Frankreich:Wie in seiner ersten Amtszeit, nur ein bisschen schlimmer

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Emmanuel Macron bleibt Präsident Frankreichs - aber dass die nächsten Jahre ruhig werden, das glaubt er selbst nicht. (Foto: Michel Euler/dpa)

Worauf sich Emmanuel Macron nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten gefasst machen muss.

Von Thomas Kirchner, Paris

Als der Schriftsteller Michel Houellebecq mitten in der Pandemie über die Zeit danach gefragt wurde, sagte er: "Wir werden nicht in einer neuen Welt aufwachen; es wird genau dieselbe sein, nur ein bisschen schlimmer." Daran erinnerte am Montag der Radiosender France Culture, um zu verdeutlichen, was Emmanuel Macron nach seiner Wiederwahl als Präsident erwarte: Die Ausgangslage bleibe gleich, sie könnte nur etwas schwieriger werden.

Macron ist es ein zweites Mal gelungen, den Extremismus in Schach zu halten. Aber sein Vorsprung vor Marine Le Pen ist von 32 Prozentpunkten 2017 auf nur noch 17 geschrumpft. Die Rechtsextreme steigerte ihr Ergebnis von etwa zehn auf 13 Millionen Stimmen. Die generelle Unzufriedenheit der Franzosen mit der Politik ist gewachsen, wie die mehr als 60 Prozent Protestwähler in der ersten Wahlrunde bezeugten. Le Pen bleibt in der Politik, obwohl sie im Februar angedeutet hatte, dass dies ihr letzter Präsidentschaftswahlkampf sein werde. Auf der Linken will auch Jean-Luc Mélenchon seinen Kampf fortsetzen. Zu rechnen ist mit weiteren gewaltsamen Straßenprotesten. Statt die politische Mitte zu stärken, wie Macron es 2017 versprach, hat er die Ränder gestärkt. Die ihm freundlich gesinnte Zeitung Le Monde sieht darin ein "historisches Scheitern".

Ruhig würden die kommenden Jahre "ganz sicher nicht", gestand der Wahlsieger selbst ein. Ohne konkret zu werden, versprach er eine "neue Ära", es werde nicht so weitergehen wie bisher. Eine erste Herausforderung sind die Wahlen für eine neue Nationalversammlung im Juni. Abermals muss Macron versuchen, jenseits seiner eher schwachen, erst sechs Jahre alten Bewegung La République en Marche eine präsidentielle Mehrheit der Mitte zusammenzuzimmern. Zählen kann er auf zentristische Parteien wie MoDem von François Bayrou und Horizons von Édouard Philippe. Darüber hinaus wird er bei der gemäßigten Linken, vor allem beim Parti socialiste, vermutlich eher Erfolg haben als bei den bürgerlichen Républicains, deren Parteiführung eine härtere Opposition angekündigt hat.

Das bisherige Kabinett unter Premierminister Jean Castex wird vermutlich noch ein paar Tage im Amt bleiben. Wen Macron zum neuen Regierungschef ernennt, ist offen. 2017 hatte er versprochen, eine Frau zu ernennen, sich aber nicht daran gehalten. Gute Chancen werden nun der linken Arbeitsministerin Élisabeth Borne zugesprochen, die auch am ehesten zu Macrons Ankündigung vom Wahlabend passte, Frankreich zu einer "ökologischen Nation" zu machen. Die ebenfalls genannte Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, steht vermutlich zu weit rechts. Daneben zirkuliert der Name von Agrarminister Julien Denormandie, der als fähig beschrieben wird, aber auch als eine Art jüngere Kopie Macrons, was ihm als Nachteil ausgelegt wird.

Nach dem Termin im Juni stehen bis zur Europawahl 2024 keine bedeutenden Urnengänge mehr an in Frankreich. Diese Periode muss Macron nutzen, um sein Programm umzusetzen. Schon im Sommer soll ein Paket zur Stärkung der Kaufkraft verabschiedet werden, das unter anderem erhöhte Rentenzahlungen und Sozialleistungen sowie eine Verlängerung der Prämie vorsieht, die Arbeitgeber bedürftigen Angestellten steuerfrei zahlen können.

An die Rentenreform wird Macron sich wohl erst im Herbst wagen

Erst im Herbst dürfte sich der Präsident an eines seiner wichtigsten Vorhaben wagen, die Rentenreform. Unter anderem sollen das Renteneintrittsalter von 62 auf 65 Jahre erhöht sowie zahlreiche Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen abgeschafft werden. Mehrmals musste das Projekt verschoben werden, zunächst wegen der Proteste der Gilets jaunes, dann wegen der Pandemie. Eine Mehrheit ist eher unsicher, sodass die Regierung gezwungen sein könnte, das Vorhaben ohne Abstimmung im Parlament zu beschließen. Das erlaubt Artikel 49, Absatz 3 der Verfassung unter bestimmten Bedingungen.

Schon bei dem vorherigen Versuch kurz vor der Pandemie hatte der Premierminister diesen umstrittenen, als besonders undemokratisch geltenden Paragrafen gezückt. Er wünsche den Einsatz von 49,3 nicht, sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am Montag. Eine Garantie könne er aber nicht geben. Mélenchon geißelte die Aussage umgehend als Wortbruch, weil Macron noch vor Tagen umfangreiche Konsultationen mit den Abgeordneten und den Sozialpartnern über die Reform versprochen hatte.

Geplant sind zudem Initiativen in der Gesundheits-, Bildungs-, Justiz- und Seniorenpolitik, wo es vor allem darum geht, ältere Menschen selbstbestimmter über ihre Lebensumstände entscheiden zu lassen. Hier kann Macron sein Versprechen einer partizipativeren, bürgernäheren Politik umsetzen. Ebenso wohl auch bei dem Plan, die staatlichen Institutionen und das politische System zu reformieren. Dazu soll eine überparteiliche Kommission eingesetzt werden.

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