Terror in Frankreich:Er hasste den Lehrer, weil der die Liebe zur Republik weckte

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Schüler und Lehrkräfte einer Schule in Lyon gedenken des Lehrers Dominique Bernard, der erstochen wurde, weil er Französisch unterrichtete. (Foto: Jeff Pachoud/AFP)

In einem seltenen Protokoll erzählt der junge russische Islamist, der im vergangenen Herbst in Nordfrankreich einen Lehrer ermordet hat, warum er gerade ihn tötete.

Von Oliver Meiler, Paris

Es kommt nicht oft vor, dass islamistische Terroristen nach einem Attentat über ihre Tat sprechen, ihre Radikalisierung, ihre Motive und Kontakte. Das wäre hilfreich für die Ermittler. Doch in den meisten Fällen sind sie nach dem Anschlag tot.

Der 21-jährige Russe Mohammed M., der im vergangenen Herbst auf einem Schulhof im nordfranzösischen Arras einen Lehrer getötet hatte, konnte lebend gefasst werden. Und er redet, geständig und ohne Reue. Einigen französischen Medien wurden Protokolle aus seinen Anhörungen durch die Untersuchungsrichter zugespielt, sie öffnen den Abgrund einer offenbar genau geplanten Tat. In Frankreich war sie bisher als mögliche Folge des Kriegs in Nahost gedeutet worden - als ein Beleg dafür, dass nun auch in Frankreich die Terrorgefahr wieder steigen würde. Doch diese Interpretation war wohl falsch. Das Attentat habe er viel früher geplant, sagte Mohammed M. den Ermittlern. "Vor dem 7. Oktober, ganz sicher."

Der Mörder hatte sein Opfer wochenlang beobachtet

Am 13. Oktober 2023 um elf Uhr hat der frühere Schüler des Lycée Gambetta von Arras auf seinen ehemaligen Französischlehrer Dominique Bernard, 57 Jahre alt, eingestochen und diesen dabei tödlich verletzt. Der Lehrer war gerade unterwegs zur Kantine, wie jeden Freitag zur genau gleichen Zeit, mit zwei Kollegen. Sein Mörder hatte ihn in den Wochen davor beobachtet, hatte jede Einzelheit auf einem Blatt Papier notiert, die Initialen der Namen der anderen Lehrer, die genaue Uhrzeit der Schulglocke, die ganze Routine. Er hatte zwei Messer dabei, die er in einem Supermarkt gekauft hatte.

Sein Ziel war allein Dominique Bernard, ihn wollte er töten. Was dann noch passierte, die Verletzung von drei weiteren Personen, die Bernard helfen wollten, sei "improvisiert" gewesen. Den Lehrer habe er nicht etwa deshalb ausgewählt, weil er mit ihm Probleme gehabt hätte, damals als Schüler. Sondern weil Bernard Französisch unterrichtet habe. "Das ist eines dieser Fächer, in denen die Leidenschaft, die Liebe, die Verbundenheit zum ganzen System übermittelt wird, zur Republik, zur Demokratie, zu den Menschenrechten", sagte er. Er hasse diese Werte, sie seien etwas für Ungläubige. Und die Schule sei das "absolute Symbol" dafür, die Wiege.

Soldaten sichern die Gambetta-Schule in Arras nach dem Attentat. (Foto: Denis Charlet/AFP)

Mohammed M. wuchs in einer Familie auf, die zu Beginn der Nullerjahre aus der autonomen russischen Republik Inguschetien nach Frankreich geflohen war. Sein Vater, erzählte er nun, habe der Familie immer eine strenge Auslegung des Islam aufgezwungen. 2018 wurde der Vater ausgewiesen, wegen häuslicher Gewalt.

Der Täter radikalisierte sich, als sein Bruder verhaftet wurde

Mohammed M. soll sich selbst lange nicht für Religion interessiert haben, er ging auch nicht in die Moschee. Das änderte sich, als sein älterer Bruder Movsar wegen des Verdachts auf islamistischen Terrorismus verhaftet wurde: Er soll mitgewirkt haben an einem Plan, den Élysée-Palast mit Kalaschnikows anzugreifen. Die Geheimdienste deckten die Zelle rechtzeitig auf. Zunächst sei er geschockt gewesen: der eigene Bruder, verwickelt in eine Terrorgeschichte! "Mit der Zeit habe ich mich aber dafür interessiert, das hat mich radikalisiert."

Nun, da der Bruder im Gefängnis saß, fiel Mohammed M. die Aufgabe zu, im Namen des Vaters seine Mutter und seine Schwester zu maßregeln. Die wollten nämlich lieber westlich leben und liebten die republikanischen Freiheiten. Mohamed M. las den Koran von vorn bis hinten, immer wieder, vor allem auch die Passagen zum Dschihad. Und Texte, die dem Dschihad huldigten. "Böse Zungen würden sagen, dass das Propaganda ist, Gehirnwäsche." Im vergangenen Jahr verbiss er sich dann immer mehr ins Thema.

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Den Inlandsgeheimdiensten war das nicht entgangen. Sie setzten ihn auf die Liste der "Fichés S" - so nennt man in Frankreich Personen, die verdächtigt werden, sie könnten der Staatssicherheit schaden. Sie stehen unter Beobachtung. Mohammed M. hinderte das aber nicht daran, seinerseits Dominique Bernard zu beobachten.

Er habe allein gehandelt, behauptet Mohammed M., niemand aus der Familie habe von seinen Plänen gewusst. Er frage sich, wie es bei ihm so weit gekommen sei. "Niemand tötet einfach so Leute, aus Lust, schon gar nicht mit dem Messer", sagte er. Die moralische Frage, ob das gut war, was er getan habe, oder schlecht, oder verdient - mit der setze er sich jetzt gerade erst auseinander.

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