Letzter deutscher Kaiser:"Wilhelm II. sah in Hitler seinen Vollstrecker"

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Biograph John Röhl erklärt, inwieweit Deutschlands Ex-Monarch in den Nazis seine politischen Erben sah.

Oliver Das Gupta

John C. G. Röhl, Jahrgang 1938, gilt als der weltweit führende Experte für Kaiser Wilhelm II. und das Wilhelminische Zeitalter. Seit mehr als fünf Jahrzehnten beschäftigt sich der inzwischen emeritierte Professor mit dem Hohenzollern und seiner Epoche. 30 Jahre lang schrieb er an seiner dreibändigen Biographie über den letzten deutschen Kaiser, der am 4. Juni 1941 in seinem niederländischen Exil in Doorn verstorben ist.

SZ: Professor Röhl, wie wurde Wilhelms Tod von der deutschen Bevölkerung aufgenommen?

John C. G. Röhl: Er erregte kaum Aufsehen. Hitler schickte zwar einen monströsen Kranz nach Doorn und einige Nazi-Bonzen zur Bestattung. Aber ansonsten war dem NS-Regime daran gelegen, keinen Wirbel um den Tod des Ex-Kaisers zu machen.

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Warum wollte Hitler kein Aufsehen erregen?

Der Monarchismus stellte eine potentielle Gefahr für das Dritte Reich dar. Deshalb wurde auch kaum berichtet über seinen Tod.

Gab es denn noch größere Sympathien in der deutschen Bevölkerung für den Ex-Kaiser? Als Wilhelm starb, lag seine Abdankung immerhin mehr als 20 Jahre zurück.

Sicherlich gab es eine lebendige Erinnerung an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die in der Tat für Deutschland eine gute war. Allerdings hatten die Menschen auch die schrecklichen Kriegsjahre von 1914 bis 1918 nicht vergessen. Wohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung war an einer Rückkehr des Kaisers interessiert. Zwar war in den zwanziger Jahren mit Propaganda-Publikationen versucht worden, den Kaiser als Märtyrer hinzustellen - ohne Erfolg. Das lag auch an den damals erschienenen Memoiren der ehemaligen Mitarbeiter Wilhelms, die teilweise äußerst kritisch waren.

Zum Zeitpunkt seines Todes waren die Niederlande von der Wehrmacht besetzt, vor seinem Anwesen hielten deutsche Soldaten Wache. Warum ist Wilhelm eigentlich nicht nach Deutschland zurückgekehrt?

Der Kaiser hatte nach seiner Abdankung immer wieder mit einer Rückkehr geliebäugelt. Bis kurz nach Hitlers Machtergreifung 1933 hoffte er, die Nazis würden die Monarchie wiederherstellen. Nach der Ermordung kaiserfreundlicher Kräfte wie General Kurt von Schleicher im Juni 1934 gab er diese Pläne auf. Wilhelm erklärte, erst wieder zurückzukehren, wenn Deutschland wieder eine Monarchie wäre. Das gilt bis heute: Sein Sarg soll bis zu einer Restauration in Doorn bleiben.

Trotz seiner Enttäuschung über die Nazis bejubelte Wilhelm die Siege der Wehrmacht, geiferte gegen Juden und gratulierte Hitler zu seinen Erfolgen.

Was Wilhelm in seinen Exil-Jahren von sich gegeben hat, ist in jeder Beziehung furchterregend. Seine antisemitischen und antidemokratischen Äußerungen sind so schlimm, als stammten sie von Goebbels, Himmler und Hitler.

Gönnte Wilhelm den Nazis deren Erfolge?

Er sah sich wohl eher als Vordenker und die Nazis in der Rolle der Vollzieher. Der Ex-Kaiser verbuchte Hitlers Erfolge, außenpolitisch vor dem Krieg und militärisch nach 1939, auf seinem Konto. Er glaubte, sie seien die Früchte seiner Vorarbeit. Die Armee sei siegreich dank der Offiziere, die unter ihm, Wilhelm, groß geworden waren. Wilhelm sah in Hitler seinen Vollstrecker.

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Das klingt nach Größenwahn.

Röhl: Man hat in der Tat das Gefühl, dass Wilhelm in seinem Exil nicht mehr zurechnungsfähig war - wobei sich dieser Eindruck schon vor seiner Abdankung aufdrängte.

Die Historiker sind uneins, ob Wilhelm ein schwacher Herrscher war oder ob Wilhelms persönliches Regiment den Ersten Weltkrieg mitverursacht hat - eine These, die Sie vertreten.

Familienfoto im Exil: der gealterte Ex-Kaiser Wilhelm mit seiner zweiten Frau Hermine und deren Töchtern in Doorn (Foto: Oliver Das Gupta)

Mehr als 50 Jahre habe ich über Wilhelm geforscht, in unzähligen Archiven in aller Welt. Ich nehme für mich in Anspruch, eine solide Quellenbasis für meine wissenschaftliche Einschätzung geschaffen zu haben. Ich kann verstehen, dass viele Leute, die diese Quellen nicht kannten, erstaunt waren. Ich bin gerne bereit, meine Meinung zu ändern - aber dazu müssten sich die Fakten ändern.

Inwiefern war Wilhelm ein starker Herrscher?

