Finnland will Recht auf Asyl einschränken:Ein Gesetz gegen die Menschenrechte

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Geflüchtete am Grenzübergang im finnischen Salla. In Zukunft könnten sie abgewiesen werden. (Foto: Lehtikuva/Reuters)

Finnland will Migration aus Russland verhindern und plant ein umstrittenes Gesetz, das es möglich machen würde, Asylsuchende an der Grenze abzuweisen. Kritiker befürchten einen Präzedenzfall für die EU.

Von Alex Rühle

Die finnische Regierung plant ein sogenanntes Ausnahmegesetz, das den Grenzbehörden weitreichende Befugnisse einräumen soll, Asylsuchende kategorisch an der Grenze abzuweisen. Dieses Gesetz würde Experten zufolge der finnischen Verfassung und mehreren internationalen Abkommen zuwiderlaufen.

Weil im vergangenen Herbst von russischer Seite aus immer wieder Migrantengruppen an finnischen Grenzstationen ankamen, beschloss die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsident Petteri Orpo im November, alle Übergänge nach Russland vorübergehend zu schließen. Bis zu dem Zeitpunkt hatten von den angekommenen Migranten etwa 1300 um Asyl gebeten.

Am 15. März hat die Regierung nun besagtes Ausnahmegesetz vorgeschlagen, das "befristete Maßnahmen zur Bekämpfung der instrumentalisierten Einwanderung" genehmigen soll. Asylsuchende sollen an der Einreise gehindert, die Annahme von Anträgen dadurch stark gesenkt werden. In Einzelfällen - etwa bei Kindern und Alten oder wenn den Betroffenen in ihren Heimatländern die Todesstrafe drohe - sollen die Grenzbeamten Ausnahmen machen dürfen.

Die nationale Sicherheit stehe nun mal an erster Stelle, sagt Ministerpräsident Orpo

Sowohl die UN-Menschenrechtserklärung als auch die EU-Grundrechte-Charta und die Europäische Menschenrechtskonvention räumen jeder Person das Recht ein, an der Grenze eines Staates Asyl zu beantragen. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo argumentiert aber, diese internationalen Abkommen seien zu Zeiten abgeschlossen worden, in denen noch kein Staat Flüchtlinge als Waffe eingesetzt habe. Orpo vermutet, der Druck an der Ostgrenze werde in diesem Frühjahr stark zunehmen, weshalb die Regierung zu dieser Gesetzesänderung von Russland gezwungen werde.

Er räumte ein, es handle sich für alle Regierungsparteien um ein "schwieriges Gesetz", aber die nationale Sicherheit stehe nun mal an erster Stelle. Innenministerin Mari Rantanen von den rechtspopulistischen Wahren Finnen erklärte, die Regierung habe "das Recht und die Pflicht, unsere Grenzen und unser Recht auf Selbstbestimmung zu schützen. Gleichzeitig schützen wir auch die Außengrenzen der EU und der Nato".

Grenzbeamten müssten entscheiden, ob der vor ihnen stehende Mensch Recht auf Asyl hat

Da das Gesetz der finnischen Verfassung zuwiderläuft, müssen fünf Sechstel der Parlamentarier zustimmen, damit es in Kraft treten kann. Ob das klappt, ist zweifelhaft, die Linke hat bereits angekündigt, nicht zuzustimmen, die Sozialdemokraten ringen mit sich. Es ist auch schwer vorstellbar, wie die koalierende Schwedenpartei, die äußerst liberale Standpunkte vertritt und sich stets für die Menschenrechte starkmacht, solch einem Gesetz zustimmen soll.

Der Vorschlag hat in Finnland selbst für scharfe Kritik gesorgt. Martti Ant-Wuorinen, Chefinspektor des Grenzschutzes, schrieb , die vorgeschlagene Verordnung widerspreche der Rechtsstaatlichkeit und werde zu einem "unhaltbaren und unversöhnlichen Konflikt mit der gesamten Verfassung" führen, zumal es Russland "höchstwahrscheinlich nicht hindern werde, die Menschen an der Ostgrenze weiterhin zu instrumentalisieren". Er kritisierte ferner, die Regelung würde einzelne Beamte in eine unmögliche und unzumutbare Situation bringen. Da die Grenzbeamten in Zukunft ad hoc entscheiden müssten, ob der vor ihnen stehende Mensch vielleicht doch Recht aus Asyl habe, fürchten sie sich davor, bei einer Fehlentscheidung im Nachhinein strafrechtlich belangt zu werden.

Der Vorschlag verstößt gegen die finnische Verfassung, sagt der Jurist Koskenniemi

Der Justizkanzler Tuomas Pöysti kritisiert denn auch, der Ermessensspielraum für den Grenzschutz sei zu groß, das Gesetz sei zu unklar formuliert. Er betonte, die Regierung könne nur dann auf die mit dem Ausnahmegesetz vorgestellten Mittel zurückgreifen, wenn eine ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit oder des Selbstbestimmungsrechts Finnlands bestehe. Der Justizkanzler hat in Finnland zu überprüfen, ob die Regierung rechtmäßig handelt. Entwürfe, die er für gesetzwidrig hält, schlägt die Regierung für gewöhnlich nicht dem Parlament vor.

Der Jurist Martti Koskenniemi, emeritierter Professor für internationales Recht an der Universität Helsinki, sagte der SZ, man merke schon der Gesetzesbegründung der Regierung an, dass sie genau wisse, wie gravierend sie das Recht beuge: "Warum sonst geben sie in ihrem Antrag dreimal zu, dass Finnland damit internationale Verpflichtungen brechen wird?" Schwerer als der Bruch mit der internationalen Gesetzgebung wiegt in seinen Augen, dass der Vorschlag gegen die finnische Verfassung verstößt, "die extra betont, dass solche Ausnahmegesetze nur im äußersten Notfall beschlossen werden dürften".

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Außerdem fürchtet Koskenniemi, der auch als Diplomat gearbeitet hat, dass die Regierung Orpo mit dieser Initiative einen negativen Präzedenzfall für die Europäische Union schaffe. Finnlands Stimme habe international auch deshalb großes Gewicht gehabt, "weil wir uns konsequent an alle internationalen Vereinbarungen gehalten haben und auch andere stets ermahnt haben, diese einzuhalten". Insofern befürchtet er nun einen Renommeeverlust für sein Land.

Momentan plant die Regierung, Mitte April die Grenzen nach Russland für den normalen Verkehr wieder zu öffnen. Das vorgeschlagene Gesetz soll deshalb so bald wie möglich verabschiedet werden. Es wäre nach Inkrafttreten zunächst für ein Jahr gültig.

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