Giftanschlag auf Ex-Spion Skripal:Längst mehr als ein Agententhriller

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Die Konsularabteilung der russischen Botschaft in London. Großbritannien weist 23 russische Diplomaten aus. (Foto: REUTERS)

Der Fall Skripal löst in Großbritannien zu Recht allergrößte Empörung aus. Die Strafmaßnahmen sind vergleichsweise verhalten - weil der Rechtsstaat nach dem letzten Beweis verlangt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Verurteilungen ohne Beweise darf es in einem Rechtsstaat nicht geben. Versagt der Rechtsstaat vor diesem Anspruch, dann wird er zum Willkürstaat. Das gilt auch für den Staat als außenpolitischen Akteur: Wer straft und droht, gerade gegenüber anderen Staaten, der muss gute Gründe vorlegen. Momentan halten zu viele Staaten auf der Welt diese Regeln für überflüssig.

Großbritannien wird gerade die Grenze zwischen dem Rechtsstaat und einem Willkürregime aufgezeigt. Der Skripal-Fall löst zu Recht allergrößte Empörung aus. Es treibt nicht nur der Premierministerin die Zornesröte ins Gesicht, wenn sie hinnehmen muss, dass mitten in der Friedfertigkeit der englischen Provinz zwei Menschen (und indirekt ein Polizist) mit einem Kampfstoff vergiftet werden, der international geächtet ist. Mit dem Attentat sollte offensichtlich eine Botschaft gesendet werden. Zwei zuckende Opfer auf einer Parkbank sind ein Symbol, wie es das Agentenmilieu in seinen billigsten Klischees verlangt.

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Der Kampfstoff, das Nervengift Nowitschok, wurde nur in der Sowjetunion hergestellt. Dass den Briten der Nachweis gelungen ist, darf man annehmen, weil sich eine Premierministerin anders als ein russischer Präsident vor Parlament und Öffentlichkeit zu rechtfertigen hat und weil Großbritannien das Gift der Organisation für das Verbot chemischer Waffen zur Kontrolle zukommen lassen wird.

Ein klares Motiv für den Mordversuch führt ebenfalls nach Russland. Dort hat die Duma vor zwei Jahren ein Gesetz beschlossen, das die Liquidierung von Überläufern und Hochverrätern auch im Ausland erlaubt. Eine nicht enden wollende Zitatesammlung vom russischen Präsidenten über den Außenminister bis zu einschlägig bekannten Kommentatoren zeugt vom Zynismus und der Geisteshaltung der Führung des Landes. Verräter sind eine Bedrohung für Russland, ihnen muss mit Abschreckung begegnet werden. Die Zahl der mysteriösen Todesfälle aus dem russischen Geheimdienst- oder Oligarchenmilieu allein in Großbritannien oder den USA ist zweistellig.

Und dennoch: Der Rechtsstaat verlangt nach einer klaren Zuordnung von Opfer und Täter. Großbritannien verfügt über Indizien, starke Indizien - aber nicht über den letzten Beweis. Deswegen bleibt die Reaktion vergleichsweise verhalten. Wäre die Beweislage eindeutig, müsste die Fußball-WM ohne die Briten und ihre Verbündeten stattfinden.

Russische Schattenoperationen in Georgien, auf der Krim, im Osten der Ukraine, beim Abschuss von MH 17, in Datenattacken auf den Bundestag, das Datennetz der Bundesregierung, die Partei der Demokraten in den USA, französische und katalanische Parteien, die klandestine Einflussnahme auf Meinungen und Stimmungen - überall ergibt sich das gleiche Muster. Und überall bleiben die Schattenkrieger in der Grauzone versteckt. Dem Rechtsstaat ist das nicht genug.

Der Rechtsstaat verbietet freilich nicht, dass man sich vor diesen Attacken besser schützt. Denn die Angriffe entfalten eine gefährliche Wirkung: Sie radikalisieren Gesellschaften und zerstören das Vertrauen in den schützenden Staat, sie zehren das Rechtssystem aus. Das könnte das eigentliche Ziel sein. Gepaart mit einer rüstungstechnologischen Offensive, von Wladimir Putin stolz verkündet, ergibt sich eine echte Bedrohung. Ein Agententhriller ist das längst nicht mehr.

© SZ vom 15.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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