Kampf um Gleichberechtigung nach 1945:Als der Mann zur Last wurde

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland

Frauen suchen in einem Lager für deutsche Kriegsgefangene nach Angehörigen.

(Foto: dpa)
  • In den Nachkriegsjahren haben die Frauen nichts mehr herbei gesehnt als die Rückkehr ihrer Männer, damit die ihnen helfen konnten. Als sie dann kamen waren sie ihnen vor allem lästig.
  • Sie mussten ihre Berufe zugunsten der Männer aufgeben und auch bei der Kindererziehung hatte plötzlich der Vater das letzte Wort. Das Gesetz stand dabei auf deren Seite.
  • Manche Frauen versuchten aufzubegehren, mussten aber damit rechnen, ihren Job zu verlieren. Die Zahl der Scheidungen stieg drastisch.

Von Annette Ramelsberger

Es gibt diesen kleinen, zutiefst verstörenden Moment im Film "Das Wunder von Bern", diesem Nachkriegsepos, das die Geschichte Deutschlands, des deutschen Fußballs und das einer kleinen Familie aus dem Ruhrpott miteinander verwebt. Da kommt der Vater aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft 1954 nach Hause, er steigt aus dem Zug, die Familie wartet gespannt auf dem Bahnsteig. Dann stürzt der Mann auf seine Frau zu, umarmt sie. Doch die Frau entzieht sich ihm erschreckt: Das Mädchen, das er für seine Ehefrau hält, ist seine Tochter. Und die Ehefrau steht daneben - abgearbeitet, verhärmt, ergraut. Wie unter einem Brennglas sieht sie, was aus ihr geworden ist: eine alte Frau, die ihr Mann nicht wiedererkennt.

Und er fühlt sich beschämt, wie ein Fremder in einer Familie, die ihn nicht mehr braucht. Die Kinder sind groß, die Frau hat sie alleine durchgebracht durch Krieg und Not. Nicht er hat die Familie beschützt, sondern sie. Selbst die Vaterrolle hat ein anderer eingenommen, wenn auch nur im Herzen des Sohns: Helmut Rahn, der Mann, der Deutschland zum Fußball-Weltmeister machen wird. Und nun kommt dieser graue, geschwächte Vater aus Russland heim und mäkelt an allem rum. An den Manieren der Kinder, an der Erziehungsmethode der Mutter. Und als die Frau nachts im Bett zaghafte Versuche macht, ihn wieder zurückzugewinnen, winkt er ab. Es ist zehn Jahre her, dass sie sich zuletzt sahen. Zehn Jahre und ein ganzes Leben.

"Kann ich mir einen Mann leisten?" fragt eine Zeitung ihre Leserinnen

So sehr hatten sich die Frauen all die Kriegs- und Nachkriegsjahre danach gesehnt, dass ihre Männer wieder heimkehrten. Dass sie nicht für immer vermisst blieben, gefallen oder verhungert. Dass sie endlich heimkämen und ihnen halfen im Kampf ums Überleben. Und dann kamen sie wieder und waren - lästig.

"Kann ich mir einen Mann leisten?" fragte 1948 das Hamburger Echo seine Leserinnen. Und die Frauen antworteten freimütig. Eine 32 Jahre alte Schaffnerin und Mutter schrieb: "Zuerst war er sehr erholungsbedürftig, ich habe alles getan, um ihn zu pflegen und ihm zu helfen." Die Männer waren ja geschwächt von der Gefangenschaft. Nach kurzer Hingabe aber kamen der jungen Frau Zweifel. "Ich wäre doch leichter ohne Mann dran. Ich muss vier Personen ernähren und mein Mann isst am meisten."

Nicht die Liebe, sondern der Hunger war am Ende des Krieges allgegenwärtig. Es ging ums Essen, ums Überleben, ums Durchbringen der Familie. Und diese Aufgabe blieb vor allem an den Frauen hängen. Es waren ja nur noch sie da.

