Giffey und die Berliner SPD:"Machen ist wie Wollen, nur krasser"

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Zupackend: Wenn Franziska Giffey in Fahrt ist, fängt sie an zu berlinern - und sie ist ziemlich oft in Fahrt. (Foto: Michele Tantussi/Reuters)
  • Familienministerin Giffey will sich für den Co-Vorsitz in der Berliner SPD bewerben.
  • Die Politikerin ist in der Stadt beliebt, weil sie sich traut, Probleme anzupacken.
  • Aufkeimende Affären konnten ihr bislang nichts anhaben.

Von Jan Heidtmann und Henrike Roßbach, Berlin

Zwei Fragen begleiteten Franziska Giffey voriges Jahr durch die Republik: Welche Konsequenzen sie aus den Plagiatsvorwürfen wegen ihrer Doktorarbeit ziehen werde. Und ob sie Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden wolle. Die erste Frage beantwortete die Bundesfamilienministerin im Spätsommer mit ihrem Verzicht auf die Kandidatur für den SPD-Vorsitz. Die zweite beantwortete sie am Mittwoch.

Jedenfalls indirekt. "Ich bin Berlinerin, und als Berlinerin liebe ich meine Stadt", sagte Giffey am frühen Abend, als sie gemeinsam mit dem Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh und dem noch Regierenden Bürgermeister Michael Müller ihre Zukunftspläne verkündete. Sie wolle, dass es ihrer Stadt gut gehe, und sie wolle dazu ihren Beitrag leisten. Zuvor hatte Müller angekündigt, im Mai nicht mehr für den Landesparteivorsitz zu kandidieren. "Ich glaube, dass es gut ist, wenn jetzt neue Köpfe Verantwortung übernehmen", sagte er. Wer diese neuen Köpfe sein sollen, war am späten Dienstagabend unter den mächtigen Bezirksvorsitzenden besprochen worden: Giffey und Saleh, als Doppelspitze.

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Mit zu dem Paket dürfte gehören, dass Giffey im Herbst 2021 als Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin antritt. Am Mittwoch aber ließen sie das offen. "Klar ist, ich bleibe Regierender Bürgermeister", sagte Müller, und dass sie eine Verabredung für den Mai hätten. "Alles andere wird sich zu einem späteren Zeitpunkt ergeben." Giffey aber, die fürs erste Ministerin bleiben will, gilt vielen als natürliche Kandidatin. Der Grund ist in ihrer Biografie zu finden, mehr aber noch in ihrem Wesen. Geboren ist sie in Frankfurt/Oder, aufgewachsen im brandenburgischen Briesen. Nach Berlin kam sie erst als Studentin. "Ja, tut mir leid", sagte sie im Sommer im Gespräch mit der SZ, "ick kann nich' mehr nachholen, dass ick nich' uff den Rudower Feldern Kartoffeln jestoppelt habe."

"Wer nichts will, kriegt auch nichts", lautet ein Lieblingssatz von Giffey

Sie schafft es dennoch, nicht nur Bürgermeisterin in Berlin-Neukölln zu werden, sondern auch eine kommunalpolitische Marke. Im Kern bedeutet Politik für sie: Problem erkennen, hinfahren, reden, Problem lösen. Auch als sie sich 2018 überraschend im Bundeskabinett wiederfindet, versucht sie, diesen Ansatz mit unzähligen Ortsterminen aufrechtzuerhalten. Das Lokale bleibt ihr Referenzpunkt. Wenn sie in Fahrt ist, und sie ist ziemlich oft in Fahrt, fängt sie an zu berlinern, und immer wieder fällt ihr zu einer Sache ein, das kenne sie ja schon aus Neukölln.

Andere Lieblingssätze von ihr: "Wer nichts will, kriegt auch nichts." "Machen ist wie Wollen, nur krasser". Oder: "Wir müssen besser organisiert sein als die organisierte Kriminalität." Überhaupt hat sie keine Scheu, Recht und Ordnung und einen funktionierenden Staat einzufordern. In einer Stadt wie Berlin, mit Dealern im Görlitzer Park und Hausbesetzern in der Rigaer Straße, macht sie das für manche zur Hoffnungsträgerin. In der Berliner SPD macht es sie vor allem zur Rechten.

Für andere wäre das im eher linken Landverband ein Ausschlusskriterium. Doch Giffeys Popularität überstrahlt einiges, auch den Streit um ihren Doktortitel und die Frage, was sie zu den Vorwürfen weiß, ihr Mann habe als Beamter eine Urlaubsreise dienstlich deklariert. Das sei eine Privatangelegenheit, sagt sie. Beide Affären haben ihr nicht wirklich geschadet. Die Hoffnungen, die sie in der SPD mit ihr verbinden, sind sogar groß genug, um sich nicht nur auf eine Law-and-Order-Politikerin einzulassen, sondern auch noch auf das Gespann mit dem wenig beliebten Saleh.

Berliner SPD ist abgestürzt

Der hätte ohne sie kaum eine Chance, zum Landesvorsitzenden gewählt zu werden. Müller sagte am Mittwoch, er habe seinen Entschluss zwischen Weihnachten und Neujahr gefasst und die beiden dann angesprochen. Er stand freilich auch unter Druck: Mit ihm als Bürgermeister ist die SPD in Berlin seit Antritt der rot-rot-grünen Koalition 2016 von knapp 22 auf 16 Prozent in Umfragen gesunken. Aus dem stärksten Partner der Koalition ist der schwächste geworden.

Im Sommer, als Giffey von Neukölln aus aufbrach zu einer Reise durch den Osten, traf sie vor der Abfahrt zufällig zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die sie erkannten. "Wir vermissen Sie immer noch", sagten die beiden. "Wir behalten Sie im Blick, weil Sie uns im Blick behalten." Dass Giffey ihre Stadt im Blick behalten hat, ist in der Tat unverkennbar.

"Ich habe Lust", sagte sie am Mittwoch in die Kameras. "Das wird gut, ich sag's Ihnen!"

© SZ vom 30.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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