Der letzte große österreichische Kaiser Franz Joseph I. ist vor hundert Jahren gestorben. Doch präsent ist er immer noch. Die Fernsehtalkshow "Wir sind Kaiser" hat in Österreich schon bis zu dreißig Prozent Einschaltquote erzielt.
Der Kabarettist Robert Palfrader parodiert darin den Habsburger Monarchen, und die meisten seiner Gäste können nicht anders als mitzuspielen: Sie benehmen sich, als säßen sie wirklich einer Majestät gegenüber. Könnte ein deutscher Kaiser heute noch Quote machen im Fernsehen? Nein. Die Donaumonarchie aber, die lebt fort. Als hochverehrte Karikatur.
Eine Zäsur in der europäischen Geschichte
Wien trauerte, als am Morgen des 22. November 1916 die Nachricht vom Ableben des Kaisers von Schloss Schönbrunn aus in die Stadt drang. Franz Joseph war am Abend zuvor gestorben. Glaubt man den Zeitungen, herrschte tiefe Bestürzung.
Der Historiker Mario Döberl, der Briefe, Memoiren und Tagebücher aus dieser Zeit untersucht hat, spricht von einem Ereignis, an das sich viele Menschen ihr Leben lang erinnerten. Wie der Mauerfall oder 9/11.
Auch wenn Zeitzeugen wie Arthur Schnitzler keine große Erschütterung bemerkten und die Monarchie unter Franz Josephs Großneffen Karl noch zwei Jahre überdauerte, bildete dieser Tod eine Zäsur in der europäischen Geschichte.
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In Franz Joseph starb der Kopf der Donaumonarchie. Bald schrumpfte Wien, das Zentrum des mächtigen Habsburgerreiches, in seiner Bedeutung zu einer Touristenattraktion.
Wenn demokratisch gewählte Politiker heute drei bis vier Amtszeiten bewältigt haben, werden die Wähler ihrer oft überdrüssig. Bei Franz Joseph I., dem Dauerregenten, war das anders.
Seine Beliebtheit bei all seinen vielsprachigen Untertanen zwischen Lemberg, Krakau, Prag, Eger, Linz, Innsbruck, Trient, Rijeka, Sarajevo, Hermannstadt und Czernowitz, die unter anderem deutsch, ungarisch, rumänisch, ukrainisch, tschechisch, kroatisch und italienisch sprachen, nahm von Jahr zu Jahr zu.
Franz Joseph wurde im zarten Alter von 18 Jahren Kaiser - er blieb es fast 68 Jahre lang. Schon zu Lebzeiten wurde er zu einer Nostalgiegestalt, die eine gute alte Zeit verkörperte. Die Menschen spürten den Wandel. Und den Niedergang.
Der Kaiser selbst ignorierte sein eigenes Ende. Er ging an seinem Todestag mit den Worten ins Bett: "Bitte mich morgen um halb vier zu wecken: Ich bin mit meiner Arbeit nicht fertig geworden." Franz Joseph war ein Aktenfresser. Um 21.05 Uhr stellte sein Leibarzt den Tod fest.
Im Befund der Totenschau, einem damals längst üblichen Formular, steht: "Vor- und Zunamen: S. M. Kaiser Franz Joseph I. Berufszweig und Berufsstellung: Kaiser von Österreich, König von Ungarn etc., etc. Glaubensbekenntnis: römisch-katholisch. Stand: Verwitwet.
Unmittelbare Todesursache nebst Angabe der etwaigen Grundkrankheiten, aus welcher sich die unmittelbare Todesursache entwickelt hat: Herzschwäche nach Lungen- und Rippenfellentzündung." Unter seiner Herrschaft hatte sich auch die Bürokratie entwickelt.
Gemessen an anderen Monarchen war Franz Joseph ein moderater Herrscher. Sein Selbstverständnis beruhte zwar immer noch auf dem Gottesgnadentum: Gott allein setzt den Herrscher ein. Sein Lebenswandel hingegen war schon wesentlich liberaler.
Seine Frau Elisabeth, genannt Sisi, betrog er nach Belieben. Wenn Mätressen am Wiener Hof in vorangegangenen Jahrhunderten zumeist namenlos blieben, so nahm die Öffentlichkeit von den Nebenfrauen des Kaisers schon diskret Notiz. Hier eine einfache Beamtengattin, da eine Schauspielerin. Der Kaiser war ja auch nur ein Mann.
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Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Texte der Kaiserhymne im 19. Jahrhundert. Es handelt sich um jene Melodie von Joseph Haydn, die heute als deutsche Nationalhymne erklingt. Franz Josephs Vorgänger Ferdinand, der in den Revolutionswirren des Jahres 1848 abdankte, ließ sich in nahezu jedem Vers selbst besingen.
Franz Joseph hingegen segnete sechs Jahre nach seiner Thronbesteigung einen sechsstrophigen Text ab, der für seine Untertanen das war, was man heute als musikalische corporate identity bezeichnet. Es ist ein Appell an die Eintracht der vielen Völker unter seiner Krone. "Lasst uns fest zusammenhalten", heißt es und "Lasst uns Eins durch Brüderbande gleichem Ziel entgegengehn!" Auch seine Frau, die "holde Kaiserin", lässt er hochleben: "Reich an Reiz, der nie veraltet. Heil Elisen."
Die ganze Welt in Schwarz
Acht Rappen zogen am Abend des 30. November die mächtige Leichenkutsche des Hofes aus Schönbrunn in die Pfarrkirche der Hofburg. Nach den Schilderungen der Wiener Zeitungen standen Hunderttausende Menschen an den Straßen. Der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky wurde als Fünfjähriger Augenzeuge. "Als der Trauerkondukt endlich herankam", schrieb er, "schien es mir, als fülle sich die ganze Welt mit Schwarz.
Es war eine einzige Demonstration der Schwärze und in den Gesichtern der Menschen waren Schmerz und Sorge zu lesen; was mochte jetzt werden?" Europa befand sich mitten im Ersten Weltkrieg, es herrschte Not in Wien.
Die Familie Kreisky hatte nicht einmal Kohle zum Heizen. "Es war ein Tag der Kälte und Düsternis in jedem Sinne und noch in der Erinnerung hat er etwas Unheilvolles." Von pompösen Funeralien haben die Österreicher schon immer was verstanden.
Franz Joseph sollte mit offenem Sarg in der Hofburg aufgebahrt werden. Das Konservieren des Leichnams gestaltete sich schwierig, der Kaiser verlor seine vertrauten Gesichtszüge. Also schloss man den Sarg. Die Österreicher sollten ihn in Erinnerung behalten, wie sie ihn kannten.