Frankreich:Macrons Höllenritt

Lesezeit: 3 min

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Streitgespräch mit einem Bauern auf der Landwirtschaftsmesse in Paris. (Foto: POOL/via Reuters)

Französische Präsidenten zeigen auf der Landwirtschaftsmesse traditionell ihre Nähe zum ländlichen Frankreich. Aufgebrachte Bauern bescherten Emmanuel Macron diesmal ein Desaster.

Von Oliver Meiler, Paris

Einen Triumphzug hatte er nicht erwartet. Aber dass es gleich ein Höllenritt werden würde? Emmanuel Macron hat am Wochenende in Paris den Salon de l'agriculture eröffnet, Frankreichs alljährliche Landwirtschaftsmesse an der Porte de Versailles, und beinahe wäre der Auftritt zum totalen Desaster verkommen. Eine Zeit lang drohte gar, dass der Präsident seinen obligaten Besuch abbrechen müsste, bedrängt von aufgebrachten Bauern. Die Vehemenz des Unmuts überraschte die Organisatoren im Élysée, denn immerhin war Macron den Landwirten in den vergangenen Wochen mit einer langen Reihe von Konzessionen stark entgegengekommen - nicht zuletzt, um die Gemüter möglichst vor Beginn der Agrarmesse zu besänftigen. Aber das reichte offensichtlich nicht aus.

Newsletter abonnieren
:Alle SZ-Newsletter im Überblick

Sie wollen über das Wichtigste zum Tage weltweit Bescheid wissen, aber auch erfahren, wie das bessere Leben und Lieben gelingt? Wählen Sie aus über zwanzig Newslettern aus, welcher am besten zu Ihnen passt.

300 bis 500 zornige Bauern hatten sich schon vor der Öffnung der Tore Zugang zum Messegelände verschafft und sich mit den Sicherheitskräften geprügelt, ein Chaos sondergleichen. Es gab Handgemenge, Pfiffe und laute Chöre, der Präsident möge abhauen oder gleich zurücktreten. Doch Macron, der für diesen wichtigen politischen Termin im nationalen Kalenderjahr den G-7-Gipfel in Kiew ausließ, ließ sich nicht verjagen. Am Ende sollte er dreizehn Stunden lang bleiben, debattieren, einkassieren. Er bewies dabei erneut, dass er es mag, wenn es "musclé" wird, wie die Franzosen sagen, wenn es energisch zugeht und die Konfrontation hart ist. Er zieht dann das Sakko aus und wechselt in die Umgangssprache, duzt die Leute, sagt dann auch mal zu einem kritischen Bürger, der ihm unwirsch ins Wort fällt: "Hör doch auf mit dem Mist!"

Chirac konnte die Nummer gut, bei Macron wirkt sie aufgesetzt

Besonders energisch gab sich die Gewerkschaft Coordination rurale. Sie steht dem extrem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen nahe, und der kann der Zorn der Bauern auf den Präsidenten und dessen Regierung nicht virulent genug sein so kurz vor den Europawahlen im Juni. Le Pens junger Getreuer und Präsident der Partei, Jordan Bardella, begann seinen Besuch am Salon am Sonntag - eingeplant waren 48 Stunden, fast am Stück. Aus Bardellas Entourage war zu hören, man hoffe insgeheim, Gabriel Attal, der neue Premier Frankreichs, werde zur selben Zeit vorbeischauen, damit man die Popularität beider an der Lautstärke von Applaus und Pfiffen ablesen könne. Die Messe gilt als ideale Bühne für den politischen Schlagabtausch, eine Art Realitätscheck.

Während des Salons begegnet der Pariser Politbetrieb dem "Monde rural", der ruralen Welt, dem anderen Frankreich weit ab von der Metropole. Er ist zuallererst ein Stimmungstest für Präsidenten, die ihre plötzliche Nähe zu diesem anderen Frankreich gerne und unbedingt mit dem Tätscheln von Kuhhintern polstern wollen. Jacques Chirac, Präsident von 1995 bis 2007, gelang die Nummer jeweils besonders gut, er brauchte sich nicht stark zu verbiegen. Bei Macron wirkt es aufgesetzt.

Als das Chaos ausbrach, blieb Macron auf der Messe - 13 Stunden lang

Im Stil passte er immer schon besser in die Geschäfts- und Bankwelt, so sehr er diesem Eindruck auch entgegenzuwirken versucht. Die Sonntagszeitung La Tribune Dimanche berichtet nun, der Präsident versuche diese mangelnde Nähe zum ländlichen Frankreich damit zu kompensieren, dass er die 37-jährige Valérie Hayer für die Europawahlen zur Spitzenkandidatin seiner Partei Renaissance machen werde: Hayer ist Fraktionschefin der zentrististischen Gruppe Renew Europe im Europaparlament - vor allem aber ist sie auch Tochter und Enkelin von Bauern aus der Mayenne. Seit Monaten warten die französischen Medien auf die Bekanntgabe dieser Personalie. Die Erfahrung am Salon könnten Macron in seiner Absicht bestätigt haben.

Doch auch für die Lepenisten sind die besorgten Bauern höchstens eine potenziell neue Wählerschicht, deren Gunst sie erst noch erobern müssten. Bisher jedenfalls neigten die französischen Landwirte eher zur gaullistischen, bürgerlichen Rechten. Seit ein paar Jahren wandeln sich diese Gewissheiten. Le Pen jedenfalls rechnet sich aus, dass ihre Strategie einer "Normalisierung" der Partei dabei helfen könnte, die Bauern anzusprechen. Sicher ist das nicht, aber auch nicht mehr unwahrscheinlich.

Auch darum war es für Emmanuel Macron überhaupt keine Option, den Salon durch die Hintertür wieder zu verlassen, als das Chaos ausbrach. Stattdessen versprach er den Bauern, er werde dafür sorgen, dass die Lebensmittelindustrie und die Supermarktketten bald Mindestpreise bezahlen müssten für ihre Ware, damit sie auch ein sicheres Auskommen hätten. Das wäre eine Revolution. Und Macron wünscht sich eine Debatte zu diesen Themen mit Marine Le Pen, damit man deren "Dummheiten" mal ernsthaft besprechen könne, wie er es nannte. Es soll wohl "musclé" werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Frankreich
:Das Pfand der Pestizide

Der Protest der französischen Bauern geht zu Ende. Die Regierung kommt ihnen stark entgegen - zu stark für die Umweltschützer.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: