Tierwohl:Die Bundesregierung prämiert Fleisch, das verdorben ist

Schweinezucht

Die Nutztiere verdienen eine bessere Behandlung. Und die Landwirte brauchen Hilfe bei der Umstellung in der Tierhaltung.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Mit den Plänen für ein Tierwohlkennzeichen täuscht Ministerin Klöckner die Konsumenten: Das Tierwohl wird nicht gefördert - im Gegenteil.

Gastkommentar von Rüdiger Jürgensen

Ist es tatsächlich denkbar, dass die Bundesregierung ein neues Gesetz plant, um ungesetzliche Handlungen mit einem Qualitätssiegel auszeichnen zu können? Um nichts anderes geht es beim künftigen staatlichen Tierwohlkennzeichen, das im Laden Produkte von Nutztieren prämieren soll, die besser als gesetzlich vorgeschrieben gehalten wurden. Dieses Gesetz, das noch vor der Sommerpause in den Bundestag kommen wird, hat keine Mehrheit verdient. Denn die vom Bundeslandwirtschaftsministerium festgelegten Kriterien für die Haltung liegen in drei Fällen noch unter den ohnehin schon niedrigen gesetzlichen Vorgaben.

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner stellte kürzlich auf einer Pressekonferenz die offiziellen Kriterien für vermeintlich besser gehaltene Schweine vor. Man wusste zuvor schon, dass auch Produkte von Schweinen, denen man ihre Ringelschwänze abgeschnitten hat, mit dem für Verbraucher rund 20 Prozent teureren staatlichen Tierwohlkennzeichen ausgezeichnet werden sollen, obwohl diese gängige Praxis EU-weit gesetzlich verboten ist. Neu war, dass zwei weitere Gesetze ignoriert werden. Fleischproduzenten sollen das Tierwohlkennzeichen auch dann bekommen, wenn sie Sauen in einem engen "Kastenstand" halten, der seit 2015 verboten ist; die Tiere können sich darin nicht vor und zurück bewegen und auch nicht umdrehen. Das Siegel soll zudem auch denjenigen verliehen werden, die kleine Ferkel ihren säugenden Müttern vor Ablauf der gesetzlichen Frist wegnehmen. Das ist unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise erlaubt - aber in konventionellen Betrieben überwiegende Praxis. Die würde durch das Regierungssiegel auch noch belohnt. Die Vermarktung des Kennzeichens wird nach dem Willen der Regierung eine 70 Millionen Euro teure Werbekampagne besorgen. Der PR-Feldzug soll Verbrauchern den Irrglauben vermitteln, dass Produkte, die ungesetzlich zulasten leidender Tiere hergestellt wurden, besonders tierfreundlich sind.

Unser System der Fleischproduktion scheint so sehr an den Bedürfnissen der Tiere und Verbraucher vorbeizugehen, dass die Vergabe eines staatlichen Tierwohlkennzeichens nicht möglich ist, ohne das Gesetz zu biegen und zu brechen. Doch ist es nicht Aufgabe der Regierung, Gesetzesbrüche auszuzeichnen und damit zum Nachahmen geradezu aufzufordern. Der großen Koalition sollte die Einführung des Tierwohlkennzeichens deshalb nicht erlaubt werden. Die Missachtung von Gesetzen führt aufs Glatteis immer neuer Rechtfertigungen, die als kleine, unerhebliche Überschreitungen rationalisiert werden können. Recht und Gerechtigkeit bleiben dabei auf der Strecke.

Der Handel hat längst mit einer eigenen Kennzeichnung für Frischfleisch eine vernünftigere Kennzeichnungsform eingeführt. Während das freiwillige, unverbindliche staatliche Kennzeichen nur Produkte von Schweinen auszeichnen würde, können Verbraucher anhand der vierstufigen Warenkennzeichnung des Handels bereits heute im Laden alle Haltungsbedingungen von Schweinen erkennen - und zusätzlich auch die von Rindern, Puten und Masthühnern. Kunden haben also die Möglichkeit, beim Einkauf zwischen Produkten zu wählen, die vom gesetzlichen Mindeststandard in Stufe 1, der Massentierhaltung, bis hin zu Stufe 4 reichen, mit frischer Luft, mehr Platz für die Tiere und Auslauf im Freien. Dieses System erlaubt Konsumenten, informierte Kaufentscheidungen zu treffen.

Eine ambitionierte Regierung würde sich die Kennzeichnung des Handels zum Vorbild nehmen und eine gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel, nicht nur für Frischfleisch, einführen. Sie würde so für Transparenz sorgen und den Tierhaltern Anreize geben, ihre Haltungssysteme umzubauen.

Nutztiere haben verdient, dass sie besser behandelt werden. Und Landwirte haben verdient, dass wir ihnen helfen, dem Ruf der Bevölkerung nach besserer Behandlung der Tiere zu folgen. Dazu werden Investitionen benötigt, etwa für den tiergerechten Umbau der Ställe. Mit einem Überschuss von 11,2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2018 können wir es uns leisten, den kleinen und mittelgroßen Bauern Unterstützung zu gewähren. Das würde zu mehr Tierwohl führen, ganz ohne ein Tierwohlkennzeichen, das schlechter ist, als es das Gesetz erlaubt.

Rüdiger Jürgensen ist Geschäftsführer Deutschland der internationalen Tierschutzstiftung Vier Pfoten.

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