Flüchtlinge - Dresden:Zustrom von Flüchtlingen verlangt klare Zuständigkeiten

Deutschland
Prof. Hans Vorländer spricht. Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Dresden (dpa/sn) - Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer sieht große Versäumnisse bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und fordert ein sofortiges Umsteuern. "Vieles läuft falsch oder nicht so, wie man das eigentlich erwarten konnte. Wir erleben ein System organisierter Unverantwortlichkeit. Das darf man so nicht durchgehen lassen", sagte Vorländer der Deutschen Presse-Agentur. Das fange bereits bei der Verteilung der Geflüchteten an: Der Bund vertrete die Auffassung, das sei Ländersache und die Länder wiederum sähen hier die Kommunen in der Pflicht.

Der Politologe hält das für eine Vermeidung von Verantwortung. "Wenn etwas nicht funktioniert, gibt es das übliche Blame Game. Wir stellen die Schuldfrage und verweisen auf die Zuständigkeit anderer." Das sei aber weder der Not Betroffener angemessen noch hilfreich für ihre schnelle Integration. "Man muss erwarten können, dass Bund und Länder sich abstimmen und den Königsteiner Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge aktivieren. Das setzt ihre rasche Registrierung voraus." Diese sei wichtig, damit Geflüchtete alle Leistungen beziehen und schnell eine Arbeit aufnehmen könnten.

Zudem müsse sich die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union (EU) dafür einsetzen, dass man etwa Polen und Moldau - also die unmittelbar von der ersten Welle ukrainischer Flüchtlinge betroffenen Länder - entlastet. Dies könne durch Luftbrücken für Geflüchtete in andere europäische Länder und auch direkt nach Deutschland geschehen, erläuterte Vorländer, der an der Technischen Universität Dresden unter anderem das Mercator Forum Migration und Demokratie leitet.

Private Helfer und zivilgesellschaftliche Organisationen seien sehr engagiert, aber bei fehlender Unterstützung schon bald erschöpft. "Deshalb müssen jetzt Bund und Länder miteinander reden, genauso wie die Länder mit ihren Kommunen. Wir brauchen Krisenstäbe, die rasch effektive Strukturen vereinbaren und Verantwortlichkeiten verbindlich regeln. Das kann ich momentan noch nicht erkennen", bemerkte der Wissenschaftler.

Bund und Länder müssten sich auf einem Flüchtlingsgipfel auf die notwendigen Schritte verständigen. Gleiches gelte für die Länder und ihre Kommunen. Es gehe darum, alle zuständigen Stellen einzubinden, um Unverbindlichkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen.

"Man muss die Leute in die Pflicht nehmen, Vereinbarungen treffen und die Sorge tragen, dass sie auch umgesetzt werden. Das ist die Lehre aus den Jahren 2015/2016 und der Corona-Pandemie", stellte der Professor fest. Notwendig sei vorausschauendes Handeln. "Wir müssen davon ausgehen, dass tagtäglich Tausende Menschen zu uns kommen." Wenn der Krieg noch länger gehe, sei mit mehreren Millionen Flüchtlingen zu rechnen. Damit könne man einzelne Länder nicht allein lassen.

"Wir brauchen vorausschauend Strukturen und Mechanismen der Unterbringung und Versorgung dieser Menschen. Genauso wichtig ist ein schneller Zugang der Kinder zu Bildungseinrichtungen und der Eltern auf den Arbeitsmarkt. Darin liegt eine ungeheuer große Chance. Denn ein Großteil dieser Menschen ist sehr gut ausbildet - auch in Bereichen wie Pflege und Bildung", betonte Vorländer. Nur darauf sei die Verwaltung in Deutschland bisher leider nicht eingestellt.

© dpa-infocom, dpa:220317-99-555509/2

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