Eigentlich wollte Bautzen über ein besseres Miteinander diskutieren. Ganz sachlich. Ein Bürgerforum Anfang Februar mit 850 Teilnehmern wurde aber zu einem Tribunal gegen jene, die Fremdenfeindlichkeit in der Stadt anprangern. Auf der Bühne stand, neben dem Unternehmer und Rechtspopulisten Jörg Drews, die Historikerin Annalena Schmidt, von der Bundesregierung als "Botschafterin für Toleranz" ausgezeichnet. Sie wurde zur Zielscheibe der Anfeindungen. Trotzdem erhofft sie sich positive Impulse von dem Abend.
SZ: Wie geht es Ihnen eine Woche nach dem Bürgerforum?
Annalena Schmidt: Gut. Über Twitter und Facebook habe ich mehr als 200 Nachrichten aus ganz Deutschland erhalten. Besonders wichtig sind die Reaktionen der Bautzener. Letztens hielt neben mir auf der Straße ein Auto, die Fensterscheibe ging runter, und eine mir unbekannte Person lobte mich für den Auftritt. Eine Frau brachte mir Blümchen ins Büro.
Das sind ganz andere Erlebnisse als jene, mit denen Sie bei der Diskussion konfrontiert waren. Sie hielten einen Impulsvortrag und wurden ausgebuht, als Sie das Grundgesetz zitierten. Eine Frau sagte, Sie sollten die Stadt verlassen.
Mich rief im Vorfeld die Polizei an und fragte, wie ich zum Veranstaltungsort komme und wieder zurück. Ich habe also mit Schlimmerem gerechnet: dass ich körperlich angegriffen werde, dass wir die Veranstaltung abbrechen müssen. Aber wir konnten zwei Stunden durchziehen. In der zweiten Hälfte des Abends haben sich auch Leute gegen die Pöbler gestellt. Eine Frau sagte, sie schäme sich. Eine andere meinte, sie fühle sich von den Angriffen gegen mich selbst angegriffen. Das hat mich sehr gefreut. Es war aber auch gut, dass einige ihre Wut rauslassen konnten. Das führt hoffentlich dazu, dass wir jetzt über konkrete Themen sprechen können.
Der Abend hat gezeigt, dass es Menschen gibt, die selbst elementare Regeln des Zusammenlebens wie unser Grundgesetz infrage stellen. Kann unter solchen Bedingungen überhaupt ein Miteinander gelingen?
Ich glaube nicht, dass wir in Bautzen jemals alle an einem Strang ziehen. In der Stadt gibt es politische Tendenzen, gegen die sich die Menschen positionieren müssen. Diese Tendenzen haben sich auch an dem Abend gezeigt. Da waren Vertreter der Identitären Bewegung, Anhänger der AfD und anderer rechtspopulistischer Gruppen anwesend. Ich verteidige Bautzen selten - aber das Publikum spiegelte nicht die Stadtgesellschaft.
Wo war die Stadtgesellschaft?
Viele Menschen kamen nicht mehr rein oder machten kehrt, als sie sahen, wer sich vor dem Veranstaltungsort versammelt hatte. Es gab auch Leute, die sich im Nachhinein bei mir entschuldigten, weil sie sich nicht getraut haben, auf die Bühne zu gehen.
Rechte dominierten die Diskussion . Die Bautzener erlebten, was mit jenen passiert, die sich positionieren. Hat das nicht alles noch schlimmer gemacht?
Es war vorher schon schlimm. Die Stadtgesellschaft hat lange geschwiegen, das Image Bautzens war wichtiger als die Auseinandersetzung mit politischen Problemen. Ich hoffe, der Schock über den Ablauf der Veranstaltung ändert das. Es gibt bereits erste Anzeichen. Die Menschen reden darüber, was schiefgelaufen ist. Selbst der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes hat sich kritisch geäußert.
Als es 2016 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Flüchtlingen kam, begannen Sie bei Twitter, Nazi-Schmierereien und fremdenfeindliche Übergriffe zu dokumentieren. Sind soziale Netzwerke der richtige Weg, um sich mit den Problemen vor Ort auseinanderzusetzen?
Vor Ort bringt es nichts. Aber ich vertrete die These, dass sich Bautzen nicht selbst helfen kann, sondern Hilfe von außen braucht. Journalisten und Landespolitiker müssen mitbekommen, was hier passiert.
Sie haben bei Twitter fast 5000 Follower. Nach außen prägen Sie das Bild der Stadt als rechte Hochburg. Können Sie verstehen, dass die Bautzener sauer sind?
Nicht ich habe das Bild geprägt. Das entstand von ganz allein, als im Herbst 2016 Flüchtlinge von Rechtsextremen angegriffen wurden. Die Bautzener sollten zudem dankbar sein, dass ich twittere. So wird deutlich, dass es hier auch Antifaschismus gibt.
Sie wurden in den sozialen Netzwerken angefeindet, es gab nächtliche Anrufe, die Drohung, dass ein Säureangriff auf Sie verübt werden sollte. Wie gehen Sie damit um?
Es gab Phasen, da habe ich auf der Straße geschaut, wer hinter mir läuft. Spätabends war ich nie allein unterwegs. Das hat sich geändert. Nach der Diskussionsveranstaltung lief ich ohne Begleitung nach Hause. Dann habe ich in sozialen Medien mitbekommen, dass in derselben Nacht Rechtsextreme vor meinem Briefkasten posiert haben.
Was wäre passiert, wenn Sie aufeinandergetroffen wären?
Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich naiv - aber wenn Rechte mich angreifen, können Polizei und Zivilgesellschaft das zumindest nicht als Streit unter Jugendlichen abtun, wie es bei Flüchtlingen passiert.