Parteitag:Die FDP ist plötzlich wieder attraktiv

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Mit Christian Lindner an der Spitze werden die Liberalen umworben wie selten. Das ist für die Partei gefährlich.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Das muss man erst schaffen: aus diesem Loch noch mal herauszuklettern. Ein verdammt tiefes Loch ist es gewesen, in das die FDP 2013 stürzte. Sie ist ja nicht nur aus dem Bundestag geflogen. Wie im Bierzelt schlugen sich ihre Gegner auf die Schenkel, als die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde zerschellte. Mehr noch: Mit Häme wurden alle Fehler, Pannen und Streitereien aufgelistet, um zu belegen, dass die Erben eines Theodor Heuss auch auf Dauer im Parlament nichts mehr zu suchen hätten. Die Grünen lachten laut, die Union lächelte leise. Nur ein paar Sozialdemokraten meldeten sich bei denen, die im Staub lagen. Was die im Übrigen nicht vergessen haben.

Vier Jahre später sieht die Welt ganz anders aus. Mit Christian Lindner an der Spitze wird die Partei umworben wie selten. SPD, Grüne, Christdemokraten - aus allen Parteien melden sich Stimmen, die den geschmähten Gegner plötzlich attraktiv finden. Seit sich abzeichnet, dass die Partei am 7. Mai in Schleswig-Holstein gut abschneiden wird, am 14. Mai in Nordrhein-Westfalen noch eins drauflegen könnte und im September in den Bundestag zurückkehren dürfte, hat die Partei eine Anziehungskraft, die sie selbst kaum für möglich gehalten hätte. Das sagt noch nichts über ihre wahre Stärke. Es erzählt nur ziemlich viel über jene, die plötzlich das Hemd wechseln möchten.

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Ob die FDP wieder zu alter Größe erwächst, ist noch längst nicht entschieden. Die süßen Schmeicheleien der anderen sind dafür eher gefährlich. Das kann man an Christian Lindner studieren. Als er im Herbst 2013 die FDP übernahm, trat er eher bescheiden auf, manchmal fast demütig. Davon ist wenig geblieben. Am Freitag auf dem Parteitag präsentierte sich einer, der reden kann wie Guido Westerwelle und sich so stark fühlt wie Arnold Schwarzenegger. Ersteres ist eine große Qualität; Letzteres kann blind machen für die Zwischentöne, die man schnell braucht, wenn man irgendwann wieder Kompromisse schließen möchte.

Die FDP will keine Klientelpartei mehr sein, sondern deutlich mehr

Gleichwohl - Lindner hat etwas geleistet. Zuallererst ist da seine Gelassenheit, die er auf die demoralisierte Partei übertragen konnte. Dabei nutzte er eine Chance, die man nur bekommt, wenn die Katastrophe total ist: Er platzierte überall in der Partei die Leute, die er haben wollte. Die auf ihn hören und seine Weltsicht teilen. Und die sich von seiner Ruhe anstecken ließen. Es gab keine Konkurrenten mehr und keine Widersacher. Das hat vor allem in den ersten Jahren sehr geholfen, den Laden zusammenzuhalten.

Außerdem hat Lindner inhaltlich etwas verändert. Steuern und Abgaben senken? Das steht noch im Programm, aber es hat seine Schärfe und seine Ausschließlichkeit verloren. Statt alles darauf zu stützen, stürzt sich Lindner auf das Ziel, die Bildungspolitik neu zu denken und den blockierenden Föderalismus abzuschaffen. Er verlangt eine Digitalisierungsschulung der ganzen Gesellschaft, weil das alle angeht, nicht nur die Gewinner. Er wirbt für ein Einwanderungsrecht nach kanadischem Vorbild und eine weltoffene, tolerante Gesellschaft. Das ist noch kein Regierungsprogramm. Aber es ist eine Botschaft: Die FDP will keine kleine Klientelpartei, sondern deutlich mehr sein.

Das schützt sie aber nicht vor Eigentoren. Pläne der Parteiführung, Deutschtürken sollten hierzulande an keiner türkischen Abstimmung mehr teilnehmen können, ist weder sinnvoll noch tolerant oder weltoffen. Es ist unsouverän und berührt ein demokratisches Grundrecht, das die FDP niemals in Frage stellen sollte. Man kann bemerkenswerte Erfolge auch mit geringen Mitteln zunichte machen.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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