Finnische Regierungskrise:Erneut Hetztexte der Finanzministerin aufgetaucht

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Finnlands Finanzministerin Riikka Purra hatte zunächst erklärt, dass sie sich für gar nichts rechtfertigen müsse. Erst nach Tagen entschuldigte sie sich. (Foto: John Thys/AFP)

Darin bezeichnet die Politikerin verschleierte Musliminnen als "schwarze Säcke". Ein Vertrauensvotum soll es trotzdem erst mal nicht geben. Über eine Regierung in der Krise.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die finnische Regierungskrise hält das Land dermaßen in Atem, dass ein britischer Journalistenkollege kürzlich witzelte, er überlege einen Liveblog freizuschalten, so dramatisch wie die Situation vor sich hin eskaliere. Darum zunächst ein Update aus den vergangenen Tagen: Alle fünf Oppositionsparteien haben am Freitag vergangener Woche gefordert, das Parlament aus der Sommerpause zu holen, um über die "nationale und internationale Kritik am Vorgehen der Regierung" zu debattieren. Einige der Parteien wollten ein Vertrauensvotum gegen Riikka Purra, die Vorsitzende der rechtspopulistischen "Wahren Finnen", initiieren.

Zuvor waren Texte aufgetaucht, in denen Purra davon fantasierte, in Vorstadtzügen um sich zu schießen, von "türkischen Affen" sprach, dazu aufforderte, Bettler zu bespucken und schwarze Kinder zusammenzuschlagen. Die Texte stammen von 2008. Purra ist Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Purra hatte zunächst auf ihrem Blog erklärt, dass sie sich für gar nichts rechtfertigen müsse und erst nach Tagen eine Entschuldigung formuliert.

Der Parlamentssprecher sagt, Kritiker der "Wahren Finnen" litten an "psychoseähnlichen Zuständen"

Nach der finnischen Verfassung entscheidet der Parlamentssprecher darüber, ob es gewichtige Gründe dafür gibt, die Abgeordneten in der sitzungsfreien Zeit zusammenzurufen. Diesen Posten bekleidet Jussi Halla-aho, selbst Mitglied und mehrere Jahre Vorsitzender der "Wahren Finnen". Purra hatte ihre rassistischen Kommentare vor 15 Jahren auf dessen Blog Scripta gepostet. Halla-aho hatte auf Scripta selbst derart rassistische Texte veröffentlicht, dass er wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.

Halla-aho lehnte den Oppositionsantrag mit der Begründung ab, die Situation sei nicht dringlich genug und die Unabhängigkeit des Parlaments müsse gegen "Druck von außen" geschützt werden, womit er sich auf Postings in den sozialen Medien und "die linken und grünen Medien" bezog. Zuvor hatte er gesagt, die Kritiker der "Wahren Finnen" litten an "psychoseähnlichen Zuständen". Der Parlamentssprecher soll laut Verfassung überparteilich agieren.

Am Wochenende meldeten sich in Helsingin Sanomat, der größten Tageszeitung, drei Verfassungsrechtler zu Wort, die Halla-aho für seine Entscheidung kritisierten. Veli-Pekka Viljanen, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Turku, argumentierte, die Verfassung gestehe dem Präsidenten zwar einen weiten Ermessensspielraum zu, Halla-aho habe deshalb nicht verfassungswidrig gehandelt. "Der zentrale Gedanke des Parlamentarismus ist aber der Dialog zwischen Regierung und Opposition. Es ist sehr außergewöhnlich, dass die gesamte Opposition es für notwendig hält, die Parlamentspause zu unterbrechen. Aus diesem Grund ist die Anfrage sehr wichtig und ich denke, der Sprecher hätte ihr zustimmen sollen." Ähnlich argumentierten die anderen beiden Juristen.

Purras Hetztexte waren kein Einzelfall. Zuvor hatte bereits der Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila aufgrund von Hitlerwitzen, rassistischen Abtreibungsfantasien und Beziehungen in die Neonaziszene zurücktreten müssen. Sein Nachfolger wurde von mehreren jungen Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt. Die Innen- und die Justizministerin, beide aus der Riege der "Wahren Finnen", haben wiederholt den rechtsextremen Verschwörungsmythos vom "großen Austausch" zitiert.

Die liberale Koalitionspartei zeigte sich "besorgt über die Funktionsfähigkeit der Regierung"

Die liberale Schwedische Volkspartei (SFP/RKP), eine der vier Koalitionsparteien, die sich mit der nationalistischen Ausrichtung der "Wahren Finnen" ohnehin schwertut, trat am Freitag zu einer Krisensitzung zusammen und zeigte sich danach "sehr besorgt über die Funktionsfähigkeit der Regierung (...). Wir möchten Premierminister Petteri Orpo nun Zeit geben, die Situation zu beurteilen und eine ernsthafte Diskussion mit den Vorsitzenden der Regierungsparteien zu führen."

Damit liegt der Ball nun bei Orpo. Der war dieses Wochenende in Berlin auf Besuch und betonte dort, es gebe "in der finnischen Regierung keine rechtsextreme Partei", die "Wahren Finnen" hätten sich seit 2017 zum Positiven "verändert". Während seines Aufenthalts kamen neue Hetztexte von Riikka Purra zutage.

Orpo betont gern, die bisher inkriminierten Texte seien von 2008. Diese nun stammten von 2019, Purra bezeichnete darin verschleierte Musliminnen als "schwarze Säcke". Eine Online-Petition, die für ihren Rücktritt plädiert, wurde über 100 000 Mal unterzeichnet, was bei fünf Millionen Einwohnern viel ist. Laut Helsingin Sanomat trauen sich viele Somalier nicht mehr auf die Straße, seit Purras Texte neu veröffentlicht wurden.

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Petteri Orpo schiebt die Schuld am Koalitionsschlamassel zumindest teilweise den Sozialdemokraten zu, die sich geweigert hätten, mit seiner konservativen Sammlungspartei KOK zu koalieren. Das stimmt nicht, die Sozialdemokraten waren bereit zu einer Koalition, sie schlossen nur aus, mit den "Wahren Finnen" gemeinsam Regierungsverantwortung zu übernehmen. Man kann in den Zeitungen viele Texte finden, die zeigen, dass Orpos KOK schon lange vor den Wahlen den inhaltlichen Schulterschluss mit den "Wahren Finnen" gesucht hatte.

Auf Riikka Purras Blog steht immer noch der Text, in dem sie schreibt, es würde ihr "nie in den Sinn kommen, zurückzutreten oder zu bereuen, was ich vor Jahren getan und gesagt habe". In der finnischen Twitter-Welt trendete in der vergangenen Woche das Wort "hävettää". Zu Deutsch: peinlich oder schäme dich.

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