Auf dem Korridor brennt unentwegt dasselbe Neonlicht, in den Zellen ist es stets schummrig: "Zu hell zum Schlafen, zu dunkel zum Lesen. Geht aber beides irgendwie." Als er das schreibt, befindet sich Deniz Yücel, Korrespondent der Zeitung Die Welt , seit 14. Februar im Istanbuler Polizeipräsidium in Haft. Er ist der erste deutsche Journalist, der seit Verhängung des Ausnahmezustands festgenommen worden ist. Polizeihaft wird in der Türkei oft als Bestrafungsinstrument eingesetzt, sie darf laut aktuellem Notstandsdekret maximal 14 Tage betragen. Bis vor Kurzem waren es sogar noch 30 Tage.
Am Montag wurde Yücel, 43, zu einem Staatsanwalt gebracht, einen Tag vor Ablauf der Frist. Der Staatsanwalt beantragte Haftbefehl gegen ihn. Noch am Abend wurde der Journalist einem Richter vorgeführt, der dann auch entschied, dass Yücel in ein Istanbuler Gefängnis in Untersuchungshaft kommt. Das ist die nächste Eskalationsstufe. In der Vernehmung wurde dem Reporter der Welt nach Angaben der Zeitung "Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwieglung der Bevölkerung" vorgeworfen.
Untersuchungshaft kann in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern.
Türkei:Merkel nennt Untersuchungshaft für Yücel "enttäuschend"
Nach 13 Tagen in Polizeigewahrsam muss der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in Untersuchungshaft. Diese kann in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern.
Das Polizeipräsidium in der zentral gelegenen Istanbuler Vatan Caddesi, der Vaterlandsstraße, ist ein Riesenkomplex. Wie es einem Häftling dort geht, hatte Deniz Yücel am Wochenende in einem "Haft-Protokoll" für die Welt am Sonntag festgehalten. Stift und Notizblock waren dem Journalisten verboten. Er hat seine Eindrücke seinen Anwälten diktiert.
"Ohne Anwalt keine frische Wäsche, Handtücher, Zahnpasta"
"Außer Anwaltsbesuchen kein Kontakt erlaubt. Anwalt kann kommen so oft er will", heißt es unter dem Stichwort Besuche in dem Text. "Ohne Anwalt keine frische Wäsche, Handtücher, Zahnpasta etc., ... Anwalt bedeutet frische Socken und vor allem Post von draußen!"
Yücels Bericht ist ein lakonisches Protokoll, genau und unaufgeregt schildert er, was ihm und seinen Zellengenossen widerfährt, beispielsweise Nazmi, einem Makler, sowie einem Zahnarzt, einem Katasterbeamten. Warum sie in Polizeihaft sind, erfährt man nicht.
Yücel selbst wusste ja nicht einmal genau, was ihm vorgeworfen wurde. Einer seiner Anwälte, Veysel Ok, hatte der taz, für die Yücel früher lange gearbeitet hat, gesagt: "Die konkreten Beschuldigungen kennen wir nicht." In die Ermittlungsakte hätten die Anwälte keinen Einblick, wegen eines Geheimhaltungsbeschlusses. Das allein sei schon rechtswidrig, so Yücels Anwalt: "Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte müssen alle Informationen und Beweise aus einer Ermittlungsakte für die Anwälte des Verdächtigten zugänglich sein, sofern der Verdächtige keine außerordentliche Gefahr darstellt."
Außenwelt: "Man hört ab und zu die Straßenbahn. Sonst keine Geräusche und kein Tageslicht." Luft: "Schlecht, miefig, stinkt nach Körpergerüchen, stickig. Die Polizisten sagen: ,So leer wie in den letzten Tagen war es hier seit dem Putschversuch nicht mehr. Ihr hättet mal riechen sollen, als hier in jeder kleinen Zelle fünf Leute saßen.'" Beschwert sich Yücel über etwas (eine Dusche für 150 Leute beispielsweise), sagt das Wachpersonal: "Das ist kein Hotel."
