Frankreich:Der Pragmatiker und die Ökofeministin

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Seine Rivalin witterte in jedem Kompromiss eine Absage an die ökologischen Ideale, Yannick Jadot sprach lieber von der Notwendigkeit, ein breites Bündnis zu bilden. (Foto: JOEL SAGET/AFP)

Yannick Jadot hat die Vorwahl der französischen Grünen gewonnen. Die Partei gibt sich siegessicher und geeint - dabei hätte sich beinah eine Frau durchgesetzt, die ganz anders ist als der Sieger.

Von Nadia Pantel, Paris

Wenn bei einem Wahlabend die Laune bei Verlierern und Gewinnern ungefähr gleich gut ist, bahnen sich meist Konflikte an. Bei den französischen Grünen, Europe Écologie Les Verts (EELV), war die Stimmung am Dienstagabend sogar hervorragend. Der Europaabgeordnete Yannick Jadot feierte seine Ernennung zum offiziellen grünen Präsidentschaftskandidaten. Gleichzeitig, und da liegt die Schwierigkeit, lachten und tanzten auch die Fans seiner Herausforderin Sandrine Rousseau. Bei ihrer Wahlparty lief "Stayin' alive" von den Bee Gees, so richtig unterlegen wollte sich niemand fühlen. Jadot hatte mit 51 Prozent der Stimmen die parteiinterne Vorwahl gewonnen. Rousseau kam auf 48,9 Prozent.

Trotz der knappen Entscheidung dominiert bei Frankreichs Grünen nun vorerst die Zuversicht. Erstens hat die Partei während ihrer Vorwahlen einen ungewöhnlich gut sortierten Eindruck gemacht. Fünf Kandidaten, zwei Frauen und drei Männer, waren gegeneinander angetreten. Zwischen dem 16. und dem 28. September konnten Parteimitglieder und -sympathisanten in zwei Wahlgängen darüber abstimmen, wen sie ins Élysée-Rennen schicken. Die Kandidaten stritten hart und sachlich über ökologische Kernthemen: Energiewende, Tierwohl, Pestizid-Verbot.

Zweitens fanden diese Debatten ein echtes Echo in der Öffentlichkeit. Als die französischen Grünen 2011 darüber abstimmen ließen, wer ihr Präsidentschaftskandidat werden soll, beteiligten sich 22 861 Wähler. Bei der diesjährigen Vorwahl waren es mehr als 100 000. Eine Beteiligung, die dem nun gewählten Jadot die ausreichende Legitimität gibt.

Der Vorwahl-Sieger Jadot gilt als Pragmatiker. Seine Konkurrentin Rousseau hingegen stellte ihre gesamte Kampagne unter das Schlagwort "Radikalität". Sie versprach ihren Anhängern nicht nur mehr Umweltschutz, sondern eine "Revolution" inklusive Umsturz des Patriarchats. Nach ihrer Niederlage sagte Rousseau am Dienstag: "Ihr könnt auf mich zählen, dass ich die Fortsetzung dieses Abenteuers unterstütze." Wobei sich in den kommenden Wochen zeigen wird, ob sie damit in erster Linie ihre Anhänger meinte oder tatsächlich auch das Team Jadot.

Der klassische grüne Konflikt: Realos gegen Fundis

Am Mittwochmittag klang Rousseau eher nach Angreiferin, denn nach Unterstützerin. Sie hätte fast gewonnen, sagte sie in einem Radiointerview, das könne Jadot nicht ignorieren. Das war nicht mehr der von Respekt und Rücksichtnahme geprägte Umgangston des Wahlkampfes.

