Extremismus - Berlin:Al-Kuds-Marsch "überwiegend störungsfrei": Aber Kritik

Berlin (dpa/bb) - Begleitet von zahlreichen Warnungen vor erstarkendem Antisemitismus in Deutschland sind beim jährlichen anti-israelischen Al-Kuds-Marsch am Samstag bis zu 1200 Menschen über den Berliner Kurfürstendamm gezogen. Auch an den Gegenprotesten nahmen der Polizei zufolge zwischen 1000 und 1200 Menschen teil, darunter prominente Politiker. Alles sei überwiegend störungsfrei verlaufen, teilte die Polizei am Sonntag mit. Die Polizei war mit 500 Kräften vertreten, um die beiden lautstarken Lager, die einander in teils nächster Nähe passierten, auseinander zu halten.

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Berlin (dpa/bb) - Begleitet von zahlreichen Warnungen vor erstarkendem Antisemitismus in Deutschland sind beim jährlichen anti-israelischen Al-Kuds-Marsch am Samstag bis zu 1200 Menschen über den Berliner Kurfürstendamm gezogen. Auch an den Gegenprotesten nahmen der Polizei zufolge zwischen 1000 und 1200 Menschen teil, darunter prominente Politiker. Alles sei überwiegend störungsfrei verlaufen, teilte die Polizei am Sonntag mit. Die Polizei war mit 500 Kräften vertreten, um die beiden lautstarken Lager, die einander in teils nächster Nähe passierten, auseinander zu halten.

Am Al-Kuds-Tag, der am Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan liegt, ruft der Iran jedes Jahr zur Eroberung Jerusalems auf. Hintergrund ist die Besetzung Ost-Jerusalems durch Israel während des Sechstagekrieges 1967. Al-Kuds ist der arabische Name für Jerusalem. Demonstranten des Marsches trugen Palästinafahnen und auch Deutschlandfahnen. Neben zahlreichen Männern waren auch Frauen und kleine Kinder unter den Demonstranten, sie trugen teils Transparente mit Slogans gegen Israel.

Eingeschritten seien die Beamten, als Demonstranten den - nicht unter den Auflagen ausdrücklich verbotenen - Slogan "Kindermörder Israel" skandierten. Man habe "auf die Veranstalter eingewirkt", den Ruf zu unterlassen, berichtete ein Polizeisprecher. Als Demonstranten den Ruf erneut starteten, stoppte die Polizei den Aufzug, bis die Rufe beendet waren.

Gegen einen 18-Jährigen wurde ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet, weil er sich in einem Café am Kurfürstendamm gegenüber einer 41-jährigen Gegendemonstrantin volksverhetzend geäußert haben soll. Darüber hinaus sprach die Polizei mehrere Platzverweise gegen Gegendemonstranten aus, die auf die Laufstrecke des Aufzugs gelangt waren, wie die Beamten mitteilten.

"Wenn Antisemiten ihr hassendes Haupt erheben, ist Widerstand angesagt. Deshalb sind wir hier", sagte Linke-Bundestagsabgeordnete und Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau auf der Gegenkundgebung vor dem Start des Marsches. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, der Grünen-Politiker Volker Beck, Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, sowie der US-Botschafter Richard Grenell waren vor Ort. Zu den Gegendemos hatte ein breites Bündnis aus Parteien, Gruppen und Initiativen aufgerufen.

Der Berliner Senat sah sich Kritik daran ausgesetzt, dass der Marsch überhaupt stattfinden durfte. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) betonte am Samstag im RBB, ein Verbot des Marschs sei juristisch nicht möglich gewesen. "Deswegen arbeiten wir mit harten Auflagen", sagte Geisel. So waren etwa Fahnen und Symbole der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah verboten, ebenso anti-jüdische Parolen und das Verbrennen von Gegenständen. Der Veranstalter hatte einen Eilantrag eingereicht, um Hisbollah-Symbole zeigen zu dürfen. Das Oberverwaltungsgericht wies das am Samstag zurück und bestätigte die Linie der Polizei.

Geisel trat auch bei der Gegendemonstration auf - wie angekündigt mit Kippa als Zeichen der Solidarität. "Wir stehen fest an der Seite der Juden, die hier leben, und an der Seite Israels", sagte er. Auch in Berlin habe es in den letzten Monaten antisemitische Angriffe und Hetze gegeben. "Dieser Geist hat in Berlin nichts zu suchen."

Geisel forderte auch, dass Deutschland seine Haltung zur Einstufung der Hisbollah überdenken solle. Mit einer Einstufung der Miliz als Terrororganisation würde Deutschland ein eindeutiges Zeichen setzen, dass Antisemitismus und Hass nicht geduldet werde. Bislang ist lediglich der militärische Arm der radikal-islamischen Organisation verboten.

Holocaust-Überlebende im Internationalen Auschwitz Komitee reagierten "mit völligem Unverständnis" darauf, dass der Marsch erlaubt worden war. Man habe "als unmissverständliches Zeichen der Distanzierung" von der Politik erwartet, die israelfeindliche Demonstration zu verbieten, teilte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner mit. Das Komitee empfinde den Marsch "als ein Zurückweichen des Staates".

Geisel warnte vor erstarkendem Antisemitismus in Deutschland. "Wir dachten ja, der Antisemitismus sei in unserem demokratischen Staat nahezu verschwunden und reduziert auf vielleicht einzelne Neonazis bei der NPD", sagte Geisel dem RBB. Seit der demokratische Diskurs jedoch nach rechts gerückt werde, tauche Antisemitismus offen wieder auf. Das zeige, "dass er nicht wirklich verschwunden war, sondern man ihn im Verborgenen gelebt hat und jetzt tritt er wieder offen zutage".

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, Judenfeindlichkeit sei wieder Alltag in der Bundesrepublik. "Jeder Jude kennt Antisemitismus aus seinem Alltag", sagte Schuster im ZDF. Schuster stützte zugleich die Warnung des Antisemitismus-Beauftragten Klein, Juden sollten nicht überall in Deutschland eine Kippa tragen. "Es ist nicht überall in Deutschland gefahrlos möglich, sich als Jude mit Kippa auf der Straße zu zeigen", sagte Schuster.

Mehrere Teilnehmer der Al-Kuds-Demonstration wiesen Antisemitismus-Vorwürfe zurück. "Judenhass ist eine Schande - hat keinen Platz hierzulande", skandierte ein Sprechchor. "Wenn wir Antisemiten wären, würden wir das nicht rufen", sagte ein Redner.

Kritiker und Antisemitismusforscher warnten allerdings, Antisemiten nutzten bewusst Kritik am Staat Israel als Deckmantel.

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