Macron über "Bodentruppen":Strategie oder Malheur?

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Fraglich ist, ob der französische Präsident Emmanuel Macron das Thema Bodentruppen auch erwähnt hätte, wenn er nicht danach gefragt worden wäre. (Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters)

Frankreichs Präsident kassiert für seine Gedankenspiele über westliche Bodentruppen in der Ukraine auch im eigenen Land harte Kritik. Seine Minister versuchen, den Schaden zu begrenzen. Aber hat Macron sich wirklich nur verplappert?

Von Oliver Meiler, Paris

Ein "Flop". Ein "Fiasko". Eine folie, eine Verrücktheit. Emmanuel Macrons mehr oder weniger improvisierte Aussage zu westlichen Bodentruppen in der Ukraine bei einer Pressekonferenz im Élysée-Palast am Montagabend hat eine Welle von Reaktionen ausgelöst, in weiten Teilen der Welt. Natürlich auch in Frankreich selbst. Die Schlagzeilen in den Medien, die Voten französischer Politiker und Experten, sie schmeicheln dem Präsidenten nicht.

Zur Erinnerung: Nach einer Pariser Hilfskonferenz für die Ukraine, die er selbst initiiert hatte, fragte ihn eine Journalistin, was er denn von der Idee halte, westliche Bodentruppen ins angegriffene Land zu entsenden, ob darüber auch diskutiert worden sei beim Gipfel. Macron sagte, man habe über alles geredet, frei und direkt, auch über die eventuelle Entsendung von westlichen Truppen in die Ukraine. Weil nun mal alles unternommen werden müsse, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen könne. Einen Konsens in dieser Frage gebe es unter den Alliierten heute aber nicht.

Plötzlich stand er, der Einigkeit vorexerzieren wollte, isoliert da

Die Genese des "Tabubruchs", wie er auch genannt wird, ist deshalb wichtig, weil sie Aufschluss geben könnte über den tatsächlichen Grad der Absicht Macrons, das Thema Bodentruppen anzusprechen. Hätte er es überhaupt erwähnt, wenn er nicht gefragt worden wäre? Eher nicht, finden die meisten Exegeten des Macronismus, weil das schon in seiner Einstiegsadresse möglich gewesen wäre. Nein, das sei einfach so passiert, heißt es. Und zwar ohne Absprache mit den Alliierten, wie man nur Stunden danach erfahren sollte: Alle distanzierten sich vom Gedankenspiel des Franzosen - die Deutschen, die Briten, die Amerikaner, aber auch alle anderen. Plötzlich stand der, der Einigkeit und Entschlossenheit vorexerzieren wollte, selbst isoliert da.

Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné fragte Leute aus dem Generalstab der Armee, und auch mit ihnen hatte der Präsident vorab nicht gesprochen. Sie gaben sich "fassungslos". Der Präsident, der nebenbei Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte ist, habe wohl aus einer "Laune" heraus geplaudert. Macrons Lust, zu allen Themen einfach so draufloszureden, sei ja bekannt, schreibt der Canard.

Kann es sein, fragen Militärexperten, dass Macron sich bei der sogenannten "strategischen Ambiguität" bedient haben könnte, um Moskau in Zweifel zu stürzen und den Russen vorzuspiegeln, dass der Westen zum Äußersten greifen würde? Nun, wenn es so gewesen sein sollte, dann kollabierte die Strategie spätestens mit der verärgerten und leicht absehbaren Distanzierung der Alliierten.

Alle Oppositionsparteien gehen Macron hart an, unisono, von ganz rechts bis ganz links. Marine Le Pen vom extrem rechten Rassemblement National sagte, Macron baue da "eine existenzielle Gefahr über den Köpfen von siebzig Millionen Franzosen" auf. Éric Ciotti, Chef der bürgerlichen Républicains, fragt sich, ob der Präsident lange genug nachgedacht habe, bevor er zu reden begann. "Sind Sie sich eigentlich bewusst", fragte Jean-Luc Mélenchon von der extrem linken Partei La France Insoumise recht rhetorisch auf X, "dass Sie da riskieren, Frankreich, Europa und die ganze Welt in einen Nuklearkrieg zu verwickeln?" Völlig verrückt sei das. Auch die Sozialisten beschrieben "diese Eskalation" als folie. Denkwürdig an dieser Einhelligkeit: Die französische Opposition ist sich in Fragen des Ukraine-Kriegs selten einig.

Könnte Macron einem innenpolitischen Kalkül gefolgt sein?

Nur ein Kommentator des staatlichen Radiosenders France Inter findet, Macron habe gezielt geredet - und zwar mit Blick auf die französische Politik. Der Präsident habe damit seine Gegner, vor allem die beiden Extreme, kurz vor den Europawahlen vom kommenden Juni herausfordern wollen. Sowohl Le Pen als auch Mélenchon haben eine ambivalente Haltung zu Wladimir Putin, die nicht unwesentlich von ihrem Antiamerikanismus genährt wird.

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Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Frankreichs Präsident innenpolitisch kalkulierte, als er in dieser Phase über die Option Bodentruppen in der Ukraine sprach?

Macron jedenfalls hat jetzt das kürzlich unterzeichnete bilaterale Rüstungsabkommen mit der Ukraine ins Parlament geschickt, damit die Debatte über den richtigen Umgang mit dem Krieg dort weitergeht. Seine Minister beeilen sich unterdessen, die Gedanken des Chefs zu präzisieren und einzuordnen. Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné etwa sagte, der Präsident habe nicht von "kriegsführenden" Truppen gesprochen. Sondern allenfalls von solchen, die den Ukrainern helfen würden, Minen wegzuräumen, oder die vor Ort nach Spuren im Kampf gegen Russlands antiwestlichen Cyberkrieg suchen. Das war mehr als eine Präzisierung: der Versuch eines Rückzugs.

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