Bürgerschaftswahlkampf der FDP:Die verunsicherten Sinnsucher von der Elbe

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„In Hamburg wird nicht über mich abgestimmt“: Christian Lindner mit den FDP-Landesspitzen Anna von Treuenfels (Mitte) und Katja Suding. (Foto: Andre Lenthe/imago images)

Die Hamburger FDP muss um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft bangen. Das hat viel mit dem Verhalten der Parteifreunde in Thüringen zu tun.

Von Ralf Wiegand, Hamburg

Das Auditorium der Hamburger Bucerius Law School, wo die Spitzenjuristen von morgen ausgebildet werden, ist eine gute Bühne für Christian Lindner. Es ist Wahlkampf in Hamburg, sein Publikum ist an diesem Abend so jung, wie der nun auch schon 41-jährige Vorsitzende der FDP gerne wirken würde, und es geht ums Ganze. In Hamburg kämpfen die Liberalen um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft.

Die Wahl am Sonntag wird den jüngsten Umfragen zufolge ein Balanceakt auf sehr dünnem Seil. Die eigentliche Botschaft hatte Lindner, weißes Hemd, offener Kragen, sehr gesunde Bräune im Gesicht, sicherheitshalber schon am Morgen im Hamburger Abendblatt platziert: "In Hamburg wird nicht über mich abgestimmt."

Knapp drei Wochen nach dem Thüringen-Desaster, der Wahl des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mithilfe der AfD, will Lindner die Lösung sein, nicht das Problem. Diese Deutung fiele ihm leichter, wenn seine Partei nicht gleich die erste Wahl weit weg von Erfurt wegen Erfurt verlöre. Er wolle nur ein paar Gedanken formulieren, sagt Lindner, aber keine Rede halten. Er spricht dann fast 50 Minuten.

Sie werden dafür beschimpft, Kemmerich aufgestellt zu haben - oder ihn fallen gelassen zu haben

Thüringen, Kemmerich, AfD, die Krise der Demokratie. Seit jenem vermaledeiten 5. Februar kämpfen die Elb-Liberalen gleich gegen eine ganze Herde weißer Elefanten, die bei jedem Besuch einer Schule, an jedem Wahlkampfstand, auf jedem Podium durch die Kulisse trampeln. Wahlplakate werden beschmiert, Flyer zerrissen, am Abend von Erfurt diente die Parteizentrale in der Innenstadt als Ziel vieler Hundert Demonstranten. Wenn sie nicht dafür beschimpft wird, Kemmerich aufgestellt zu haben, dann dafür, dass sie ihn hat fallenlassen. Und das, obwohl daran kein Hamburger schuld ist. Selbst Politiker anderer Parteien bedauern in persönlichen Gesprächen das Dilemma ihrer Konkurrenten. Mitleid, auch das noch.

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Plötzlich ist die FDP, die in Hamburg das ruhige Leben einer Sieben-Prozent-Partei führte, wieder wer. Nur wer? Wofür sollen die Liberalen streiten, fragen sich die freiheitlichen Sinnsucher; unter dieses Motto hat die liberale Hochschulgruppe der renommierten Juristen-Schmiede auch den Abend mit Lindner gestellt. Die Partei, der in ihrer Geschichte oft der Vorwurf der Beliebigkeit gemacht wurde, sucht ihren Standort umso mehr, da ihr jetzt auch noch eine geschmeidige Empfänglichkeit für unmoralische rechte Trickserein unterstellt wird. Der Wahlslogan "Die Mitte lebt" klingt da noch mehr wie der Notruf eines Ertrinkenden ans nächste Rettungsschiff: Hallo, hier ist noch jemand!

Die Mitte ist auch Lindners Thema, zielgruppengerecht definiert er sie vor den jungen Akademikern wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich, erstens, zweitens, drittens. Und immer kommt die FDP dabei heraus. Die Menschen zwischen oben und unten, zwischen Klimanotstand und Klimazynismus, zwischen den rechten und linken Systemveränderern. Die Menschen, die "im verschneiten Hochschwarzwald Diesel fahren müssen", weil sie sonst nicht zur Arbeit kommen und das Auto außerdem noch nicht abbezahlt haben; die aber trotzdem auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. So ungefähr muss man sich, 50 Minuten sehr knapp zusammenfassend, Linders FDP vorstellen.

