Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz:Wie sich das Dorf Insul zurückkämpft

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Überflutet: das Dorf Insul in Rheinland-Pfalz am 15. Juli. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Schutt ist weg im schwer zerstörten Insul. Doch bis die Menschen zurück in ihre Häuser können, muss noch viel geschehen. Woher nehmen sie die Kraft? Unterwegs mit dem Ortsbürgermeister.

Von Gianna Niewel, Insul

Die Brücke, sagt Ewald Neiß, war das Wahrzeichen des Ortes und jetzt ist sie weg. Er steht am Ufer der Ahr und schaut auf ein paar Steine, mehr hat die Flut nicht übrig gelassen. Ein paar Meter weiter hat die Bundeswehr Stahlträger über den Fluss gelegt, die Menschen können also wieder von dem einen in den anderen Ortsteil fahren. Nur: Stahlträger sind kein Wahrzeichen.

Sieben Wochen ist die Flut nun her, und in Insul im Norden von Rheinland-Pfalz regnet es. Grauer Himmel, braune Ahr. Ewald Neiß geht vorbei an Häusern, in denen kein Licht brennt, weil keine Lampen mehr dort hängen und weil niemand mehr dort wohnt. Wie lange dauert es, einen zerstörten Ort aufzubauen? Wie lange, bis sich die Menschen nicht mehr nur Gedanken machen müssen über die Schäden des Wassers, sondern auch über ein neues Wahrzeichen - über Normalität?

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Ewald Neiß ist 74 Jahre alt und Ortsbürgermeister, ein Mann, der sich gegen den Regen schützt, in dem er den Reißverschluss der Jacke bis oben zuzieht und eine Schirmmütze aufsetzt. Sein Dialekt klingt durch, auch wenn er Hochdeutsch spricht, "dat" statt das.

In Insul wohnen 500 Menschen, zuletzt zogen immer mehr zu. Seit Neiß vor 17 Jahren Ortsbürgermeister wurde, haben sie drei neue Baugebiete erschlossen, das letzte mit 17 Bauplätzen. Besonders beliebt war der Ortsteil gleich an der Ahr.

Es gibt wieder Strom, auch die Kläranlage funktioniert

Hier hat die Flut besonders viel zerstört, von zwei Häusern ließ sie nur die Bodenplatten übrig. Drei weitere Häuser mussten in den Tagen danach abgerissen werden, sie waren einsturzgefährdet. Noch mal zwei kommen in diesen Tagen weg. In dem einen Haus muss das Wasser durchs Erdgeschoss gelaufen sein, in den Fensterrahmen hängen Gräser. In dem anderen quillt Dämmwolle aus der Außenwand. Beide sind mit Bauzäunen umstellt.

"Wat Sie nicht sehen", sagt Ewald Neiß, "is wat hier schon alles passiert ist."

Am Ufer der Ahr türmt sich Erde zu einem Berg, doppelt so hoch wie die Planierraupe daneben. Hier haben sie all das Geröll hingefahren und gesiebt, mit der Erde können sie vielleicht noch etwas anfangen. Straßen bauen, zum Beispiel. Neiß zeigt auf eine Fachwerkfassade, die bis auf Höhe seines Kopfes verfärbt ist. So hoch stand erst das Wasser und dann der Matsch. Tagelang haben sie die Straße zur Kapelle freigeschaufelt, tagelang Schutt weggeräumt. Mittlerweile sind einige Vorgärten schon wieder frei, keine Baumstümpfe, kein Geröll. Da steht nur ein Wassertank. "Eine Wahnsinnsleistung", sagt Ewald Neiß.

Es dämmert, doch in der Brückenstraße bleiben viele Häuser dunkel. Manche Fenster sind mit Folie zugeklebt, andere stehen zum Lüften offen. "Da ist nichts mehr, was man klauen kann." Zur Sicherheit fährt die Polizei trotzdem Streife durch die Orte Insul, Schuld, Dümpelfeld. Am Ufer der Ahr leuchten Flutlichter.

Erst am Vortag hatten sie wieder eine Sitzung im Gemeindehaus, um den Stand der Arbeiten zu besprechen. Seit drei Wochen hat der gesamte Ort Strom. Seit zwei Wochen läuft die Kläranlage. Wasser kriegen sie hoffentlich in den nächsten Tagen auch in den letzten Häusern. Ansonsten ging es darum, welche Kanäle schon frei sind und welche noch freigelegt werden müssen, welche Straßen abgefräst werden müssen und welche neu vermessen. Und natürlich darum, wer schon Bauanträge gestellt hat, um wieder zurückzukönnen.