Mehr als fünf Millionen deutsche Soldaten waren im Krieg gefallen, unmittelbar nach Kriegsende waren 12 Millionen Soldaten in Gefangenschaft. Es gab meist nur noch die Alten, die nicht mehr eingezogen werden konnten, und die ganz Jungen, die fast noch Kinder waren. Zwei Drittel der Bevölkerung waren Frauen. In Hamburg zum Beispiel kamen 1946 auf 100 Männer zwischen 20 und 25 Jahren 160 Frauen.

Diese Frauen waren in den Bombennächten in den Kellern gesessen und hatten die Kinder getröstet, sie waren nach oben geklettert und hatten die letzten Habseligkeiten aus den zerstörten Wohnungen geholt. Sie hatten Steine geklopft, waren mit schweren Rucksäcken aufs Land gefahren, zum "Hamstern". Sie hatten den Wintermantel der Tochter gegen ein Kilo Mehl eingetauscht und die Bauern angebettelt, ihnen wenigstens ein paar Pfund Äpfel zu geben. Sie hatten aufgeboten, was sie hatten, manchmal auch den eigenen Körper. Sie lebten in Baracken, sogenannten Nissenhütten, wo die Läuse über die Kinder herfielen und sie mühselig die Wäsche auskochten. Doch: Sie hatten überlebt. Und sie waren die Mehrheit.

Sie arbeiteten überall dort, wo früher die Männer gearbeitet hatten: Als Lehrerinnen, Schaffnerinnen, Trambahnfahrerinnen, als Maurerinnen, Dachdeckerinnen, Glaserinnen, Schreinerinnen. Sie packten die Loren voll mit Abbruchgeröll, sie schleppten die Ziegelsteine. Und dann kamen die Männer zurück und wollten wieder ein liebes, anschmiegsames Weibchen haben.

Ein Gesetz sollte die Frauen ins Haus zurückdrängen

Und ihren alten Job. Zumindest das mit dem Job gelang ihnen sehr schnell sehr gut. Plötzlich erklärten ärztliche Gutachten, dass die zarten Frauen den Anforderungen im schweren Männerberuf nicht gewachsen seien - all die Jahre zuvor waren sie es durchaus gewesen. In den Kirchen wurde gepredigt, die Frauen sollten doch Platz machen für die armen Männer und wieder an den Herd zurückkehren. Lehrerinnen, aber auch alle anderen Beamtinnen, die heirateten, wurden gezwungen, ihren Beruf aufzugeben.

Die "Zölibatsklausel" bestimmte, dass verheiratete Beamtinnen entlassen werden mussten, sobald das Familieneinkommen auch ohne ihren Verdienst ausreichte, die Familie zu ernähren. Solche Klauseln waren bis in die 50er-Jahre hinein in vielen Arbeitsverträgen verbreitet. Das "Doppelverdienergesetz" sollte die Frauen ins Haus zurückdrängen: Wenn schon der Ehemann Arbeit hatte, so sollte doch die Frau ihren Job aufgeben, auf dass ein anderer Mann seine Familie ernähren könne.

Arbeitete eine Frau weiter, galt sie in vielen Augen als egoistisch und asozial. Ihre Kinder wurden als "Schlüsselkinder" diffamiert, die armen Kleinen trugen den Schlüssel zur Wohnung um den Hals und mussten sich mittags allein das Essen warm machen, weil die Mutter nicht zu Hause war. Bis in die 60er-Jahre hinein wurde dieses Bild transportiert, im Film "Das doppelte Lottchen" schafft es die alleinstehende, bemitleidenswerte, berufstätige Mutter vor lauter Stress nicht einmal, die Tochter von der Klassenreise abzuholen, und die vertauschte Tochter muss sich plötzlich das Essen selbst zubereiten. Das Happy End ist systemgerecht: Am Ende kehrt die Frau wieder zum Ehemann und an ihren angestammten Platz zurück. Natürlich gibt sie dafür ihren Beruf auf.

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