Über die Beamten teilt Yücel ansonsten in seinem Protokoll mit, sie seien zwar manchmal grob im Ton, aber nicht beleidigend, "und im Rahmen der Vorschriften hilfsbereit, meistens jedenfalls". Dreimal sei er mit einem Auto in ein Krankenhaus gefahren worden, die Polizisten hätten geraucht, "und ich mit ihnen". Dafür bedankt sich der passionierte Raucher Yücel, dem die Zigaretten in der Haft verboten sind, bei den Beamten: "Danke dafür!"
Und Yücel stellt klar, dass er keine Gewalt im Polizeigewahrsam gesehen hat und von keiner gehört hat. "Noch vor 15, 20 Jahren war das hier eine Folteranstalt", lässt er notieren. Die Häftlinge werden regelmäßig zu einem medizinischen Check-up gebracht. Auch das dient dazu, das Fehlen von Folterspuren festzustellen. In der Türkei war Folter in Haftanstalten einst weit verbreitet, das Gefängnis im kurdischen Diyarbakır galt in den Neunzigerjahren als Hochburg des Schreckens. Auch danach wurde noch viel geprügelt auf Polizeistationen. Und während der Gezi-Proteste 2013 gab es wieder glaubhafte Berichte über einzelne brutale Misshandlungen von festgenommenen Demonstranten. Nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli vergangenen Jahres tauchten Fotos von inhaftierten Offizieren auf, die ebenfalls deutliche Misshandlungsspuren zeigten.
Eines seiner Kurzkapitel nennt Yücel Respekt. Er findet es wichtig festzuhalten, dass "alle Mitgefangenen mir viel Respekt zeigen". Dies, so Yücel, hätte "für einen ausländischen Journalisten auch anders ausgehen können". Ausländische Journalisten, aber auch Mitarbeiter ausländischer Nichtregierungsorganisationen, werden in der Türkei derzeit deutlich misstrauischer beäugt als vor dem Putschversuch.
Yücel hat nicht nur einen deutschen, sondern auch einen türkischen Pass
Der AKP-Abgeordnete Metin Külünk forderte erst jüngst auf Twitter die türkischen Staatsanwälte auf, "alle deutschen Stiftung wegen Spionageverdachts zu untersuchen". Mehrere Journalisten haben Schwierigkeiten, die nötige Akkreditierung zu erhalten. Wer ohne die gelbe türkische Pressekarte arbeitet (oder arbeiten muss), hat kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und ist praktisch ständig von Ausweisung bedroht. Deniz Yücel hat nicht nur einen deutschen, sondern auch einen türkischen Pass. Menschen mit einem türkischen Pass aber sind für die Regierung immer Türken, auch wenn sie einen zweiten Pass besitzen. Damit fällt ein gewisser Schutz weg, den Ausländer bislang genossen.
Yücel hatte sich selbst der Polizei gestellt, da wusste er schon, dass nach ihm gefahndet wird. Hintergrund der Terrorpropaganda-Vorwürfe ist offenbar Yücels Berichterstattung über E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak, ein Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Mails, in denen es unter anderem um manipulierte Twitter-Accounts und die staatliche Kontrolle über die Medien ging, waren von dem linksgerichteten türkischen Hackerkollektiv "Redhack" veröffentlicht worden.
"Welt"-Korrespondent in der Türkei:Deniz Yücel bleibt in Polizeigewahrsam
Die Staatsanwaltschaft hat den Arrest des deutsch-türkischen Journalisten um sieben Tage verlängert.
Weil sie wie Deniz Yücel über die Redhack-Leaks berichtet hatten, waren bereits im Dezember auch sechs türkische Journalisten in Polizeigewahrsam genommen worden. Drei der sechs sind mittlerweile in Untersuchungshaft, drei kamen wieder frei. Für die unterschiedliche Behandlung haben die Anwälte keine Erklärung. Wie auch:Hier sind die Ermittlungsakten ebenfalls geheim.