Natürlich gibt es viele Themen zu besprechen, wenn Indiens Ministerpräsident Narendra Modi nach Bayern reist, als Gast des G-7-Gipfels. Erderhitzung, Energieversorgung, Lebensmittelsicherheit, das sind die drängendsten Probleme, mit denen Modi in seinem eigenen, riesigen Land zu kämpfen hat. "Ich freue mich auf fruchtbare Diskussionen mit den führenden Politikern der Welt während des Gipfels", twitterte Modi nach seiner Landung in München. Aber natürlich war das Thema, um das es hauptsächlich geht, eines, bei dem Modi und die Spitzen der G-7-Staaten und der EU durchaus unterschiedliche Meinungen haben: der Krieg in der Ukraine, die weltweite Nahrungsmittel- und Energiekrise, die er verursacht hat - und wie man gemeinsam gegen Russland vorgehen kann.
Im Gegensatz zu den G-7-Ländern hat Indien sich nicht einer scharfen Verurteilung Russlands bei den Vereinten Nationen angeschlossen. Delhi kauft verstärkt russische Energie, seitdem sie günstiger zu haben ist - wenn auch im Monat "deutlich weniger als die Europäische Union an einem Nachmittag", wie der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar grimmig zu Protokoll gab, als Kritik an diesen Geschäften aufkam. Russland ist außerdem der größte Waffenlieferant der indischen Armee, die nach der chinesischen die zweitgrößte der Welt ist. Für all das gibt es geopolitische und historische Gründe, die man in den G-7-Staaten in den vergangenen Jahren zu wenig im Blick behalten hat.
Innerhalb der "Quad"-Gruppe, die neben Indien auch die USA, Japan und Australien umfasst, hatte Joe Biden noch im März für Verstimmung in Delhi gesorgt, weil er unterstellte, Indien sei "ein bisschen wackelig", was die Aktionen gegen Russland angehe. Nun aber wird Narendra Modi seit einigen Monaten heftig umworben, in Delhi und auf der internationalen Bühne. Vor einigen Wochen stoppte Indien die Ausfuhr von Weizenmehl, weil die Preise im eigenen Land in die Höhe gegangen waren. Das war natürlich schlecht für die aktuell katastrophale Situation der weltweiten Nahrungsversorgung und führte wieder zu internationaler Empörung. Doch die indische Regierung wollte nicht die eigene Bevölkerung hungern oder zahlen lassen. Immerhin ist Modi Regierungschef eines Landes, das mit 1,3 Milliarden Menschen etwa dreimal so viele Einwohner hat wie die EU. Armut und Versorgungsprobleme haben sich während der Pandemie verschärft. Genauso ist es mit dem schwelenden Grenzkonflikt mit China im Himalaya.
Trotz der Größe des Landes, mit allen dazugehörigen Problemen und Chancen, kam Indien bei solchen Treffen in den vergangenen Jahren nicht die Bedeutung zu, die es hätte haben sollen. Man machte, auch aus Deutschland, lieber Geschäfte mit den Autokraten in Russland und China. Als Handelspartner erschienen sie stabiler als Indien. Bevor er nach Elmau reiste, wies Modi bei einer Rede vor indischen Exilanten in München auf ein Jubiläum hin: Indira Gandhi hatte am 25. Juni 1975 den Ausnahmezustand ausgerufen. Modi bezeichnete diesen Moment, in dem das Land kurzzeitig in eine Autokratie abgerutscht wäre, als "schwarzen Fleck" in der indischen Demokratie. Seine Regierung wird häufig gescholten, wegen eines populistischen, hindu-nationalistischen Kurses. Doch im Gegensatz zu China und im Vergleich zu Russland ist es eben trotzdem eine Demokratie. Eine sehr große, mit vielen Menschen, also auch ein Markt.
Dass Delhi weiterhin Beziehungen zu Russland pflegt, und diese auch nicht auf Druck des sogenannten Westens aufgeben will, hat vermutlich auch den Grund, dass man Moskau und Peking nicht noch stärker aufeinander zutreiben will. Wenn die beiden ihre Kräfte bündeln, ist das schlecht für Indien. Es wäre aber auch schlecht für die G 7, denn diese Märkte würden sich eine Weile gegenseitig genügen. Umso wichtiger, dass Modi und sein großes Land in der Welt nun einen höheren Stellenwert einnehmen.