Die Entscheidung zwischen Jadot und Rousseau erinnert an den klassischen grünen Konflikt "Realos gegen Fundis". Bei den deutschen Grünen ist dieser Grundsatzkampf dem allgemeinen Regierungswillen gewichen. Wie anders das bei Frankreichs EELV ist, zeigte die enorme Dynamik, die um Rousseaus Kandidatur entstand. Jadot sprach von der Notwendigkeit, ein breites Bündnis zu bilden, um tatsächlich gewinnen zu können. Rousseau witterte in jedem Kompromiss eine Absage an die ökologischen Ideale.

Der 54-jährige Jadot steht nun dort, wo er selbst sich schon seit Jahren sieht: An der Spitze der ökologischen Bewegung. In den vergangenen Jahren war niemand so präsent wie er, wenn im französischen Fernsehen über Umweltschutz debattiert wurde. Sein ideologisches Kapital sind seine Jahre als Kampagnenleiter bei Greenpeace. In Umfragen ist er der einzige Grüne, der es bei der Präsidentschaftswahl über fünf Prozent schaffen könnte. Seit 2009 ist er Europa-Abgeordneter; als er 2019 die EELV-Liste bei der Europawahl anführte, holte die Partei 13,4 Prozent und wurde drittstärkste Kraft.

Vor der Kommunalwahl 2020 reiste Jadot wie ein grünes Maskottchen von Stadt zu Stadt und unterstützte die lokalen Bewerber. Unter anderem Lyon, Bordeaux und Straßburg gingen an EELV-Bürgermeister - und Jadot sprach in Interviews schon damals von einer möglichen grünen Präsidentschaft. Dass dieser Präsident Jadot heißen würde, schien er selten in Zweifel zu ziehen.

Eine grüne Präsidentschaft ist nur gemeinsam mit den Sozialisten möglich

Damit dieser Wunsch an Realisierbarkeit gewinnt, muss Jadot in den kommenden Monaten Bündnisse schließen. Eine grüne Präsidentschaft ist nur gemeinsam mit den Sozialisten möglich. Jadot müsste die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo dazu bringen, ihn zu unterstützen. Bei den Sozialisten stellt man sich die Machtdynamik anders herum vor: Jadot als Helfer Hidalgos. Inhaltlich trennt Jadot und Hidalgo nicht viel, beide stehen für eine gemäßigt links-grüne Politik der Mitte.

Die programmatische Nähe mit den Anhängern Rousseaus dürfte für Jadot schon schwieriger herzustellen sein. Vor einigen Monaten kannte kaum noch einer die 49-jährige Ökonomin, die sich als Ökofeministin bezeichnet. Doch schnell wurde ihr Wahlkampf zum Magneten für Frankreichs linke Aktivisten und auch für Künstlerinnen wie die mehrfach bei den Césars und in Cannes ausgezeichnete Regisseurin Céline Sciamma. Auch aus den USA meldeten sich Fans: Schauspielerin Jane Fonda rief dazu auf, Rousseau zu wählen. Gleichzeitig wurde Rousseau zur Hassfigur der Rechten. Konservative warfen ihr vor, linksradikale Inhalte aus den USA zu importieren, also "woke" zu sein. Die französische Lieblingsbeschimpfung für jeden, der wie Rousseau von strukturellem Rassismus spricht.

Rousseaus Fans sehen in ihr die erste "Me Too-Kandidatin" Frankreichs. 2016 zeigte Rousseau, damals EELV-Sprecherin, ihren Parteikollegen Denis Baupin wegen sexueller Belästigung an. Das Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt, Rousseau verließ die Politik. 2020 kam sie aus Empörung zurück. Präsident Emmanuel Macron hatte Gérald Darmanin zum Innenminister ernannt, obwohl gegen Darmanin wegen Vergewaltigung ermittelt wurde. Das sei "unerträglich", sagte Rousseau.

Bei der linken France Insoumise hoffen sie nun darauf, dass die Unterstützer Rousseaus 2022 lieber den radikalen Jean-Luc Mélenchon wählen statt den Kompromissmann Jadot. Als Feminist der Tat ist Mélenchon bislang allerdings nicht aufgefallen.

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