Frankreich:Frankreichs Parlament verschärft Einwanderungsregeln

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Niederlage in der Assemblée nationale: Innenminister Gérald Darmanin musste sich den Wünschen der konservativen Republikaner beugen. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Das neue Gesetz ist das Ergebnis eines Kompromisses, der von der Rechten diktiert wurde. Marine Le Pen triumphiert.

Von Oliver Meiler, Paris

"Psychodrama" - so nennt es die Zeitung Le Monde, und vielleicht ist das noch untertrieben. In einer fiebrigen Nachtsitzung hat das französische Parlament ein neues, kontroverses Einwanderungsgesetz verabschiedet: Es verschärft den Umgang mit Ausländern im Land viel markanter, als es das Regierungslager ursprünglich vorgehabt hatte. Es ist Frucht eines Kompromisses mit der Rechten. Nach dem Senat, wo die Konservativen über eine klare Mehrheit verfügen, hat auch die gespaltene Assemblée nationale dem Gesetz zugestimmt, kurz vor Mitternacht am Dienstag und nach letzten Krisensitzungen: mit 349 zu 186 Stimmen.

Innenminister Gérald Darmanin, der seit Monaten für ein neues Gesetz geworben hatte, wies darauf hin, dass man auch ohne die Stimmen des extrem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen eine Mehrheit erreicht habe. Aber stimmt das auch? Zieht man ihre 88 Stimmen ab, steht tatsächlich noch eine Mehrheit - aber keine absolute. Hätten die Lepenisten gegen das Gesetz gestimmt, wäre das Gesetz durchgefallen. Sie waren also entscheidend.

Und so konnte Le Pen ziemlich unwidersprochen von einem "großen ideologischen Sieg" sprechen, den ihre Partei da errungen habe. Das neue Gesetz führt das Prinzip des nationalen Vorrangs für gewisse Sozialleistungen ein. Die préférence nationale ist eine alte Forderung der Le Pens, von Vater Jean-Marie früher und von Tochter Marine jetzt. Sie galt bisher immer als ein Widerspruch zum republikanischen Geist, als rote Linie für das moderate Lager.

Jedes Jahr sollen Quoten für die Einwanderung festgelegt werden

Das neue Gesetz sieht nun vor, dass arbeitslose Ausländer erst nach fünf Jahren ein Recht auf Sozialleistungen haben, etwa auf Wohngeld. Ausländer mit einer Arbeit können die Zuschüsse nach 30 Monaten beantragen. Ziel ist es, Migranten möglichst davon abzuschrecken, nach Frankreich zu kommen. Kritiker dieses Artikels sagen, er schwäche die Schwächsten und mache deren Lebensumstände noch prekärer, als sie ohnehin schon sind. Allerdings ist fraglich, ob das Verfassungsgericht diesen Passus genehmigt.

Das gilt auch für einen weiteren umstrittenen Punkt im Gesetz: Kinder von Ausländern, die in Frankreich geboren sind, sollen die Staatsbürgerschaft nicht mehr automatisch erhalten wie bisher. Sie müssen die Einbürgerung, so sie die denn wünschen, zwischen ihrem 16. und 18. Lebensjahr aktiv beantragen. So geht das Ius soli, das Geburtsortsrecht, verloren.

Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft kann die französische entzogen werden, wenn sie ein Vergehen gegen einen Staatsbeamten begangen haben. Der Tatbestand des "irregulären Aufenthalts", der während der Präsidentschaft des Sozialisten François Hollande abgeschafft worden war, wird nun wieder eingeführt und mit einer Geldstrafe geahndet. Weiter sieht das neue Gesetz vor, dass jedes Jahr Quoten für die Einwanderung festgelegt werden. Und eine neue Hürde gibt es für Studenten, die aus Nicht-EU-Staaten kommen: Sie müssen eine Kaution hinterlegen, wenn sie in Frankreich eine Hochschule besuchen wollen.

Das neue Gesetz ist ein Kompromiss, den die Macronisten, die seit den Parlamentswahlen von 2022 auch in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr haben und deshalb auf Stimmen aus der Opposition angewiesen sind, mit der rechtsbürgerlichen Partei Les Républicains geschlossen haben. In Einwanderungsfragen sind die früheren Gaullisten mittlerweile den Positionen der extremen Rechten sehr nahe.

Innenminister Darmanin hatte erst versucht, Stimmen aus dem linken Lager zu gewinnen

Innenminister Darmanin hatte zunächst versucht, Stimmen aus dem bürgerlichen wie dem linken Lager zu gewinnen, mit Zugeständnissen an beide Seiten. Der Linken hatte er in Aussicht gestellt, dass der Aufenthalt von Ausländern, die bisher ohne Papiere in Sektoren mit mangelnden Arbeitskräften tätig sind, etwa auf dem Bau oder in der Gastwirtschaft, legalisiert werden würde. Dagegen stemmte sich wiederum die gesamte Rechte. Im Senat verabschiedeten sie eine sehr rechte Version von Darmanins Gesetzesvorlage. Man dachte, die Schärfe diene vor allem der Umgarnung der Wähler.

Als der Innenminister dann vor einer Woche eine abgeschwächte Fassung des Gesetzes in die Nationalversammlung trug in der Hoffnung, wenigstens genügend Republikaner und Linke für sich zu gewinnen für eine knappe Mehrheit, scheiterte er damit schon vor der Debatte des Textes: Die Grünen hatten nämlich einen Ablehnungsantrag vorgelegt. Und zur großen Verwunderung der Regierung und der Medien stimmte die gesamte Opposition dafür, von ganz links bis ganz rechts - eine empfindliche Niederlage für den ambitionierten Innenminister. Darmanin reichte seinen Rücktritt ein. Doch Präsident Emmanuel Macron wies diesen zurück und pochte auf eine schnelle Wiederaufnahme der Diskussionen.

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Nun sollte eine paritätisch zusammengesetzte Parlamentskommission aus Senatoren und Abgeordneten einen Kompromiss aushandeln, jedoch auf der Basis des einzigen bereits verabschiedeten Gesetzestextes: der Vorlage aus dem Senat also, der harten Version. So gaben plötzlich die Républicains den Ton an. Ohne ihren Zuspruch, so war klar, würde das Gesetz nicht durchkommen. Und die Republikaner nutzten ihre Stellung für einige ihrer maximalen Forderungen, die sehr nahe an denen von Marine Le Pen sind. Die Regierung musste fast alle schlucken, um ihr nunmehr stark verändertes Gesetz durchzubekommen.

Der linke Flügel von Macrons Partei Renaissance ist wütend auf den Präsidenten und dessen Innenminister: 20 Deputierte stimmten gegen das Gesetz, 17 enthielten sich der Stimme. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau reichte aus Protest noch am Mittwoch seinen Rücktritt ein. Der Präsident hatte ihn erst fünf Monate zuvor, auf den Tag genau, ernannt.

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