Asylpolitik:Eine Karte für Teilhabe statt Gängelung

Lesezeit: 2 Min.

Die Stadt Hannover bucht auf die "Social Card" für Asylbewerber ein Guthaben, überprüft aber keine Transaktionen. (Foto: Jens Wolf/DPA)

Hannover führt eine Bezahlkarte für Geflüchtete ein. Doch das Modell der niedersächsischen Hauptstadt unterscheidet sich von dem, was Bund und Länder verabredet haben.

Von Ulrike Nimz, Hamburg

Das Ob und das Wie sind zuletzt bundesweit diskutiert worden, nun hat Hannover den entscheidenden Schritt gemacht und als erste deutsche Großstadt eine Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt. Die sogenannte "Social Card" soll den Verwaltungsaufwand bei der Zahlung von Sozialleistungen verringern und Geflüchteten einen "diskriminierungsfreien Zugang zur bargeldlosen Zahlung" ermöglichen, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) am Freitag bei der Vorstellung des Modells. "Ich halte die aktuelle Debatte über Beschränkungen der Karte und die Diskussion um Sachleistungen für falsch und nicht zielführend. Es geht hier um Menschen in Notsituationen, denen wir Teilhabe ermöglichen wollen."

Bund und Länder hatten sich Anfang November darauf geeinigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen sollen. Bis Ende Januar sollen Vorschläge für bundesweit einheitliche Mindeststandards erarbeitet werden. Als Begründung wurde genannt, dass Schutzsuchende so kein Geld aus staatlicher Unterstützung an Angehörige und Freunde im Herkunftsland senden könnten.

Etwa 200 berechtigte Asylbewerber pro Monat kommen nach Hannover

Hannover geht nun einen anderen Weg, die "Social Card" soll kein Instrument der Restriktion sein, sondern Menschen zugutekommen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, aber über kein eigenes Konto verfügen. In der Theorie betrifft das nur eine sehr kleine Gruppe, da Banken und Sparkassen die Eröffnung eines Basiskontos nur in Ausnahmefällen verweigern dürfen, etwa, wenn die Nationalität ungeklärt ist oder Geflüchtete keinen Ankunftsnachweis oder Duldungsbescheid vorweisen können. Im Alltag komme es jedoch immer wieder vor, dass Geldinstitute sich trotz Berechtigung querstellen oder Geflüchtete an der Bürokratie scheitern, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Dort hält man die Einführung der Karte für "absolut begrüßenswert". Derzeit kommen etwa 200 Asylsuchende pro Monat nach Hannover, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus Anspruch auf die Karte haben, perspektivisch könnten es 300 bis 400 sein.

Bislang mussten in Hannover monatlich sogenannte Verpflichtungsscheine abgeholt werden, eine Art Scheck, der zur Auszahlung durch die Sparkasse berechtigt. Mit Zuzug der Geflüchteten aus der Ukraine stiegen die Zahlen stark an, teilweise bildeten sich lange Schlangen. Das soll künftig ausbleiben.

Die "Social Card" funktioniert wie eine Debitkarte, Berechtigte können frei über die Verwendung ihres Guthabens entscheiden, auch unbegrenzt Bargeld abheben. Überzogen werden kann die Karte nicht. Nur die Stadt kann Guthaben buchen, kontrolliert aber keine Transaktionen. Damit unterscheidet sich der Vorstoß wesentlich von Pilotprojekten anderer Kommunen. In Hamburg, wo der Senat ebenfalls eine "Social Card" plant, hält man sich offen, den Gebrauch für bestimmte Branchen zu reglementieren, beispielsweise für Glücksspielanbieter.

In Thüringen und Bayern setzt man auf Restriktion

In Thüringen, wo Geflüchtete derzeit in den Landkreisen Greiz und Eichsfeld mit einer vergleichbaren Karte bezahlen, kann damit kein Bargeld abgehoben werden. Zum monatlichen Aufladen müssen Berechtigte persönlich im Landratsamt erscheinen, die Karte funktioniert nur im entsprechenden Landkreis. Der Thüringer Flüchtlingsrat kritisiert das als Gängelung. Man wolle den Menschen das Leben offenbar so schwer wie möglich machen. Auch Bayern will zum kommenden Frühjahr eine Prepaid-Karte einführen, wobei Barabhebungen "auf das rechtlich gebotene Minimum" beschränkt sein sollen. Das Innenministerium will so "Zuzugsanreize verringern" und "die Finanzierung von Schlepperkriminalität bekämpfen".

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Geflüchtete haben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes rechtlichen Anspruch auf eine Kombination aus Sach- und Geldleistungen, deren Höhe sich nach Lebenssituation und Alter richtet. Für einen alleinstehenden Erwachsenen sind das 410 Euro im Monat, davon 182 Euro zur Deckung des "notwendigen persönlichen Bedarfs". Damit liegen die Sätze unterhalb des Bürgergeldes für Erwerbslose.

Ziel der Stadt Hannover ist es, bis Anfang 2024 alle Berechtigten mit den Karten auszustatten. 70 sind bereits seit Herbst testweise im Umlauf, heißt es aus dem Rathaus. Probleme in Geschäften oder am Geldautomaten seien bislang nicht gemeldet worden.

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