Mutmaßlicher Tod von Prigoschin:Was wir über den Flugzeugabsturz wissen - und was nicht

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Das vom russischen Ermittlungskomitee veröffentlichte Foto soll die Absturzstelle des Privatflugzeugs in der Region Twer zeigen. (Foto: dpa)

Lange hat Jewgenij Prigoschin finstere Kampfaufträge für den Kreml erfüllt. Dann meuterte er - und exakt zwei Monate später verliert ein Privatjet, in dem er sitzt, innerhalb von 30 Sekunden rapide an Höhe. Ein Überblick über die Faktenlage.

Genau zwei Monate nach der Meuterei des russischen Söldnerführers Jewgenij Prigoschin stürzt einer seiner Privatjets ab. Der 62-jährige Wagner-Chef soll an Bord des Flugzeugs gewesen sein. Offiziell bestätigt ist sein Tod noch nicht. Ein Überblick darüber, was bislang bekannt ist.

Was ist mit dem Flugzeug passiert?

Ein Privatjet des Herstellers Embraer ist in der russischen Region Twer, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Moskau, abgestürzt. Um 18.54 Uhr deutscher Zeit meldete die Nachrichtenagentur Tass den Absturz, vom Radar war die Maschine offenbar um 18.20 Uhr verschwunden. Das Flugzeug war auf dem Weg nach Sankt Petersburg, der Heimatstadt Prigoschins.

Wie viele Menschen waren an Bord?

Sieben Passagiere und drei Besatzungsmitglieder sollen in dem Flugzeug gewesen sein. Erst meldete die russische Nachrichtenagentur Ria, dass acht Tote geborgen worden seien. Am späten Mittwochabend schrieb die Agentur Interfax, dass es zehn Leichen seien - die Bergung sei damit abgeschlossen.

War der Wagner-Chef unter den Passagieren?

Dafür gibt es noch keine Bestätigung. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija hat die Namen auf der Passagierliste veröffentlicht - darunter jenen von Jewgenij Prigoschin. Identifiziert sind die Toten offiziellen Angaben zufolge noch nicht, daher gibt es auch keine Gewissheit, ob die genannten Personen wirklich an Bord des Flugzeugs waren. Gerade im Fall von Prigoschin ist bekannt, dass es einige Menschen geben soll, die mit seiner Identität unterwegs sind - zu seiner Sicherheit. Es ist also nicht vollkommen abwegig, dass auch in diesem Fall ein Doppelgänger und nicht Prigoschin selbst an Bord war.

Der Telegram-Kanal "Grey Zone" verkündete um 21.27 Uhr deutscher Zeit allerdings, dass Prigoschin tot sei. Auch ein Mitgründer der Söldnergruppe, Wagner-Kommandeur Dmitrij Utkin, habe sich an Bord befunden, hieß es. Sein Name steht ebenfalls auf der Passagierliste - und "Grey Zone" berichtet auch von seinem Tod.

Der Kanal soll der Wagner-Gruppe und damit Prigoschin nahestehen, oft wurden Videos und Statements des Söldnerchefs darüber ausgespielt. Unklar ist aber, wer genau dahintersteckt. Die Angaben des Kanals können nicht unabhängig überprüft werden.

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Wer waren die anderen Passagiere?

Auf der Liste der Luftfahrtbehörde stehen neben Prigoschin und Utkin die folgenden Namen: Sergej Propustin, Jewgenij Makarjan, Alexander Totmin, Walerij Tschekalow und Nikolaj Matusejew. Als Crew sollen Pilot Alexej Lewschin, Co-Pilot Rustam Karimow und Stewardess Kristina Raspopowa an Bord gewesen sein. Auch bei ihnen ist nicht bestätigt, ob sie wirklich in der abgestürzten Maschine waren.

Was ist über die Absturzursache bekannt?

Der Grund für den Absturz ist derzeit vollkommen unklar. In sozialen Medien wie X, vormals Twitter, oder im Messengerdienst Telegram gibt es viele Spekulationen. Es kursieren Videos, die zeigen sollen, wie Prigoschins Privatjet fast senkrecht zu Boden trudelt und dort in einer großen Rauchwolke verschwindet. Tatsächlich bestätigen auch die Daten des Portals Flightradar24, dass die Maschine bis 30 Sekunden vor dem Absturz offenbar völlig unauffällig unterwegs war. Dann flog sie plötzlich senkrecht nach unten, innerhalb von Sekunden sei sie von einer Reiseflughöhe von etwa 28 000 Fuß (gut 8500 Meter) auf 8000 Fuß abgesunken. "Was auch immer passiert ist, es geschah sehr schnell", sagt ein Mitarbeiter von Flightradar24 der Nachrichtenagentur Reuters.

