Fall Khashoggi:Die Allmacht des saudischen Kronprinzen ist das Problem

Die Erklärungen zum Tod des Journalisten Khashoggi sollen die Wahrheit vertuschen: dass eine Killertruppe losgeschickt wurde, um einen unliebsamen Kritiker umzubringen. Es ist nur ein Beispiel für die desaströse Politik von Mohammed bin Salman.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Es ist die erwartete Geschichte, die Saudi-Arabien der Welt auftischen will: Der Journalist und Dissident Jamal Khashoggi, so verbreitet es die Regierung in Riad, sei im Generalkonsulat in Istanbul im Zuge eines Handgemenges getötet worden. Das 15-köpfige Agententeam sei an den Bosporus geflogen, weil es Anzeichen gegeben habe, dass Khashoggi habe in seine Heimat zurückzukehren wollen. Das ist so glaubwürdig wie die vorherige Erklärung der saudischen Propaganda.

Die hatte kürzlich noch behauptet, es habe sich bei dem Agententeam nur um Touristen gehandelt - die mit zwei Privatjets der Regierung für einen Nachmittag nach Istanbul geflogen waren. Der Gerichtsmediziner, der mit an Bord war, habe Fingerabdrücke beseitigen sollen. Dafür hätte man allerdings wohl eher einen Kriminaltechniker gebraucht, und vor allem keine Knochensäge.

Es ist ein müder Versuch voller Unstimmigkeiten, um die Wahrheit zu vertuschen - nämlich, dass eine Killertruppe losgeschickt wurde, um einen unliebsamen Kritiker des Kronprinzen umzubringen. Und um ebenfalls zu vertuschen, dass Mohammed bin Salman dafür die politische Verantwortung zu tragen hat, egal, ob er selbst die gedungenen Mörder beauftragt hat oder nicht.

Es ist zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung mit solcherlei Geschwurbel nicht abspeisen lassen will, auch wenn US-Präsident Donald Trump treuherzig versichert, er halte die Legende für glaubwürdig. Zu hoffen ist, dass die Türkei alle Beweise auf den Tisch legt, auf dass sich die Welt eine Meinung bilden kann.

Die saudische Verschleierungstaktik ist auch deshalb möglich, weil Präsident Recep Tayyip Erdoğan bislang - aus taktischen Gründen - weder öffentlich Saudi-Arabien des Mordes bezichtigt noch die angeblichen Aufzeichnungen aus der saudischen Vertretung offengelegt hat. Druck, die Vorgänge in Istanbul aufzuklären, muss daher auch auf die Türkei gemacht werden, denn groß ist die Versuchung für Erdoğan, einen Deal mit Riad zu machen. Saudische Touristen bringen viel Geld ins Land; Investitionen des schwerreichen Königshauses könnte er für seine darbende Wirtschaft gut gebrauchen.

Eine internationale Untersuchung unter Führung der Vereinten Nationen, wie Khashoggis Kinder sie fordern, wäre noch am ehesten geeignet, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Hintermänner zu benennen.

Der größte Skandal allerdings ist, dass König Salman zwar per Dekret zwei enge Berater seines Sohnes ihrer Ämter enthebt. Der Thronfolger selbst aber soll nun ein Komitee für eine Geheimdienstreform leiten. Es ist der Einfluss von Mohammed bin Salman, der diesen Apparat korrumpiert hat. Er hat sich mit Leuten wie Saud al-Qahtani und Ahmad al-Asiri umgeben, seinem Medienberater, der zugleich die saudischen Troll-Armeen in den sozialen Netzwerken steuert, und dem stellvertretenden Geheimdienstchef, dem nun die Operation in Istanbul angelastet wird.

Allen drei Männern fehlt es nicht an Hybris, dafür aber an Urteilsvermögen, Kompetenz und jeglichem Respekt für internationale Regeln oder das menschliche Leben. Das macht auch den Kronprinzen als Partner auf der internationalen Bühne eigentlich unmöglich. Die Straflosigkeit, die in Saudi-Arabien seit jeher für die höchsten Kreise gilt, begünstigt solche Exzesse, bringt sie überhaupt erst hervor.

Ebenso unerfahren wie unberechenbar, impulsiv - und ja - gefährlich

Eine glaubhafte Untersuchung in Saudi-Arabien und eine glaubhafte Geheimdienstreform könnte vielleicht der abgesetzte frühere Innenminister Mohammed bin Nayef leiten, der sich international hohen Ansehens erfreut. Oder der ehemalige Geheimdienstchef Prinz Faisal al-Turki, für den Khashoggi zeitweise gearbeitet hat. Aber der greise König hat offenkundig nicht vor, der Allmacht seines Sohnes Grenzen zu setzen.

Für Saudi-Arabien heißt das nichts Gutes, denn dieser Mann ist ebenso unerfahren wie unberechenbar, impulsiv - und ja - gefährlich. Er stolpert außen- und sicherheitspolitisch seit seinem Aufstieg zum Verteidigungsminister von einem Desaster ins nächste. Der Jemen-Krieg, die Blockade des Nachbarlandes Katar, der Versuch, den libanesischen Premier Saad al-Hariri zum Rücktritt zu zwingen, die Reihe ließe sich fortsetzen.

Und die Welt wird sich darauf einstellen müssen, dass dieser Mann Saudi-Arabien auf Jahrzehnte beherrschen wird. Eine Palastrevolte seiner Gegner in der königlichen Familie ist nur schwer vorstellbar - er geht gegen sie genauso skrupellos und brutal vor wie gegen Jamal Khashoggi.

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