Freihandel:Von Nafta lernen

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Kein Wachstumsschub durch Nafta: Mexikanische Feldarbeiter in Kalifornien (Foto: John Moore/AFP)

Mit 20 Ländern haben die USA Verträge wie TTIP geschlossen. Aus dem wichtigsten, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta, lässt sich ableiten, was von vielen Ängsten und Hoffnungen rund um die transatlantischen Freihandelspläne zu halten ist.

Von Nikolaus Piper, New York

TTIP macht vielen Menschen Angst. Wie wird sich das Transatlantische Freihandelsabkommen auf Arbeitsplätze, Umwelt und Bürgerrechte auswirken? Um diese Frage zu beantworten, hilft der Blick in die Vergangenheit, der Vergleich mit bereits bestehenden Freihandelsabkommen. Die USA haben mit insgesamt 20 Ländern solche Verträge geschlossen. Am wichtigsten ist das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) zwischen den USA, Kanada und Mexiko von 1994. Es spaltet bis heute die Öffentlichkeit - trotzdem lassen sich aus 20 Jahren Nafta einige Lehren ziehen.

1. Neue Jobs entstehen nicht automatisch

Die größte Sorge vieler Nafta-Gegner war die Abwanderung von Arbeitsplätzen aus den USA nach Mexiko, wo Arbeit viel billiger ist. Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Ross Perot etwa warnte 1992 vor dem Verlust von 5,9 Millionen US-Jobs. Umgekehrt versprach der damalige US-Präsident Bill Clinton, Nafta werde binnen fünf Jahren eine Million Arbeitsplätze schaffen.

Sowohl Perot als auch Clinton lagen grob daneben. Eine Studie aus dem Peterson Institute for International Economics (PIIE) kommt zu dem Ergebnis, dass Nafta keine Jobs zerstört, aber auch längst nicht so viele geschaffen hat wie erhofft. Zwar seien teils die Löhne unter Druck geraten - ingesamt träfe dies aber nur auf fünf Prozent zu. Davon abgesehen, habe Nafta keine negativen Folgen für das Lohnniveau gehabt. Einer Studie des eher linken Economic Policy Institutes zufolge gingen allerdings durch Nafta bis zu 700 000 Jobs verloren oder wurden zumindest nicht geschaffen.

Freihandelsabkommen TTIP, Ein Angebot, das Sie ablehnen können (Video: Süddeutsche.de)

2. Nicht alle Wachstumshoffungen erfüllen sich

Von Nafta versprachen sich Politiker in Mexiko 1994 einen Wachstumsschub. Der ist ausgeblieben, auch Befürworter des Abkommens räumen ein, dass die Ergebnisse in dieser Hinsicht enttäuschend sind. In zwanzig Jahren Nafta stieg das mexikanische Bruttoinlandsprodukt jährlich um 1,3 Prozent, das chilenische dagegen um 3,1 Prozent.

Nach Meinung des PIIE ist Mexiko allerdings nicht wegen, sondern trotz Nafta so langsam gewachsen. Dafür spricht die simple Tatsache, dass auch Chile ein Freihandelsabkommen mit den USA hat. Mehrere Faktoren können das schwache Wachstum Mexikos stattdessen erklären: schlechte Infrastruktur, vergleichsweise hohe Korruption, der Krieg der Drogenkartelle. Freihandelsabkommen können nicht die internen Probleme eines Landes lösen - insofern sind manche Erwartungen von Befürwortern sicher überhöht.

3. Freihandelsabkommen können Gefahren für die Umwelt mit sich bringen

Die Umweltorganisation Sierra Club veröffentlichte eine Streitschrift, wonach Nafta zu schweren Umweltschäden geführt hat. Mehrere Argumente führt der Club an: Nafta habe zu mehr Wachstum der Industrie, mehr Lastwagenverkehr, mehr Abwässern und mehr toxischen Abfällen geführt. Der Export von billigem Mais aus den USA nach Mexiko habe dort die Existenz kleiner Farmer zerstört. Als Reaktion holzten Farmer die Wälder weiter ab oder fliehen als illegale Einwanderer in die USA.

Schließlich habe Nafta einen "Chill-Effekt": Die Bereitschaft der Behörden, die Umwelt zu schützen, kühle ab, weil alle fürchteten, die Nafta-Regeln zu verletzen und sich Ärger einzuhandeln. Beispielsweise lassen angeblich US-Anwälte in kanadischen Ministerien die Telefone klingeln, wenn diese eine Verordnung vorbereiten. In der alltäglichen Debatte um Umweltregeln in den USA spielt Nafta praktisch keine Rolle.

