochstapler galt: Kaum einer wagte es, an der abenteuerreichen Lebensgeschichte zu zweifeln, zu der neben alchemistischen Großtaten offenbar geheime politische Aktivitäten im Auftrage der potentesten Großmächte seiner Zeit gehörten.

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Friedrich der Große hielt ihn für eines der "ungelösten Rätsel seiner Zeit" und vermutete, dass Saint Germain als Spion die Dinge zwischen Frankreich und England im Fluss halte.

Frankreichs Außenminister Choiseul ging der "Free-Lance-Diplomat" Saint Germain, mit dessen Hilfe Louis XVI. gelegentlich an ihm vorbei konspirierte, derart auf die Nerven, dass er ihn sogar in Holland verfolgen ließ.

Außerdem sagte man Saint Germain später die Teilnahme am Aufstand der Orlow-Brüder zur Inthronisierung von Katharina der Großen nach, und auch mit Freimaurerkreisen wurde er immer wieder in Verbindung gebracht.

Als Abenteurer, Spion und Alchimist diente Saint Germain vielen Damen und Herren und rühmte sich ebenso vieler Rollen wie Namen, unter denen "Graf Welldone" der bekannteste wurde.

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Nur über seine Herkunft schwieg er beharrlich. Gegenüber dem Landgrafen von Hessen-Kassel gab er sich immerhin als Sohn des transsilvanischen Fürsten Franz II. Rákóczi aus. Er sei aber beim letzten Medici-Herzog Gian Gastone de' Medici in Italien aufgewachsen.

Die Pompadour vermutete hingegen, er sei der uneheliche Sohn der letzten spanischen Habsburgerkönigin Maria Anna von Pfalz-Neuburg.

Casanova, selbst reichlich musikbewandert, versicherte, in ihm den italienischen Geiger Catalani wiedererkannt zu haben. Er schreibt, dass er den Grafen zuletzt in eine Allee einbiegen sah, bevor er spurlos verschwand.

Tatsächlich publizierte 1750 ein Londoner Musikverleger 42 Arien des Grafen. Auch eine Oper und "Seven Solos for a Violin" sind bekannt, im London Chronicle wird von Konzerten berichtet, die der Graf singend und musizierend abgehalten habe. Das passt jedenfalls gut zum Multitalent Saint Germain.

Auch die besonderen Fähigkeiten erklären noch nicht zureichend die Quelle seines offenbar nie versiegenden Reichtums. Nach seinem Alter gefragt, über das wie auch über seine Aktivitäten und seine Herkunft die wildesten Spekulationen verbreitet waren, schwieg Saint Germain in der Regel.

In einem Briefwechsel mit Friedrich dem Großen spottete Voltaire: "Der Mann ist unsterblich und allwissend." Mindestens 300 Jahre alt sei er, vermuteten manche - wegen seines "Elixiers der Ewigen Jugend."

Friedrich der Große erzählte angeblich am liebsten folgende Anekdote: "Der bekannte Graf gab vor, dass er über 2000 Jahre alt sei und habe sich auch im Gelobten Land aufgehalten." Jesus habe er sehr wohl gekannt, der sei aber äußerst romantisch veranlagt gewesen und unbesonnen: "Ich habe ihm oft gesagt, er würde ein schlimmes Ende nehmen."

Inzwischen gab es ein derartiges Geflecht aus Lügen und Legenden um den Grafen, dass in der höfischen Gesellschaft sogar Doppelgänger und Trittbrettfahrer des größten aller Magier, Fälscher und Abenteurer auftauchten, die sich mit Taschenspielertricks und im Nebenzimmer zuckenden falschen Blitzen dementsprechend Aufmerksamkeit verschafften.

Karl May setzte dem Schwindler ein literarisches Denkmal

So verwundert es nicht, dass der rätselhafte Graf auch seinen eigenen Tod überdauerte. Selbst Karl May hat ihm in der Erzählung "Das Zauberwasser" ein Denkmal gesetzt. Bei ihm wird der Erfinder eines ewiges Leben versprechenden "Aqua Benedetta" zwar als Schwindler enttarnt und tatsächlich erschossen.

Doch so ganz mochte sich der große Erzähler und Mystiker Karl May damit nicht zufrieden geben und vermutet in einem Nachsatz, man könne auch glauben, er sei als ewig Reisender weitergezogen.

So geistert Saint Germain immer noch im Zwielicht des Obskuren durch okkulte Rituale und Webseiten. Dabei war er doch vielleicht nur - Hochstapler oder Wundermann - ein letztes Aufflackern der erlahmenden absolutistischen Lebensgeister.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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