Er spottet über Greta Thunberg und macht dann doch noch eine wichtige Aussage

Tatsächlich wäre das nicht nur im Hochschwarzwald ein großes Potenzial, aber in Hamburg liegt es brach. Nur noch um die fünf Prozent Zustimmung brachten die letzten Umfragen für die FDP zu Tage, vor diesem Hintergrund sind alle Regierungsoptionen obsolet. Für Jamaika würde es nicht reichen, und für eine von der Landesvorsitzenden Katja Suding noch Mitte Januar ins Spiel gebrachte "Deutschland-Koalition", schwarz-rot-gelb, wäre gelb nach aktuellem Stand auch nicht mehr nötig, die beiden anderen könnten vielleicht auch ohne FDP. Die verlockende Idee, dadurch wären "die Grünen in der Opposition", wie Suding träumte, stammt aus den Tagen vor der neuen Thüringer Demut, als die Hamburger Liberalen mit der Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels sich zehn Prozent zum Ziel gesetzt hatten.

Die Kemmerich-Wahl, Lindner nennt sie an diesem Abend mal "das Fiasko von Thüringen", mal "Unfall", mal "Weckruf", kam dazwischen. Linder lebt einen offensiven Umgang damit vor, beklagt die Instrumentalisierung des Vorgangs, wenn nun "alles, was nicht links oder grün ist, rechts oder zu weit rechts sein" müsse.

Er spottet ein bisschen über Greta Thunberg ("Wie heißt noch mal dieses Mädchen?"), zitiert Dieter Nuhr ("Würde Goebbels noch leben, er würde Höcke auf Urheberrecht verklagen") und macht dann doch noch eine wichtige Aussage: "Die Äquivalenztheorie teile ich nicht." Bei den Linken würden die Fragen der parlamentarischen Demokratie anders beantwortet als bei der AfD, sie seien nicht gleich weit entfernt von der Mitte.

"Streiten Sie mit Ihrem Vorsitzenden", fordert Gerhart Baum vom Parteinachwuchs

Am Tag zuvor, Gerhart Baum ist Gast in Hamburg, wieder bei den Jung-Liberalen, Kaffee aus Pappbechern, Schokoherzen auf dem Tisch. "Mitte, Mitte", brummt der einstige Innenminister, 87, er sieht den Slogan in seinem Rücken nicht ("Die Mitte lebt"), was sei das denn: "Jeder will in der Mitte sein." Dann erinnert er kurz an Weimar und stellt fest: "Es war die Mitte, die die Demokratie nicht getragen hat."

Baum ist in allem ein Anti-Lindner, er mag keine sich der AfD-Klientel anbiedernden Witze, er hält nicht alle Verbote für schlecht, und er vermisst klare Aussagen: "Die Grünen sagen, was sie wollen - wir nur das, was wir nicht wollen." Mehr Mut, mehr Streit, mehr Personen, die dafür stehen, was die FDP will - das empfiehlt er dem Parteinachwuchs. "Streiten Sie mit ihrem Vorsitzenden, dann bekommen Sie Profil."

Es ist ein schwieriger Wahlkampf für die verunsicherten Sinnsucher von der Elbe, die als Erste erfahren werden, wofür man ihre Partei nach Thüringen noch hält. Was sie schon gelernt haben, ist die Schnelllebigkeit des Geschäfts, wo die Aussage von gestern sich heute schon liest wie Geschichte. Denn wie sagte Spitzenkandidatin Treuenfels noch vor gut einem Monat: "Wir Liberale haben einen klaren Kompass: Vernunft statt Ideologie, Haltung statt Beliebigkeit und keine Angst, sondern Mut."

© SZ vom 20.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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