Der Telegram-Kanal "Grey Zone" hat am Abend die Version eines gezielten Abschusses verbreitet. Das Flugzeug sei von der russischen Flugabwehr getroffen worden, heißt es dort. Die russische Nachrichtenagentur Tass behauptet hingegen, das Flugzeug sei abgestürzt und habe am Boden Feuer gefangen. Auch hierfür gibt es weder konkrete Belege noch die Möglichkeit zur Überprüfung.

(Foto: SZ-Karte/OSM Contributors)

War es die Rache von Wladimir Putin?

Für viele scheint klar zu sein, dass es kein Unfall gewesen sein kann - und dass es ein klares Motiv dafür gibt, dass der Jet gezielt zum Absturz gebracht wurde: Rache.

Prigoschin hatte auf den Tag genau vor zwei Monaten, am 23. Juni, mit seiner Privatarmee gegen die russische Führung gemeutert und dabei auch Putin selbst angegriffen, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Die Meuterei endete damit, dass der Wagner-Chef und Tausende seiner Bewaffneten nach Belarus gehen konnten.

Der russische Präsident hatte Prigoschin damals als "Verräter" bezeichnet. Und dass Menschen, die bei Putin in Ungnade gefallen sind, manchmal verschwinden oder merkwürdige Tode sterben, kam durchaus vor. Aber auch hier gilt: Beweise gibt es derzeit nicht.

Misstrauisch macht einige Beobachter, dass die Luftfahrtbehörde Rosawiazija nur eine Stunde gebraucht hat, um die Namen der Passagiere zu veröffentlichen. Für gewöhnlich brauche die Behörde mit derlei Informationen wesentlich länger. Faktisch etwas ableiten lässt sich aus diesem Misstrauen nicht.

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Gab es noch ein weiteres Flugzeug?

In sozialen Medien und auch auf dem Telegramkanal "Grey Zone" gab es nach dem Absturz Spekulationen, weil laut dem Portal Flightradar24 gleich zwei von Prigoschins Flugzeugen am Abend unterwegs gewesen sein sollen. Die Rede ist von den beiden Privatjets mit den Kennungen RA-02795 und RA-02748. Erstere ist die Maschine, die über Twer abstürzte, die andere soll angeblich von Moskau nach Sankt Petersburg und wieder zurückgeflogen sein. Im Internet kursieren darauf aufbauend Spekulationen, dass der Wagner-Chef womöglich gar nicht im abgestürzten Flieger saß.

Was passiert nun an der Absturzstelle?

Russische Behörden haben in dem Fall offenbar Ermittlungen eingeleitet. Die Einsatzkräfte in der Region Twer haben laut einem BBC-Bericht bereits ihre Arbeit abgeschlossen. Auf Fotos sind Anwohner des Ortes Kuschenkino zu sehen, die neben Flugzeug-Wrackteilen stehen. Die weiteren Untersuchungen in Twer verantworte nun Igor Rudenja, der Gouverneur der Region.

Russische Soldaten bewachen eine Straße in der Nähe des abgestürzten Privatjets unweit des Dorfes Kuschenkino. (Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa)

Wann wurde Prigoschin zuletzt gesehen?

Der Söldnerführer meldete sich zuletzt am Montag mit einem Video - angeblich aus Afrika - zu Wort. In dem etwa 40 Sekunden langen Clip ist Prigoschin in Tarnkleidung und mit Gewehr in der Hand zu sehen. Seine Wagner-Truppe führe Aufklärungsarbeiten durch und mache "Russland noch größer auf allen Kontinenten. Und Afrika noch freier", so seine Aussage.

Welche Rolle hat die Wagner-Truppe im russischen Staat?

Die von Prigoschin aufgebaute Söldnertruppe hatte für Russland erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas erfüllt. Im Angriffskrieg auf die Ukraine warb Prigoschin Häftlinge aus russischen Gefängnissen an. Die Truppe erlitt schwere Verluste in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Prigoschin warf der regulären Militärführung Unfähigkeit und Korruption vor.

Prigoschin hatte selbst im Gefängnis gesessen und später Karriere als Hoflieferant für den Kreml gemacht, daher rührt sein Beiname "Putins Koch". Er soll auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken in Sankt Petersburg gewesen sein, die über soziale Netzwerke Einfluss auf westliche Länder zu nehmen versuchten.

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