Fremdenfeindlichkeit:Was Tröglitz von Rostock-Lichtenhagen unterscheidet

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Haltung zeigen gegen Rechtsextremismus: Sachsens-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (2.v.l) und Innenminister Holger Stahlknecht (3.v.l., beide CDU), informieren sich bei Einsatzkräften der Feuerwehr und Polizei über das ausgebrannte Haus in Tröglitz. (Foto: dpa)

Die jüngsten Anschläge auf Flüchtlingsheime erinnern an die frühen 90er-Jahre. Doch das Land hat sich seitdem stark verändert - zum Guten. Immer mehr Menschen stellen sich den Neonazis entgegen.

Kommentar von Heribert Prantl

Tröglitz hat viele Namen. Tröglitz heißt Porta Westfalica und Rabenau, es heißt Escheburg, Frankfurt/Oder und Berlin, es heißt Vorra in Mittelfranken und Malterdingen im badischen Land. Überall dort sind in jüngster Zeit Flüchtlinge überfallen, Flüchtlingsunterkünfte attackiert und angezündet worden. Tröglitz liegt also nicht nur im Osten Deutschlands; es liegt auch im Süden, im Norden und im Westen.

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Im Jahr 2014 wurden in der Bundesrepublik 150 Anschläge auf Asylbewerberheime amtlich registriert. Das gemahnt an die Ausschreitungen vor bald 25 Jahren, das gemahnt an die Jahre 1990 bis 1994, als Deutschland leicht entflammbar wurde und mörderische Brandanschläge fast alltäglich waren.

Anfang der neunziger Jahre fehlte es an mutigen Politikern

Aber damals gab es keine Bürgermeister und keine Landräte, die sich, wie heute, den Neonazis entschlossen entgegenstellten; sie kuschten damals vor dem Mob. Damals gab es auch nur wenige Bundespolitiker, die mit so klaren und entschiedenen Worten, wie es heute fast alle Bundespolitiker tun, sich gegen den rassistischen Wahn verwahren.

Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 eilten sie nicht an den Ort der Tat, um den Flüchtlingen ihr Mitgefühl zu zeigen; sie eilten nach ein paar oberflächlichen Sätzen der Betroffenheit in die Beratungszimmer, um das Asylgrundrecht zu ändern. Der Asylartikel wurde behandelt wie ein Scherzartikel. Es war damals so, als hätten die Randalierer und gewalttätigen Ausländerhasser die Türen zur Verfassungsänderung aufgestoßen. Die Attentate von heute sind auch die Früchte des Zurückweichens von 1993.

Die Attentate 2015 sind Früchte des Zurückweichens von 1993

Es gibt heute mehr Ächtung von Fremdenfeindlichkeit als damals: Die Empörung über Anschläge, wie soeben in Tröglitz, ist sehr viel größer als damals. Natürlich sind Hetze und Ausländerhass nicht verschwunden; das zeigen auch die Slogans der Pegida-Demonstranten. Aber der Widerstand gegen solche Tollerei ist größer geworden; die Wurstigkeit der Gesellschaft ist zu Ende. Es zeigt sich heute viel klarer, wer wo steht.

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Damals, vor 25 Jahren, konnten die Agitatoren gegen Ausländer und Flüchtlinge noch glauben, sie verträten eine schweigende Mehrheit, die ohne Einwanderer und ohne Flüchtlinge leben möchte. Wer heute nicht blind oder blöd ist, weiß, dass das nicht geht.

Unverschämtheiten einer ausländerfeindlichen Bagage zurückweisen

Es mag noch nicht die große Mehrheit der Bevölkerung sein, die eine Willkommenskultur propagiert. Aber die Anhänger eines guten Willkommens für Flüchtlinge und Einwanderer sind gewiss zahlreicher als die Pegidisten, die sich, vergeblich, ein Deutschland der Fünfzigerjahre zurückwünschen.

Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert: Der Migrationshintergrund eines stattlichen Teils der Bevölkerung zeigt sich nicht mehr nur im Hintergrund. Das ist gut so; und das wird dem Land guttun, weil nur so Integration funktionieren kann. Integration ist keine verschämte Angelegenheit. Und zur Integration und zu einer guten deutschen Zukunft gehört es auch, dass die ganze Gesellschaft die Unverschämtheiten einer ausländerfeindlichen Bagage zurückweist.

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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