Am Tag, bevor das ungarische Parlament mit großer Mehrheit dafür stimmte, alle Asylbewerber, die sich derzeit in Ungarn aufhalten, einzusperren, hatten sieben Nichtregierungsorganisationen mit Protesten und Mahnungen das Schlimmste zu verhindern versucht: Die Abgeordneten würden damit, warnten Vertreter von Amnesty und dem Helsinki-Komitee, "eine politische Propaganda unterstützen, die fremdenfeindliche und diskriminatorische Ziele" verfolge.
Aber das Parlament willfahrte - und stimmte zu. Und Ministerpräsident Viktor Orbán selbst ficht derartige Kritik nicht an. Er macht weiter auf seinem persönlichen Kriegszug: Nun also sollen Flüchtlinge, die es über die stacheldrahtbewehrten, demnächst auch mit Strom beschickten Grenzzäune schaffen, in Lagern gleich hinter der serbischen Grenze in eine Art Haft genommen werden. Auch bisher schon wurden fast alle, die von Polizei, Armee und Hunden gestellt wurden, abgeschoben oder in den Westen gebracht. Das Recht auf Asyl ist in Ungarn de facto abgeschafft.
Orbán ist in den Krieg gezogen gegen die Migration, er sieht sein Land im Belagerungszustand. In seiner Kriegsrhetorik ist die Rede von der Verstärkung von Verteidigungslinien, als sei eine Armee im Anmarsch, und der "Sturm", vor dem er warnt, weckt bei vielen Ungarn Assoziationen zu den Hunnen, die Ungarn einst überrannten. Dass es um Zivilisten, nicht feindliche Soldaten geht, die meisten von ihnen arm, auf der Flucht oder schlicht auf der Suche nach einer besseren Zukunft, das wird im kruden Weltbild des Rechtspopulisten ausgespart. Die Heimat, Ungarns Frauen und Kinder müssten geschützt werden, droht Orbán, und wer ihm zuhört, meint, ein Trupp marodierender Vergewaltiger und Terroristen stehe bereits vor den Toren Budapests.
Orbán argumentiert, er tue dies alles auch für Europa; die Nachbarn hätten nicht von ungefähr seine Positionen übernommen und seien, ungeachtet aller humanistischer Fensterreden, letztlich dankbar, dass Ungarn ihnen Migranten vom Leib halte.
Da ist etwas dran. Und doch gibt es einen grundlegenden Unterschied: Orbán argumentiert, anders als die meisten Europäer, nicht mit rechtsstaatlichen Problemen und einer möglichen Überforderung durch den Kraftakt der Integration. Er spricht lieber von der Homogenität der Bevölkerung, warnt vor "ethnischer Vermischung" und dem Verlust "kultureller Identität". Ihm geht es um mehr als den Kampf gegen illegale Migranten. Dass er sich weigert, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen beziehungsweise jene, die schon da sind, einsperren lässt, spricht Bände.
Der nächste Krieg ist auch schon angekündigt: Nun sind es die Nichtregierungsorganisationen, die Orbáns Politik als Ausdruck von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bezeichnen; sie sind schon länger im Visier der Regierung, die kritische zivilgesellschaftliche Gruppen gern als "Volksfeinde" bezeichnet. In den kommenden Tagen bereits soll ein Gesetz vorgelegt werden, mit dem diese in die Nähe ausländischer Agenten gerückt werden. Sie sollen ihre gesamte Finanzierung und persönliche Vermögensverhältnisse offenlegen müssen, um nachweisen zu können, dass sie nicht im Dienst feindlicher Mächte, namentlich von Großinvestor und Großspender George Soros stehen.
Mehrere EU-Organisationen haben schon im Vorfeld gegen dieses Gesetz protestiert. Aber die EU hat auch bei der Asylpolitik und der Genehmigung des - mit russischer Hilfe geplanten - Ausbaus des Atomkraftwerks Paks versagt. Und so sind es die Ungarn selbst, die den Ministerpräsidenten mitsamt seinen hetzerischen Parolen in die Schranken weisen müssen.