Migranten in Mecklenburg-Vorpommern:Eine Stadt für alle - oder nicht?

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Das Greifswalder Rathaus: Für den Ruf der Stadt sei ein negativer Bürgerentscheid kein Gewinn, sagt der Oberbürgermeister. (Foto: Stefan Sauer/picture alliance/dpa)

In Greifswald spaltet ein Bürgerentscheid zur Unterbringung Geflüchteter die Stadtgesellschaft. Die Initiatoren schüren Ressentiments. Unterstützung kommt von der CDU.

Von Ulrike Nimz, Hamburg

Auf dem Papier sieht die Sache ganz einfach aus. Eine einzige Frage sollen Menschen mit Hauptwohnsitz Greifswald am kommenden Sonntag beantworten. Sie lautet: "Sind Sie dafür, dass im Eigentum der Universitäts- und Hansestadt Greifswald stehende Grundstücke zwecks Errichtung von Containerdörfern zur Unterbringung von Geflüchteten an den Landkreis Vorpommern-Greifswald verpachtet werden?" Um das Ja oder Nein, und damit den möglichen Ausgang dieses Bürgerentscheides, ist jedoch ein Konflikt entbrannt, der sich nicht auf die Nutzung städtischer Flächen beschränkt.

Im März hatten drei Greifswalder ein Bürgerbegehren gegen die Errichtung von Containerdörfern für Geflüchtete initiiert und binnen weniger Wochen weit mehr als die für einen Entscheid notwendigen 4000 Unterschriften gesammelt. Gegen diese Nein-Kampagne und für ein Ja mobilisiert das Bündnis "Greifswald für alle", unterstützt von SPD, Grünen, Linken und Dutzenden Organisationen und Verbänden.

Seit Beginn des Jahres ist die Situation in Mecklenburg-Vorpommern vielerorts angespannt. Immer wieder sorgen schon die Pläne für Notunterkünfte für Proteste. In Grevesmühlen kam es zu Tumulten, als Demonstranten versuchten, den Kreistag zu stürmen. Eine Bürgerversammlung in Loitz musste wegen rassistischer Zwischenrufe unterbrochen werden. In Greifswald konnte der Oberbürgermeister eine Sitzung der Ortsteilvertretung nur unter Polizeischutz verlassen.

Auf Facebook verbreitet einer der Initiatoren antisemitische Inhalte

Stefan Fassbinder (Grüne) ist seit 2015 im Amt und hat sich für ein Ja ausgesprochen. Selbst ein ablehnender Bürgerentscheid bedeute nicht, dass dann keine Flüchtlinge mehr nach Greifswald kommen, stellt er klar. Auch Containerdörfer bleiben weiter möglich, etwa auf Flächen, die nicht der Stadt gehören. Zuständig für die Zuweisung Asylsuchender ist der Landkreis, die bundesweite Verteilung erfolgt gesetzlich geregelt über den Königsteiner Schlüssel, kein kommunaler Bürgerentscheid kann das aushebeln. Auch für den Ruf der Stadt sei ein Sieg des Nein-Lagers kein Gewinn, sagt Fassbinder. "Unsere Stadt braucht Zuwanderung."

Der Oberbürgermeister fühlt sich an die Zeit erinnert, als auch im Nordosten ein Ableger von Pegida auf die Straße ging. Als Antwort gründete sich 2015 das Bündnis "Greifswald für alle". Dessen Sprecher Gregor Kochhan ist Jurist, spezialisiert auf Asylfragen, arbeitet für die Diakonie. Er hält das Anliegen des Bürgerentscheids im Kern für rassistisch. Den Initiatoren gehe es nicht um menschenwürdige Unterbringung, sie wollten am liebsten gar keine Geflüchteten mehr in Greifswald. "Ein Problem ist, dass die Frage des Entscheides so formuliert ist, dass auch Menschen mit Nein stimmen werden, die nichts gegen Asylsuchende haben, aber die Containerdörfer problematisch finden, wie wir im Übrigen auch", sagt Kochhan. Das Bündnis favorisiert eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen, aber die sind seit Jahren knapp in der Universitätsstadt. "Unser Ziel ist eine möglichst deutliche Mehrheit der Ja-Stimmen. Wir müssen ein Zeichen für Solidarität und Miteinander setzen."

Die drei Initiatoren des Bürgerbegehrens haben wiederholt bestritten, grundsätzlich etwas gegen die Aufnahme von Geflüchteten zu haben. Den Vorwurf, Menschenfeinden zumindest in die Karten zu spielen, weisen sie zurück. Einer der drei Männer hat jedoch auf seiner Facebookseite antisemitische Inhalte und Verschwörungsmythen verbreitet. Bei Youtube veröffentlichte er Videos, in denen zum Sturz der Regierung aufgerufen und behauptet wird, in Deutschland herrsche keine Demokratie. Gemeinsam gaben alle drei Greifswalder dem rechtsextremen Magazin Compact ein Interview. Darin sprachen sie sich gegen "Wirtschaftsflüchtlinge" aus. Die Städte würden "vollgestopft" mit Fremden, sie fühlten sich verraten von Politik und Medien. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung reagierten die Initiatoren nicht. Eine Sprecherin sagte, man werde bis Sonntag keine Presseanfragen mehr beantworten. "Wir haben gerade Wichtigeres zu tun."

Die CDU fordert ein Ende der "migrationspolitischen Geisterfahrt"

Unterstützung bekommt die Nein-Kampagne von AfD, FDP und den Christdemokraten. Im Stadtverband verspricht man sich ein "klares Signal nach Berlin und Schwerin". Vom Bündnis "Greifswald für alle" fühlt man sich diskreditiert: Für dessen Mitglieder sei "schon das Äußern eines gesunden Nationalstolzes Ausdruck einer angeblich 'rechten' Gesinnung", heißt es in einer Pressemitteilung.

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Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende forderte in der Bürgerschaft ein Ende der "migrationspolitischen Geisterfahrt". Ein Telefonat zum Thema lehnt Axel Hochschild ab, da sich einzelne Fraktionsmitglieder zuletzt "in ungebührlicher Weise medial dargestellt" gefühlt hätten. Auf schriftliche Nachfrage, ob die demokratiefeindlichen Äußerungen aus dem Nein-Lager für die CDU tolerierbar seien, antwortet Hochschild, dass "mögliche politische Meinungsäußerungen einzelner Initiatoren" bei der Entscheidungsfindung keine Rolle gespielt hätten. "Sie sind mir persönlich auch nicht bekannt."

Lautet das Ergebnis am Sonntag "Nein" müsste der Landkreis nach alternativen Flächen oder geeignetem Wohnraum suchen, notfalls auch die Belegung von Turnhallen prüfen. Auch für diesen Fall haben die Initiatoren des Bürgerbegehrens ihr Dagegensein angekündigt. Mit dem Sammeln von Unterschriften haben sie bereits begonnen.

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