Frankreich:Das letzte Aufbäumen gegen Macrons Rentenreform

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Dass das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre steigt, macht nicht unbedingt jeden Franzosen glücklich. Am Dienstag brannten in Paris wieder Barrikaden. (Foto: Michel Euler/dpa)

Noch einmal ziehen die Franzosen auf die Straße. Doch es werden weniger. Das Parlament unternimmt einen letzten Versuch, das Gesetz auszuhebeln.

Von Thomas Kirchner, Paris

Zum 14. Mal in diesem Jahr haben am Dienstag wieder Tausende Franzosen landesweit gegen die umstrittene Rentenreform protestiert. In vielen Städten kam es zu Streiks und Demonstrationen, der Flugverkehr war stärker beeinträchtigt, der Schienentransport kaum. An den Protesten hätten sich diesmal deutlich weniger Menschen beteiligt, hieß es im Fernsehen. Etwa 11 000 Polizisten und Gendarmen waren im Einsatz, um, wie es Innenminister Gérald Darmanin leicht zynisch formulierte, "die Sicherheit der Demonstrationen zu gewährleisten und das Demonstrationsrecht zu garantieren".

Wie all die Male zuvor gaben Demonstrierende in den Medien ihren Ärger darüber zu Protokoll, dass das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre steigt. Sie hätten ihr Leben lang hart gearbeitet, sagten manche, fühlten sich "abgenutzt", und nun nehme ihnen die Regierung zwei Jahre Rente weg. Viele sind auch noch immer wütend darüber, dass Premierministerin Élisabeth Borne die Reform am Parlament vorbei verabschiedete, weil sie keine ausreichende Mehrheit hinter sich hatte. Sie fühlen sich missachtet durch die Regierung.

Der Widerstand gegen Macrons Rentenreform könnte sich verändern

Die Protestierenden wissen, dass ihr Einsatz, was das Ziel betrifft, eigentlich vergeblich ist. Die Reform ist Gesetz, sie soll im September in Kraft treten. Am Sonntag wurden die ersten zwei Dekrete zur Umsetzung veröffentlicht. Mitglieder der Partei von Präsident Emmanuel Macron bekräftigen, dass das Thema politisch durch sei. Laurent Berger, Chef der moderaten Gewerkschaft CFDT, widerspricht: "Der Präsident liegt falsch, wenn er glaubt, dass dies in den Köpfen der Leute vorbei ist. Das ist nicht wahr. Sie sind nicht fertig damit." Allerdings räumte Berger ein, dass dies wohl der letzte Aktionstag dieser Art gewesen sei. "Das Match geht zu Ende." Der Widerstand werde andere Formen annehmen.

Im Parlament lebt er vorerst fort. An diesem Donnerstag versucht es die kleine oppositionelle Liot-Fraktion noch einmal. Es ist der Tag ihrer "parlamentarischen Nische", an dem sie selbst die Agenda bestimmen darf. Die zentristische Gruppe bringt ein Gesetz ein, das das höhere Rentenalter kippen würde. Über den Vorstoß wird seit Wochen geraunt in Paris; Liot hatte die Regierung schon im April mit einem fast erfolgreichen Misstrauensantrag an den Rand des Abgrunds gebracht. Fraglich ist, ob es zu einer Abstimmung kommt über die Vorlage, die von links außen und rechts außen sowie Teilen der konservativen Republikaner unterstützt wird.

In Frankreich wird erneut gegen die umstrittene Rentenreform demonstriert. Präsident Emmanuel Macron ist derweil im Land unterwegs, um seine Politik vorzustellen. (Foto: Ludovic Marin /AFP)

Das Regierungslager nimmt den Angriff ernst und wird ihn wohl unter Verweis auf Artikel 40 der Verfassung bekämpfen. Er untersagt Vorschläge, die auf eine "Verschlechterung der öffentlichen Einnahmen" abzielen. Macron-Getreue nennen den Gesetzesvorschlag "unverantwortlich", auch weil Frankreich kürzlich von der Ratingagentur Fitch auf "AA-" herabgestuft worden sei. In der Begründung hatte Fitch auf die "starken sozialen Spannungen" rund um die Rentenreform verwiesen, das Land stecke in einer "politischen Sackgasse".

Neue Zahlen zur Steuergerechtigkeit heizen die Debatte an

Macron selbst ist derweil unterwegs im Land, um seine Politik vorzustellen: Waldbrände bekämpfen, Bildung verbessern, die Verteidigung stärken, eine "grüne Re-Industrialisierung" herbeiführen. Das alles ist Teil seines Mitte April in einem Fernsehinterview verkündeten Plans, das Land nach dem Rentenstreit innerhalb von 100 Tagen zu "befrieden". Am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, will er Bilanz ziehen. Zur Halbzeit lässt sich sagen, dass er sein Ziel halb erreicht hat. Einerseits ist die Zahl der Teilnehmer an den Protesten zuletzt deutlich gesunken und sein Beliebtheitswert leicht gestiegen: von 25 auf immer noch niedrige 29 Prozent.

Andererseits werden viele Projekte der Regierung in der Nationalversammlung blockiert. Die kommenden vier Wochen würden politisch "sportlich", sagte Stéphane Séjourné (Renaissance), einer der ältesten Weggefährten Macrons, am Dienstag. Die Regierung habe nun einmal keine Mehrheit im Parlament, das sei eine "harte Lehre" für die französische Politik. "Wir sind immer noch dabei, eine neue politische Kultur zu etablieren. Es fällt uns schwer, Kompromisse zu machen, Koalitionen zu schließen."

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Zusätzlich aufgeheizt wurde die soziale Debatte am Dienstag mit neuen Zahlen zur Steuergerechtigkeit, einem allzeit brisanten Thema in Frankreich. Laut einer Studie des Institut des Politiques Publiques zahlen Superreiche kaum noch Steuern. Der effektive Steuersatz der Allerreichsten im Land sinkt demnach mit der Größe ihres Vermögens, bei den obersten 0,1 Prozent liegt er bei gerade mal 26,2 Prozent. Anders gesagt: Je reicher, desto weniger Belastung. Grund ist nach Ansicht der Studienautoren, dass die meisten Milliardäre Großaktionäre von Unternehmen sind, was steuerlich weniger zu Buche schlägt. Würde ihr Vermögen so progressiv besteuert, wie es der Gesetzgeber eigentlich vorgesehen hat, läge der Steuersatz bei knapp 60 Prozent. Die Daten stammen von 2016, also von vor der Regierungszeit Macrons.

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