Familienministerin Schröder:Das Küken wird flügge

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Lange stand sie im Schatten ihrer populären Vorgängerin: Der Streit ums Geld gibt Kristina Schröder endlich die Möglichkeit, sich von Ursula von der Leyen zu emanzipieren. Mit Bildstrecke.

Stefan Braun, Berlin

Auf einmal ist Kristina Schröder auf allen Kanälen - und das hat sie eigentlich nur Roland Koch zu verdanken. Seitdem der hessische Ministerpräsident der CDU eine sehr harte Spardebatte aufzwungen hat, spielt die Bundesfamilienministerin eine Rolle in der Hauptstadt. Nicht, dass die Jüngste im Kabinett nicht vorhanden gewesen wäre. Sie ist seit sechs Monaten im Amt und hat sich zu vielen Dingen auch mal geäußert, aber sie ist bislang vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie sich, wo immer sie mal auf einen Termin hastet, meistens so innig mit ihrem Handy verbindet, dass von den höflichen Menschen keiner auf die Idee käme, sie anzusprechen.

Familienministerin Kristina Schröder: Häufig wird deutlich, dass sie doch sehr früh und sehr schnell Karriere gemacht hat. (Foto: Foto: ddp)

Wirklich erkennbar in ihrem Amt ist die Nachfolgerin von Ursula von der Leyen deshalb erst, seitdem der Hesse als stellvertretender CDU-Vorsitzender seine Partei als Obersparkommissar provoziert hat. Koch nimmt keinerlei Rücksichten mehr, auch nicht auf zentrale Errungenschaften der CDU wie den versprochenen Ausbau der Kinderbetreuung. Wollte Schröder - das Küken im Kabinett - von Kochs Welle nicht überspült werden, musste sie reagieren.

Vom Morgenmagazin der ARD bis zum heute journal des ZDF zeigte sich die 32-Jährige, keine Interview-Anfrage ließ sie verstreichen, um sich gegen Kochs Ideen und Wucht zu stemmen. Man kann es auch so sagen: In einer existenziellen Bedrohung ihrer Themen hat sie nicht mehr still gehalten - und ist den Deutschen so plötzlich ins Bewusstsein getreten. Für sie ist das kein schlechter Kollateralschaden der Koch'schen Attacken.

Dabei ist Kristina Schröder immerhin schon sechs Monate im Amt und mindestens 16 Jahre in der Politik. Sie wird im August zwar erst 33. Aber sie hat das gemacht, was man bisher vor allem von jungen Männern kannte. Sie hat sich in der Jungen Union ebenso kühl wie entschlossen hochgearbeitet und in einer Mischung aus hübscher Frau und kühler Berechnung an ihrer Karriere gebastelt. Bislang hat man derlei Polit-Professionalität vor allem den jungen Roland Kochs und Günther Oettingers zugetraut. Mit Schröder wird dieses Karrieremuster endgültig und umfassend auf die Welt der Frauen übertragen.

Wie die Anwältin aus amerikanischen Serien

Was freilich nicht bedeutet, dass sie als Ministerin gleich funktionieren würde. Noch erinnert die junge Hessin mit Wahlkreis Wiesbaden, die stets in sehr adretten Anzügen oder Kostümen auftritt, an eine Anwältin aus amerikanischen TV-Serien. Serien, die vor allem einem Muster folgen: die junge Staatsanwältin bringt von der Uni viel angelerntes Wissen mit, aber noch ziemlich wenig Lebenserfahrung. Die Folge: Die Anwältin rennt bei jedem neuen Fall erst mal gegen eine Mauer und lernt erst allmählich, wie sie durchdringen könnte.

Über den langfristigen Erfolg sagt das in der Serie ebenso wenig aus wie im wahren Leben. Aber es ist ein Muster, das auch die Ministerin Schröder gerade durchlebt hat. Im März hatte sie einigermaßen spontan die Idee einer Familienpflegezeit in den öffentlichen Raum geworfen - und musste nach sehr kurzem Lob sehr schnell erleben, wie die Idee erstmal zerpflückt wurde.

Nun, zwei Monate später, kehrt sie damit zurück auf die Bühne, und sie tut das nicht, ohne sich nicht mit wichtigen Waffen des Politbetriebs auszustatten. Sie hat die Bedenken gegen das Modell - zu teuer für die Unternehmen, zu wenig Akzeptanz bei den Mitarbeitern, zu unrealistisch in Zeiten klammer Staatshaushalte - aufgegriffen und versucht, sie zu kontern. Dazu hat sie die Kreditanstalt für Wiederaufbau gewonnen. Diese soll kleinen Unternehmen helfen, die eine Pflegezeit ihrer Mitarbeiter kaum alleine Schultern könnten. Sie hat das Volk von Meinungsforschern befragen lassen - und kann nun von großen Mehrheiten berichten, die ihr Modell unterstützen. Und sie hat den ehemaligen Regierungsberater und heutigen Versicherungsverkäufer Bert Rürup gebeten, eine Risikoversicherung auszuarbeiten.

