Migrationsgipfel:Verhärtete Fronten zwischen Bund und Ländern

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser wird wegen ihrer Haltung zur Flüchtlingsfinanzierung kritisiert. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

In einer eigenen Beschlussvorlage fordern die Länder mehr Geld, doch die Bundesregierung sieht keinen Spielraum. Vor dem Flüchtlingsgipfel wächst aber auch die Kritik innerhalb der Ampelkoalition.

Von Markus Balser, Daniel Brössler, Nicolas Richter und Mike Szymanski, Berlin

Vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch im Kanzleramt verschärft sich auch in der Regierungskoalition der Streit um Finanzhilfen. Grünen-Chefin Ricarda Lang übte am Montag harte Kritik an Innenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin verweise im Ringen um eine Lösung für überlastete Kommunen nur auf die EU-Ebene, sagte Lang in Berlin. Regelungen in der Flüchtlingspolitik dort griffen jedoch erst in "langer Zeit. Die Kommunen brauchen aber jetzt Hilfe und Unterstützung", forderte die Grünen-Chefin und mahnte eine schnelle Lösung in dieser Woche an.

Danach aber sieht es bislang nicht aus. Einigkeit herrscht vor dem Treffen von Bund und Ländern im Kanzleramt nur in einer Hinsicht: Keine Seite hat eine Vorstellung davon, wie ein Kompromiss aussehen könne. Bund und Länder gehen mit unvereinbaren Positionen in das Treffen. Während Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) höhere Zahlungen in einer Beschlussvorlage für das Treffen ablehnen, werden höhere Zahlungen von den Ländern etwa für die Unterbringung vehement gefordert.

Seit Montagabend ist der harte Streit noch um eine Wendung reicher. Denn die Länder legten überraschend eine eigene Beschlussvorlage für das Treffen vor - und machen damit klar, dass sie über die des Kanzlers gar nicht erst reden wollen. Der Entwurf für die Erklärung des Gipfels am Mittwoch liest sich wie ein Affront gegen die Regierung. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Die Länder pochen in dem Papier darauf, dass der Bund sehr viel mehr Geld an sie und die Kommunen überweist. "Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind sich einig, dass es sich bei den Migrationsbewegungen der letzten Jahre um eine dauerhafte Entwicklung handelt", heißt es in dem Entwurf. Die bisherigen Zahlungen würden der Lage nicht gerecht.

Die Länder präsentieren ihrerseits vier Kernforderungen: Die vollständige Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete sowie eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Daneben auch eine verlässliche Lösung für Integrationskosten.

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"Hilferufe werden aus Berlin abgetan"

"Leider ignoriert die Bundesregierung bisher weitgehend die Lage vor Ort. Die Hilferufe aus Städten und Gemeinden werden aus Berlin abgetan", hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bereits am Nachmittag gewarnt. Nötig seien "endlich konkrete Ergebnisse vor allem für eine faire Lastenteilung bei der Finanzierung".

Einig sind sich Länder und Kommunen auch in ihrer Forderung nach einer Reform, die auf schwankende Zahlen ankommender Flüchtlinge reagiert. "Es besteht Einigkeit, dass der Bund zurückkehren muss zu einem atmenden System der Flüchtlingsfinanzierung", sagte Wüsts niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD).

Auch die Kommunen fordern eine schnelle Reaktion. "Das Geld muss den steigenden Flüchtlingszahlen folgen", sagt Städtetagspräsident Markus Lewe, der auch Oberbürgermeister von Münster ist, der Süddeutschen Zeitung. "Starre Pauschalen helfen den Städten nicht weiter". Die kommunalen Aufnahmekapazitäten seien vielerorts erschöpft. Der Städtetag mahnt deshalb auch praktische Hilfe vom Bund an. Der müsse "eigene Unterbringungskapazitäten zur Erstaufnahme errichten, um diese bei hohen Zugangszahlen zu entlasten".

Wie misslich die Kritik für die Kanzlerpartei SPD inzwischen ist, zeigt sich am Montag in der Parteizentrale. Die SPD-Spitze traf sich zur Präsidiumssitzung. Zu Gast war Andreas Bovenschulte, Bürgermeister in Bremen, der am nächsten Sonntag eine Landtagswahl zu bestehen hat. Dank seiner Popularität hat die SPD gute Chancen, weiter in Bremen und Bremerhaven regieren zu können. Um ein Thema hat Bovenschulte in diesem Wahlkampf versucht, weitgehend einen Bogen zu machen: die Migrationspolitik.

"Da prallen zwei Ebenen aufeinander"

Am Montag gelang ihm das nicht mehr. Er stand neben Parteichefin Saskia Esken auf der Bühne und musste Fragen der Journalisten beantworten, und zwar solcher Art: Ob der Bund mehr zahlen müsse? Ja, dieser Meinung ist Bovenschulte. Seit der Flüchtlingskrise 2015 hat seine Doppelstadt 15 000 zusätzliche Schüler zu unterrichten, aktuell gehe es um zusätzlich 45 Klassen, die sein Bundesland einrichten müsse. Für das kleine Bundesland sei das eine "echte Herausforderung". Doch das SPD-geführte Kanzleramt lehnt eine stärkere Beteiligung an den Kosten ab. "Da prallen zwei Ebenen aufeinander", sagt Bovenschulte.

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Die Parteispitze trägt dabei weitgehend den von Scholz vorgegebenen Kurs mit. Auch Parteichefin Saskia Esken sagte am Montag, in dieser Debatte gehe es nicht nur "um die Höhe der Mittel", sondern auch um die Frage: "Kommen die Mittel auch da an, wo sie am dringendsten gebraucht werden". Der Königsteiner Schlüssel, der die Kontingente nach Steueraufkommen und Bevölkerung der Länder verteilt, sei dafür "an vielen Stellen nicht sachgerecht".

Über Parteigrenzen hinweg fordern auch die Finanzminister der Länder in einem 15-seitigen Papier, dass der Bund seine finanzielle Unterstützung deutlich ausweiten müsse, weil seine Sozialleistungen für Geflüchtete die Kosten nicht deckten. Es gebe "umfängliche Kosten für Integration, Betreuung, Beschulung" von Geflüchteten, die von den Ländern und Gemeinden zu tragen seien.

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