Die Menschen wollen ihr Dorf behalten

Ein Stück weit die Ahr runter, in Bad Neuenahr-Ahrweiler, geht der Bürgermeister davon aus, dass ein Drittel der Menschen seine Stadt verlassen werden. Ewald Neiß schaut auf den Fluss, eine braune Brühe, seine Hose ist dreckig, weil jeder Schritt Schlamm hochschleudert. Er schaut auf den Kinderspielplatz, von dem nur noch die Rutsche übrig ist, und auf ein paar Ölkanister, die irgendwer davor abgestellt hat.

Wollen die Leute überhaupt wieder zurück?

"Ja, klar. Das hier war ein Dorf wie geleckt."

Ewald Neiß ist nur ein paar Orte weiter geboren, aber er sagt trotzdem, dass er ein Zugezogener ist. 23 Jahre lang hat er als Metzger gearbeitet, dann ging er nach Bonn, als Leiter der Poststelle im Arbeitsministerium. Das war gut, sagt er, nicht nur, weil er für 50 Mark den alten Schreibtisch von Norbert Blüm kaufen konnte, sondern auch, weil er damals gelernt hat, dass manche Dinge nicht von heute auf morgen gehen.

Neiß biegt wieder in die Brückenstraße ein, die parallel zur Ahr verläuft. Da geht dann doch eine Frau vor dem Fenster auf und ab. Im Erdgeschoss ihres Hauses ist der Estrich weg, Kabel liegen frei. Immerhin eine Waschmaschine hat sie, die steht neben zwei Herden, so kann sie sich und die fünf Kinder versorgen, die im zweiten Stock wohnen. In einer Ecke rattert ein Bautrockner. "Die Häuser sind in der Trockenphase", sagt Neiß und winkt der Frau zu.

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Genau das hat er auch den Menschen bei der Bürgerversammlung gesagt: Ich kann verstehen, dass ihr zurückkommen wollt, aber überstürzt es nicht. Habt Geduld. Im Nachbarort soll eine Familie schon neuen Putz aufgebracht haben, die Wände fühlten sich trocken an - waren sie aber nicht. Sie hätten alles wieder runterklopfen müssen.

Jetzt geht es ums Durchhalten

Während in der Region viele Menschen noch in Notunterkünften wohnen, machen sich andere Gedanken darüber, wie sie im Winter heizen sollen, Ölheizungen, Gasheizungen, alles kaputt. Und noch mal andernorts stellen sich politische Fragen. In Koblenz ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Landrat aus Ahrweiler und ein weiteres Mitglied des Krisenstabs. Haben sie zu spät gewarnt? Sind deshalb Menschen gestorben? In Mainz soll eine Enquetekommission über neue Warnsysteme beraten.

In Insul sagt Ewald Neiß, sicher, das bekomme er alles mit, aber er habe jetzt vor allem mit seinem Ort zu tun. Noch immer liegen im Gemeindehaus Anträge aus, für Hilfen, insgesamt 30 Milliarden Euro allein vom Bund, eine historische Summe. "Es ist ja auch ein historischer Schaden." Sein Haus ist nicht betroffen.

Der Ortsbürgermeister steht nun wieder dort, wo die alte Steinbrücke über die Ahr geführt hat - das Wahrzeichen von Insul. Rot-weiß gestreiftes Flatterband hängt an den Bäumen, die Pfützen sind groß wie Teiche. Dort an der Mauer schoss das Wasser herein, dort an der Mühle strömte es entlang, so etwas habe er noch nie gesehen. "Das war eine Zerstörung", sagt er und schweigt eine Weile.

Woher die Menschen bei all der Verwüstung die Kraft nahmen, überhaupt aufzuräumen? Das habe sicherlich auch an Helferinnen und Helfern aus ganz Deutschland gelegen, die sich mit Gummistiefeln in den Schlamm stellten und Schutt in Schubkarren luden, der nicht ihrer war. Die anpackten ohne zu fragen. Jetzt aber, wo viele wieder arbeiten müssen, könne niemand erwarten, dass es so schnell weitergeht. Der Aufbau nicht und Normalität erst recht nicht.

Es klingt so, als sage er das auch zu sich selbst.

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