Roland Koch
:Der mit dem Feuer spielt

Alle gegen einen: Roland Koch kennt diese Situation sehr gut. Höchst umstrittene Aussagen ziehen sich bei ihm durch die politische Laufbahn. Ein Überblick über die Verbalattacken des Hessen.

Ob die Familienpflegezeit wirklich Gesetz wird, weiß niemand. Erst im Herbst soll es einen Entwurf geben. Aber Schröder hat gezeigt, dass sie weiß, welche Mittel es gibt, um für die eigenen Ideen zu kämpfen. Mitten hinein in die aktuelle Spardebatte zum Bundeshaushalt kann sie behaupten, dass ihr Vorschlag "den Nerv" der Zeit treffe, weil die Menschen ihn wollten und er die Politik kaum etwas koste. Man ahnt, dass solches Vorgehen der Kanzlerin durchaus gefallen dürfte.

Diese Art erster politischer Cleverness steht freilich in einem gewissen Widerspruch zu Schröders überbordender Gestik. Diese Ministerin wirkt zwar erfrischend jung, insbesondere dann, wenn sie wie beim Runden Tisch gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern neben ihren Kabinettskolleginnen Annette Schavan und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auftritt.

Aber zugleich wirkt sie, die beinahe jeden Satz mit mächtigen Handbewegungen begleitet, wie ein Teenager, der, weil er besonders wichtig sein will, seine Eltern nachmacht. Schröder liefert wenige altkluge Sätze, aber sehr viele altkluge Gesten. Sehr lange ausgestreckte Zeigefinger, sehr weit ausgestreckte Arme, sehr resolut wegschiebende Handflächen. Alles Gesten, die immer zwei Nummern zu groß sind gemessen an ihrer zierlichen Statur und in ihrer derzeitigen politischen Bedeutung. Es sind diese Momente, die einen daran erinnern, dass die Bundestagsabgeordnete doch sehr früh und sehr schnell Karriere gemacht hat.

Eine Karriere im Übrigen, für die Schröder nur eine Stunde Bedenkzeit hatte. Als die Kanzlerin sie an jenem Tag im November 2009 fragte, ob sie sich vorstellen könne, Ministerin zu werden, stockte ihr der Atem. Eine Stunde, die ziemlich furchtbar war für die Abgeordnete, die sich bislang vor allem in der Innenpolitik bewegt hatte. Mehr als eine Stunde gab es trotzdem nicht, die Kanzlerin ist streng in solchen Momenten. Außerdem durfte sie es nur mit einem sehr kleinen Kreis besprechen. Nicht mal Schröders CDU-Landesvorsitzender eingeweiht war. Der heißt Roland Koch und man kann sich ausmalen, wie begeistert der war, als er vor vollendete Tatsachen gestellt wurde.

Vor sehr vollendete Tatsachen ist danach freilich auch Schröder gestellt worden. Kaum im Amt waren ihr die wichtigsten Mitarbeiter des Ministeriums auch schon abhanden gekommen. So sehr Schröder bei fast jedem Termin und fast jedem Thema politisch ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen begegnet, so brutal hat diese von der Leyen ihrer Nachfolgerin wichtige Staatssekretäre und Abteilungsleiter genommen. Es hat schon sanftere Amtsübergaben gegeben.

Und das wird ergänzt durch eine Entwicklung, die Schröder das Leben auch nicht leichter macht. Anders als noch in der letzten Legislaturperiode sitzt das Geld nicht mehr locker. Schröder muss froh sein, wenn sie von der Leyens zentrale Projekte, das Elterngeld und den Krippenausbau, gegen Streichungszwänge verteidigt. Fragt man in der Regierungsspitze nach, ob Schröder Raum für ein eigenes Projekt erhalte, heißt es strikt: Sorry, das kann sie vergessen.

Immerhin, das hat sie bereits verstanden. Am Donnerstag sagt sie: "Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir unsere Probleme immer mit mehr Geld lösen." Gemeint hat sie dabei die Politik, das Land, irgendwie alle. Gedacht aber hat sie an sich selber.

© SZ vom 21.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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