Erfurt:Ramelow wirbt für Minderheitsregierung

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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat im Landtag für das politische Experiment einer Minderheitsregierung pur geworben. Der Freistaat sei nach den...

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Erfurt (dpa/th) - Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat im Landtag für das politische Experiment einer Minderheitsregierung pur geworben. Der Freistaat sei nach den Ergebnissen der Landtagswahl auf diesem Weg, der die Bedeutung des Parlaments und der Opposition deutlich stärken werde, sagte Ramelow am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Landtag in Erfurt. Der 63-Jährige will Rot-Rot-Grün fortsetzen, obwohl dem Dreierbündnis im Parlament vier Stimmen für eine Mehrheit fehlen. Ramelow bekräftigte, dass er sich spätestens bis Ende Februar der Ministerpräsidentenwahl im Landtag stellen werde.

In Deutschland gab es in den Bundesländern in der Vergangenheit immer wieder Minderheitsregierung, allerdings wurden sie von anderen Parteien toleriert oder geduldet. CDU und FDP in Thüringen haben Tolerierung oder Duldung bei einer Fortsetzung einer Regierung von Linker, SPD und Grünen jedoch ausgeschlossen. Rot-Rot-Grün sei abgewählt, sagte FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich. Mehrheiten müsste sich ein solches Bündnis im Landtag immer wieder neu suchen.

Ramelow nannte die schwierige Konstellation eine Herausforderung. „Das fordert von uns allen die Bereitschaft, vertraute Pfade der Regierungsbildung zu verlassen, Politik neu zu denken und auch anders zu organisieren.“ Er ging auf CDU und FDP zu. „In unserem Freistaat ist Opposition künftig mit Gestaltungskompetenz verbunden - auf Augenhöhe mit der Regierungskoalition.“ Immerhin gebe es in wichtigen Fragen eine Tradition parteiübergreifender Zusammenarbeit.

Als Beispiele nannte er den Umgang mit dem NSU-Terror oder das Zusammenstehen nach dem Schulmassaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. „Das nährt in mir die Zuversicht, dass das Modell Minderheitsregierung in Thüringen gelingen kann“, so der Chef der geschäftsführenden Regierung. Vorschläge von CDU und FDP würden vorurteilsfrei geprüft, Kompromisse hätten zu Unrecht den Ruf, notwendiges Übel zu sein.

CDU-Fraktionschef Mike Mohring, reagierte reserviert. Es könne nicht sein, dass die eine Seite prüfe, ob die andere möglicherweise richtig liege. „So stellen wir uns die Zusammenarbeit in diesem Landtag nicht vor.“ Entscheidungsort seien künftig das Parlament und seine Ausschüsse. Immerhin bestehe trotz aller Risiken einer Minderheitsregierung die Chance, „neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln und die Attraktivität der parlamentarischen Demokratie zu erhöhen“, sagte Mohring.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke warf Ramelow vor, trotz fehlender Mehrheit an seinem Stuhl zu kleben. „Sie sind in meinen Augen nichts anderes als ein Pattex-Mann.“

Anlass für Ramelows Regierungserklärung waren die Ergebnisse des Thüringen-Monitors, einer Langzeitstudie der Schiller-Universität Jena zu Einstellungen der Menschen. Die Studie gibt es seit 2001 im Auftrag der Landesregierung.

Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass antisemitische Einstellungen in Thüringen stark zugenommen haben. Nach der repräsentativen Erhebung befürworteten 16 Prozent der Befragten die These, Juden hätten „etwas Besonderes an sich“ und passten „nicht so recht zu uns“. 2018 lag dieser Wert bei 9 Prozent.

Ramelow und Vertreter der Fraktionen Linke, CDU, SPD, Grünen und FDP bezeichneten diese Entwicklung als besorgniserregend. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stefan Möller, sagte, „wenn Antisemitismus zugenommen haben sollte, dann ist das zuwanderungsbedingt“.

Ramelow griff die AfD an, die seit der Landtagswahl im Oktober hinter der Linken die zweitgrößte Fraktion im Landtag stellt. Antisemitismus und die Bereitschaft zur Gewalt gegen Juden habe es auch vor der AfD-Gründung gegeben, sagte Ramelow. Dennoch habe die AfD, ebenso wie diejenigen Parteien, „denen sie immer ähnlicher wird, zum Beispiel der NPD und der DVU, eine geistige Mitverantwortung für antisemitische Stimmungen in unserem Land“. Die Grenzen des Sagbaren würden sich stetig weiter nach rechts verschieben.

CDU-Fraktionschef Mohring sagte, der Kampf gegen Antisemitismus sei das „Minimum, was uns alle in der Gesellschaft verbinden muss“. Höcke wies Ramelows Kritik an der AfD zurück und stellte die Ergebnisse der Studie und die Wissenschaftlichkeit der Schlussfolgerungen infrage.

Nach Angaben von Ramelow wird Thüringen den Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkten. Entsprechende Festlegungen seien in dieser Woche getroffen worden. Laut Studie teilt trotz einer hohen Demokratieakzeptanz von 90 Prozent fast jeder vierte Thüringer rechtsextreme Einstellungen.

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