Fall Yücel:Erdoğan hat sein Land in eine Dunkelkammer verwandelt

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Deniz Yücel hat nichts anderes getan, als über die Türkei zu berichten - so, wie sie derzeit ist. Dafür straft ihn die Justiz mit aller Härte. Deutschland muss mit bedrückender Hilflosigkeit zusehen.

Kommentar von Mike Szymanski

Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der Zeitung Die Welt, hat die Zeit im türkischen Polizeigewahrsam bisher standhaft ertragen. Seinen Anwälten hat er ein Haftprotokoll diktiert. Jede Zeile ist bedrückend: kein Tageslicht, stickige Luft, Enge, Dauerbewachung, Essen aus Konserven, an der Heizung aufgewärmt. Aber aus jeder Zeile lässt sich auch ablesen, dass Yücel sich nicht einschüchtern lässt.

Als er sich vor zwei Wochen auf dem Polizeirevier meldete, um selbst dabei zu helfen, die Vorwürfe gegen ihn aufzuklären, wusste er, dass er möglicherweise kein gerechtes Verfahren bekommt. Schon die Anschuldigungen klangen absurd: Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation und Terror-Propaganda. Deniz Yücel hat nichts anderes getan, als über die Türkei zu berichten. Er hat genau hingeschaut und Missstände aufgedeckt. Dafür straft ihn die türkische Justiz mit aller Härte. Die maximale Zeit im Polizeigewahrsam von zwei Wochen hat sie komplett ausgereizt. Nun entschied ein Haftrichter, Yücel muss in Untersuchungshaft.

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Der Übergriff auf die Pressefreiheit erreicht eine neue Dimension

Das ist nicht nur eine Schreckensnachricht für den Korrespondenten. Wie die türkische Regierung mit der Pressefreiheit umgeht, ist ein Skandal. Immer deutlicher zeigt sich, wie sehr Präsident Erdoğan spätestens seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer sein Land in eine Dunkelkammer verwandelt. Der Rechtsstaat war in der Türkei noch nie perfekt. Doch Erdoğans Regierung reißt die letzten Überreste ein, und das in atemberaubendem Tempo. Die Justiz ist willfährig. Erdoğan muss gar nichts anordnen, sie dehnt das Recht von ganz allein. Ganz normaler Journalismus wird auf diese Weise kriminalisiert. Wer nicht so berichtet, wie die Regierenden sich das wünschen, ist aus ihrer Sicht nicht anderer Meinung, sondern ein Verbrecher.

Die türkischen Journalisten kennen das seit einiger Zeit. Dabei hegten manche von ihnen sogar einmal die Hoffnung, mit Erdoğan an der Spitze des Landes könnten solche Methoden der Vergangenheit angehören. Aber es ist anders gekommen. Mit dem Vorgehen gegen Yücel erreicht der Übergriff auf die Pressefreiheit eine neue Dimension. Der Fall ist besonders empörend, besonders drastisch. Yücel sitzt in Haft, weil er einen türkischen Pass besitzt. Doch Erdoğans Machtkosmos hat sich schon früher angemaßt, bestimmen zu wollen, wie über das Land berichtet wird. Einigen Auslandskorrespondenten verwehrt die Regierung immer noch die Presseakkreditierungen, ohne die sie sich nicht dauerhaft in der Türkei aufhalten können.

Die Lage offenbart, wie zerrüttet das türkisch-deutsche Verhältnis ist

Deniz Yücel begab sich kurz nach dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Ankara freiwillig in die Fänge der türkischen Justiz. Merkel hatte von Erdoğan gefordert, die Meinungsfreiheit zu achten und anzuerkennen, dass Opposition zu einer demokratischen Gesellschaft dazugehört. Erdoğan widersprach damals nicht. Jetzt aber zeigt sich, wie seine Regierung wirklich darüber denkt. Die Festnahme Yücels richtet sich damit letztlich auch gegen Merkel und die Werte, die sie bei ihrem Besuch vertreten hat. Die Regierung in Ankara erlaubt sich den Luxus, die einzige, wirklich mächtige EU-Politikerin zu brüskieren, die überhaupt noch bereit ist, mit Erdoğan zu reden. Das offenbart, wie tief zerrüttet das türkisch-deutsche Verhältnis tatsächlich ist.

Kanzlerin Merkel muss sich die Frage stellen, ob sie zu lange zu verständnisvoll mit Erdoğan umgegangen ist. Seit der Flüchtlingskrise darf Ankara sich als privilegierter Partner fühlen. Der Deal mit der türkischen Regierung hat dazu geführt, dass die Zahl der Flüchtenden, die Deutschland erreichen, deutlich zurückgegangen ist. Aber zugleich musste Merkel dabei zusehen, wie die Türkei zu einem autoritär geführten Land umgebaut wird, das sich immer weiter von den Werten und Prinzipien des demokratischen Europas entfernt. Der Fall Deniz Yücel führt das deutlich vor Augen.

Die Türkei entfernt sich immer weiter von den Werten Europas

Wie also umgehen mit der Erdoğan-Türkei, die glaubt, sich alles erlauben zu können? Das Flüchtlingsabkommen aufkündigen? Dann müsste Europa wirklich wesentlich mehr tun, um die Lage in den Griff zu bekommen. Dazu scheint die EU derzeit nicht fähig zu sein. Kann man Erdoğan wenigstens untersagen, in Deutschland unter den hier lebenden Türken Werbung für das Referendum zu machen, das sein autoritäres Herrschaftssystem zementieren würde? Innenpolitisch würde dies am Ende wohl nur Erdoğan in die Hände spielen, wenn ausgerechnet Deutschland ihm das Wort verbietet. Auch wäre der Umgang mit dem türkischen Präsidenten kein sehr geeignetes Thema für den anstehenden Bundestagswahlkampf. Was bleibt, ist das Gefühl einer bedrückenden Hilflosigkeit.

© SZ vom 01.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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