Seit jeher vertrat Wilhelm die Meinung, als Nachfolger des Großen Kurfürsten und Friedrichs des Großen müsste er selbst regieren. Er sah sich von Gott eingesetzt. Für ihn war klar: Ich darf nicht auf das Volk hören. Er hat das gleich nach der Thronbesteigung 1888 klargemacht - und einen Aufschrei im In- und Ausland ausgelöst. Denn dort hatten sich die Monarchien längst weiterentwickelt: Briten, Niederländer, Belgier, Skandinavier, Italiener - in allen Staaten beschränkten sich die Fürsten mehr und mehr darauf, zu repräsentieren und das Regieren der, im besten Fall, gewählten Regierung zu überlassen.

Wilhelms erste Regierungsjahre verliefen allerdings relativ reibungsarm.

Erstaunlicherweise, ja. Aber nach 1905 zeigten sich die fatalen Folgen von Wilhelms Regentschaft: die Marokkokrise, die Eulenburg-Affäre, die Daily-Telegraph-Affäre und viele andere Skandale. Damit endete Wilhelms "persönliches Regiment" nicht, es nahm nur eine andere Form an. Es war eben nicht so, dass plötzlich wie zu Bismarcks Zeiten der Reichskanzler wieder regiert. Der Kaiser widmete sich mit aller Macht der Außen- und Rüstungspolitik. Er scharte ein Sammelsurium von Ratgebern unter sich, die unkoordiniert und unfähig agierten. Diese Männer hatten das Sagen - und das ohne verfassungsgemäße Legitimation.

Was waren das für Leute?

Brave Staatsbeamten, Hofschranzen und Offiziere wie der Generalstabschef von Moltke und Admiral von Tirpitz, lauter Ja-Sager, Einflüsterer und Militaristen. Wilhelms hatte ein höfisches System eingeführt, wie es vor der Französischen Revolution in Versailles geherrscht hatte. Die Ratgeber, mit denen er sich umgab, wirkten sich katastrophal auf ein Land aus, das blühte. Dieses Kaiserreich war damals der erfolgreichste Staat der Welt: wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell, auch in sozialreformerischer Sicht. Man bekommt Gänsehaut, wenn man bedenkt, dass dieses florierende Land mit seinen etwa 70 Millionen Menschen von einem solchen System geleitet wurde. Es war zwar das Zeitalter des Imperialismus, auch andere Staaten waren expansiv ausgerichtet. Aber dieser Krieg brach nicht zuletzt wegen des deutschen Kaisers aus. Wilhelm hat das Klima geschaffen, das Deutschland, Europa und die Welt in das große Blutvergießen führte. Der Kaiser und seine Entourage träumten davon, zur Weltmacht durchzubrechen - wenn nötig mit Hilfe eines Krieges.

Die Rolle des Kaisers vor Kriegsausbruch 1914 ist widersprüchlich. Einerseits gab er sich kriegslüstern, auf der anderen Seite versuchte er durch Briefe an seine Verwandten, den britischen König und den russischen Zaren, das Unglück abzuwehren.

Gewiss wollte Wilhelm den Krieg gegen England vermeiden, nicht aber den gegen Russland und Frankreich. Vielleicht ist er am Ende ausgebootet worden. Im Frühsommer 1914 waren es die erwähnten Ratgeber, die sagten: Der Kaiser sagt immer, er wolle den Krieg, und dann wackelt er. Und damit er nicht im letzten Augenblick umfällt: Machen wir Krieg - das ist in unserem und in seinem Sinne.

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Was bleibt von dem Mann, nach dem ein ganzes Zeitalter benannt ist, im Jahre 2011?

Die Folgen seiner Politik haben das 20. Jahrhundert geprägt. In drei Jahren gedenken wir des 100. Jahrestages des Kriegsausbruchs. Ich finde, die Geschichtsforschung sollte sich diesem Abschnitt mehr widmen - er sollte ebenso gründlich erforscht werden wie der Nationalsozialismus.

Wilhelm dankte vor mehr als 90 Jahren ab, und trotzdem fasziniert die Deutschen der Adel. Die britischen Royals beherrschen immer wieder die Nachrichten, und bis vor kurzem mischte ein Verteidigungsminister in der deutschen Politik mit, der aus altem Adel stammt. Gibt es eine heimliche Sehnsucht nach gekrönten Häuptern in der Bundesrepublik?

Unser Königshaus hier in England gleicht bisweilen eher einer Hollywood-Show, wie man an der Hochzeit von William und Kate sehen konnte. Aber wer spricht in Deutschland denn ernsthaft von den Königshäusern von einst? Die meisten Deutschen dürften den Namen des heutigen Oberhauptes der Hohenzollern noch nie gehört haben. Die Bundesrepublik ist meiner Meinung ein durch und durch demokratischer Staat; in mancher Hinsicht würde ich mir wünschen, wir in Großbritannien wären so weit. Ich glaube nicht, dass in Deutschland jemals eine Monarchie wieder mehrheitsfähig wäre. Und was den Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg betrifft, kann ich Sie beruhigen: Zwischen einem Freiherrn und einem königlichen Geschlecht ist der Standesunterschied fast genauso groß wie zwischen einem Freiherrn und einem einfachen Bürger.

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