Faeser in Tunis:Ein schrecklich netter Freund

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Der tunesische Innenminister Kamel Fekih (M.) empfängt seine Amtskollegen Nancy Faeser (r.) und Gérald Darmanin in Tunis. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Innenministerin Faeser und ihr Amtskollege aus Frankreich loten eine neue Partnerschaft mit Tunesien aus. Aus dem Land brechen viele Migranten Richtung Europa auf.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Schon der freundliche Beginn des Besuchs ließ erkennen, dass die drei Innenminister künftig einen pragmatischen Umgang miteinander wünschen. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und ihr französischer Amtskollege Gérald Darmanin waren am Sonntagnachmittag nacheinander auf dem Flughafen Tunis-Karthago gelandet, Gastgeber Kamel Fekih empfing sie dann gemeinsam, lächelnd und mit einem festen Händedruck. Während des zweitägigen Besuchs will das Trio die Details einer Partnerschaft zwischen der EU und dem nordafrikanischen Zwölf-Millionen-Einwohnerland ausloten.

Wegen einer von Präsident Kais Saied im Februar ausgelösten Kampagne gegen illegale Migration und der seit Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise hat Tunesien in diesem Jahr das benachbarte Libyen als Hauptabfahrtsort für Migranten nach Europa abgelöst. Mehr als 51 000 Menschen kamen bis Anfang Juni auf Sizilien und Lampedusa an, die Mehrheit begann die gefährliche Reise in den tunesischen Hafenstädten Sfax, Zarzis oder Mahdia.

Tunesien droht die Zahlungsunfähigkeit

Nach der unverblümten Kritik des Europaparlaments und mehrerer europäischer Hauptstädte an dem autokratischem Regierungsstil von Saied war das Verhältnis in den vergangenen Monaten merklich abgekühlt. Anlass war unter anderem, dass mehr als 30 oppositionelle Politiker, Journalisten und ehemalige Minister in Tunesien derzeit wegen Korruption und Verschwörung gegen staatliche Behörden in Haft sitzen. Nun wurde auch den Medien verboten, über die Fälle zu berichten.

Doch wegen der dramatisch steigenden Zahlen von Migranten und einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Staates entschloss sich die EU zu einer bemerkenswerten Kehrtwende. Am 11. Juni flog EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Premierminister Italiens und der Niederlande nach Tunis. Danach wurde verkündet, dass nun mehr als eine Milliarde Euro noch in diesem Jahr nach Tunesien fließen soll. Das Land sei nun ein Partner Europas in der Region. Auch tunesische Medien frohlockten über den neuen Ton.

In der Vergangenheit hatte Saied seine rigorose Politik auch mit der ausländischen Unterstützung der Politiker begründet, die Tunesien nach der Revolution in den Ruin getrieben hätten. Er meinte damit auch Europa. Obwohl Tunesien in diesem Jahr durch die anstehende Rückzahlung von mehreren Krediten und leerer Kassen de facto bankrott ist, bezeichnete Saied die vom Internationalen Währungsfonds geforderten Reformen als Diktat. Und meinte damit den Westen.

"Die Bilder der zahlreichen Unglücke auf dem Mittelmeer und die Furcht vor den steigenden Umfragewerten der rechten Parteien in Europa haben beide Seiten zur Raison gebracht", vermutet der Radiojournalist Haythem el Mekki, der kürzlich wegen kritischer Fragen über die Rekrutierungspraxis der Sicherheitskräfte von der Staatsanwaltschaft verhört wurde.

China und Russland werben um die neuen Autokraten in Nordafrika

Das gemeinsame Auftreten der europäischen Politiker in Nordafrika ist keine Selbstverständlichkeit. Für Diplomaten der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich oder Italien war es bisher normal, eigene Machtinteressen ohne Absprache mit EU-Partnern durchzusetzen. Im libyschen Bürgerkrieg von 2019 standen sie sogar auf verschiedenen Seiten. Auch das Werben aus Peking und Moskau um die neuen Autokraten der Region hat zu einem Umdenken geführt.

Diplomatische Kreise beobachteten mit Sorge, dass die russische Botschaft die Zahl ihrer Diplomaten zuletzt immens aufgestockt hat. "Wir wollen hier eine Arbeitsebene schaffen, um die gemeinsamen Probleme zu lösen", sagte nun Nancy Faeser nach dem Treffen mit Saied vor Journalisten. Der Präsident wiederholte diesmal nicht seine frühere Aussage, sein Land wolle nicht eine Art Grenzpolizist vor den Toren Europas sein.

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Stattdessen hörte sich Saied offenbar die Kritik am Abbau der Demokratie geduldig an. Innenminister Fekih erklärte Faeser und Darmanin bei einem gemeinsamen Mittagessen, dass deren Kritik an dem Vorgehen gegen die Opposition eine Fehleinschätzung zur politischen Lage im Land sei. Dennoch verkündeten Faeser und Darmanin, den partnerschaftlichen Dialog mit Fekih fortzusetzen.

Mehr als 20 Millionen Euro will Berlin für die Verstärkung des Grenzschutzes nach Tunis überweisen, dazu die Bearbeitungszeit von Arbeitsvisa verkürzen. Frankreich will sich auf die Rücknahme illegal eingereister Tunesier einigen und dafür die legale Migration erleichtern.

Faser: "Wir müssen das Sterben beenden"

Auch in Tunesien ist die Migration ein innenpolitisch heißes Thema. Zuletzt hatte Präsident Saied leisere Töne angeschlagen und etwa in der Hafenstadt Sfax allen Migranten eine korrekte Behandlung versprochen. Wenige Tage später erreichte allerdings ein Schiff mit mehreren Hundert Migranten aus Libyen die tunesische Küste, die Öffentlichkeit reagierte empört.

"Wir müssen das Sterben beenden", erklärte Nancy Faeser in Tunis. Sie wird wohl wiederkommen müssen.

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