Einige der Behauptungen des Sierra Clubs sind leicht zu widerlegen: Der gelbe Mais, den die USA exportieren, wird in Mexiko vor allem ans Vieh verfüttert, der weiße einheimische Mais ist für die menschliche Ernährung vorgesehen. Beide konkurrieren also nicht miteinander. Das Tempo der Entwaldung ist in Mexiko im Laufe der Nafta-Jahre nicht gestiegen, sondern gesunken.

Die illegale Einwanderung aus Mexiko in die USA ist - gemessen an der Zahl der Aufgriffe an der Grenze - seit dem Jahr 2000 dramatisch gesunken. Das ist eine Tatsache, die wegen der hysterischen Propaganda rechter Gruppen kaum wahrgenommen wird. Schwerer zu beurteilen ist der "Chill-Effekt", jedenfalls solange niemand weiß, welche Gesetzesinitiativen genau wegen der Nafta-Regeln aufgegeben worden sind.

4. Schiedsgerichte für Investoren können Regierungen unter Druck setzen

Der Nafta-Vertrag enthält in seinem elften Kapitel auch einen Investorenschutz, wie er für das TTIP-Abkommen vorgesehen ist. Ausländische Investoren können so gegen Regierungen vor internationalen Schiedsgerichten klagen, wenn sie sich diskriminiert oder enteignet fühlen. Die Entscheidungen der Gerichte werden von den Außenministerien in Washington und Ottawa veröffentlicht.

Die US-amerikanische Regierung hat noch nie ein Schiedsverfahren verloren, wohl aber die kanadische und die mexikanische. Zum Beispiel verklagte die Giftmüll-Firma Metalclad aus den USA 1997 Mexiko, weil die Behörden ihr den Betrieb einer Deponie untersagt hatten. Begründung der Klage: Die Deponie hätte den Gesetzen entsprochen und die Firma war von den mexikanischen Behörden ausdrücklich zu deren Bau eingeladen worden. Das Gericht sprach Metalclad eine Entschädigung von 16,7 Millionen Dollar zu.

1998 klagte S.D. Myers aus Ohio, ein Spezialist für die Entsorgung für Giftmüll, gegen die Regierung von Kanada, weil diese den Export von PCB-haltigen Müll verboten hatte. S.D. Myers sah darin einen Fall von Diskriminierung. Nach einem langen Verfahren bekam die Firma in zwei von vier Klagepunkten recht und wurde mit fünf Millionen Dollar entschädigt.

Interessant sind aber auch Fälle, in denen Klagen niedergeschlagen wurden: Glamis Gold Ltd., ein Bergbau-Unternehmen aus Vancouver, klagte 2009 gegen Umweltvorschriften, die den Betrieb einer Goldmine im Süden Kaliforniens behinderten. Sie seien, so Glamis beziehungsweise sein Rechtsnachfolger Goldcorp, ein Akt der Enteignung. Ein Teil der Vorschriften betraf auch heilige Stätten der Quechan-Indianer. Das Schiedsgericht verwarf die Klage: Umweltschutz sei keine Enteignung. Die US-Regierung hat in ihre Vorschläge zum Investorenschutz Änderungen eingebaut, die den Missbrauch des Instruments verhindern sollen.

5. Schutzstandards müssen nicht sinken

Es gibt keine Indizien dafür, dass Nafta in irgendeiner Weise die hohen Standards für Medikamente, Lebensmittel und Produktsicherheit in den Vereinigten Staaten und Kanada beeinträchtigt hat. Einen Fall allerdings führt der Sierra Club in seiner Streitschrift an: 2011 vereinbarte Präsident Obama mit der mexikanischen Regierung ein Pilotprojekt, wonach mexikanische Lastwagen auf US-amerikanischen Straßen zugelassen werden. Unternehmer und Gewerkschaften in den grenznahen US-Bundesstaaten hatten sich jahrelang dagegen gewehrt, weil die mexikanischen Laster angeblich unsicherer seien als die eigenen. Offen ist, ob es bei dem Widerstand um Sicherheit ging oder eher um die Abwehr unliebsamer Konkurrenz.

6. Ein Abkommen kann unbeabsichtigte Folgen haben

Nach Erkenntnissen von Staatsanwälten nutzen mexikanische Drogengangs den erleichterten Grenzübergang, um ihre Ware schneller und billiger an den Konsumenten zu bringen. Das bestätigte die Sonderanwältin New Yorks für Drogendelikte, Bridget Brennan, der SZ.

Linktipp:

  • In einem Online-Projekt zum Freihandelsabkommen TTIP hat die Lehrredaktion der Klasse 52 B der Deutschen Journalistenschule eine umfassende Infografik zu Nafta erarbeitet.
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