Flucht vor dem IS:Syrische Flüchtlinge überwinden Grenze zur Türkei

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Ein Mädchen wird über den Grenzzaun gehoben: Es sind dramatische Szenen, die sich unweit der türkischen Stadt Akçakale abspielen. (Foto: Bulent Kilic/AFP)
  • Tausende syrische Flüchtlinge haben bei der Stadt Akçakale die Grenze zur Türkei überquert.
  • Zunächst hatten türkische Soldaten versucht, die Flüchtlinge mit Warnschüssen und dem Einsatz von Wasserwerfern daran zu hindern, in die Türkei zu gelangen.
  • Die Menschen fliehen vor heftigen Gefechten um die Stadt Tal Abjad (Tall Abyad), die kurdische Kämpfer vom IS zurückerobern wollen.
  • Amnesty International zufolge leben derzeit vier Millionen syrischer Flüchtlinge in Ländern in der Region, meist unter schwierigsten Umständen.

Flüchtlinge überwinden Grenze zur Türkei

Tausende Syrer sind am Sonntagabend vor den heftigen Kämpfen um die Stadt Tal Abjad über die Grenze in die Türkei geflüchtet. Türkische Sicherheitskräfte hatten zunächst versucht, die Flüchtlinge nicht ins Land zu lassen: Mit Wasserwerfern und Warnschüssen trieben sie die Menge am Samstag und Sonntag am Grenzübergang Akçakale auseinander. Am Sonntagabend durften sie schließlich doch die Grenze passieren.

Flüchtlinge zwängen sich durch den mit Stacheldraht geschützten Grenzzaun bei Akçakale. (Foto: AP)

Die Menschenmenge wurde stundenlang an der Grenze hinter einem Zaun mit Stacheldraht zurückgehalten. Die türkischen Sicherheitskräfte ließen lange Zeit niemanden passieren.

In ihrer Verzweiflung versuchten Dutzende Menschen, über die Absperrungen zu klettern oder unter dem Stacheldraht durchzukriechen. Immer wieder kam es zu chaotischen Szenen. Am Sonntagabend dann durften erste Flüchtlinge die Grenze passieren. Es bildeten sich lange Schlangen, türkische Helfer warfen Wasserflaschen in die bei glühender Hitze wartende Menge. Nach Angaben des türkischen Fernsehens wurde mit der Ankunft von etwa 3000 Syrern gerechnet, den Bildern zufolge dürfte die Zahl jedoch wesentlich größer sein.

Strategiewechsel der türkischen Regierung

Syrische Frauen, Männer und Kinder, bepackt mit ihren Habseligkeiten. (Foto: AP)

Die Türkei wollte den durch die Gefechte ausgelösten Flüchtlingsstrom zunächst stoppen. Die Menschen sollten im eigenen Land bleiben, sagte Vizeministerpräsident Numan Kurtulmuş dem Sender CNN-Turk und versprach Hilfsgüter. Er verwies darauf, dass die Türkei seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 bereits mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe.

Wenig später änderten die türkischen Behörden dann nach einer Meldung der staatlichen Agentur Anadolu ihre Linie und erlaubten Flüchtlingen die Einreise. IS-Extremisten hätten den Menschen jedoch dann den Grenzübertritt verwehrt.

Letzten Endes bahnten sich die Flüchtlinge offenbar selbst einen Weg über die Grenze. Die Menschen warfen Habseligkeiten über den Zaun, Kleinkinder wurden über den Stacheldraht gehoben. Im Grenzzaun klaffte eine mehrere Meter breite Lücke.

Die türkischen Behörden schickten Verstärkung und sammelten die Flüchtlinge auf der türkischen Seite der Grenze, so dass sie nicht weiter ins Land eindringen konnten.

Mutmaßliche IS-Kämpfer in unmittelbarer Nähe zu den Flüchtlingen. (Foto: AFP)

Kampf um Tal Abjad

Hintergrund des Flüchtlingsansturms ist der Vormarsch kurdischer Einheiten auf den vom IS gehaltenen, strategisch wichtigen Ort Tal Abjad. Die Kurden versuchen, die Stadt zu erobern und damit eine wichtige Nachschublinie des IS zu kappen. Die Grenzstadt liegt etwa 80 Kilometer nördlich der IS-Hochburg Rakka, die die Extremisten zur Hauptstadt ihres Kalifats ausgerufen haben.

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Die USA und ihre Verbündeten flogen auch am Sonntag Luftangriffe auf Tal Abjad. IS-Kämpfer in Tal Abjad versuchten Aktivisten zufolge, die Offensive der kurdischen Milizen zu blockieren. Sie sprengten Brücken südöstlich und südwestlich der Stadt in die Luft, wie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete.

Amnesty prangert Versagen bei Flüchtlingskrise an

Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge versuchen derzeit vier Millionen syrischer Flüchtlinge vor allem in der Türkei, aber auch im Libanon, in Jordanien, im Irak und in Ägypten unter schwierigsten Umständen zu überleben. Insgesamt hätten bewaffnete Konflikte in der arabischen Welt und Afrika die "schlimmste Flüchtlingskrise seit dem zweiten Weltkrieg" ausgelöst, schreibt die Organisation in einem Bericht, der am Montag in der libanesischen Hauptstadt Beirut vorgestellt wurde.

Amnesty kritisiert massive Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft. Weil der Lage der Flüchtlinge nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben werde, seien Millionen Menschebn zu einem Leben in Elend und Tausende zum Tode verdammt. Dem Bericht zufolge sind derzeit etwa eine Million Flüchtlinge dringend auf eine Aufnahme in sicheren Ländern angewiesen.

Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty sagte, die Welt dürfe Länder wie die Türkei und den Libanon,die die größte Last der Flüchtlingskrise trügen, nicht länger alleine lassen.

© Süddeutsche.de/AFP/AP/dpa/Reuters/dayk/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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