Das Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) wirft der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) schwere Versäumnisse im Umgang mit einem prominenten Missbrauchsfall vor. Konkret geht es um Günter Abramzik, er war von 1958 bis 1992 Domprediger am Bremer Dom und prominenter evangelischer Theologe.
Ende 2021 wurden die ersten Vorwürfe gegen den 1992 verstorbenen Abramzik öffentlich, nun hat das IPP den Fall einer gesonderten Analyse unterzogen, im Rahmen der Forum-Studie, die den Missbrauch in evangelischer Kirche und Diakonie untersucht hat. Am Freitag wurde nun die Fallstudie veröffentlicht, sie kommt auf insgesamt 17 Betroffene im Alter von 14 bis 18 Jahren.
Der Fall Abramzik zeigt "wie durch ein Brennglas" die Versäumnisse
Das Ergebnis fällt für die Bremische Evangelische Kirche (BEK) vernichtend aus. "Vieles, was man in der Forum-Studie zum Umgang der evangelischen Kirche mit sexualisierter Gewalt kritisieren kann, findet sich wie durch ein Brennglas im Fall Abramzik", sagt Peter Caspari, der Autor der Studie, der SZ.
Bereits 2010 habe sich ein Betroffener bei der BEK gemeldet - die Kirche habe aber keinerlei Versuche unternommen, mögliche weitere Betroffene ausfindig zu machen. Dies sei erst geschehen, als 2022 die ersten Medien berichteten. Damals antwortete die BEK auf Medienanfragen, man habe den Fall aufgearbeitet - dies kritisiert Caspari scharf: "Man kann verschiedene Definitionen von Aufarbeitung haben, aber aus unserer Sicht hat Aufarbeitung nicht stattgefunden."
Erst 2014 sei der Konvent der St.-Petri-Domgemeinde informiert worden, allerdings ohne den Namen des Täters zu nennen. Über Jahre hinweg sei auch die Öffentlichkeit nicht informiert worden; begründet hatte die BEK dies mit dem Schutz des Betroffenen. Aus Sicht der IPP-Forscher ein haltloses Argument, man hätte den Mann anonymisieren und nach weiteren Betroffenen suchen können.
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Ein herangezogener, angeblich "externer" Berater sei außerdem gar nicht extern gewesen, sondern ehemaliger Mitarbeiter einer anderen Landeskirche. Den Verantwortlichen attestieren die IPP-Forscher ein in erster Linie strategisches Vorgehen: "Es wurde verschleppt und verzögert, sodass sich die Bedingungen für eine tatsächliche Aufarbeitung zunehmend verschlechterten", schreiben sie. Die Kirche habe sich selbst das Zeugnis ausgestellt, dass es kein institutionelles Versagen gegeben habe, und so damals auch begründet, keine Anerkennungsleistung zu zahlen.
Auch in der BEK, so die Forscher, hätten sich die Verantwortlichen gegenseitig selbst gelobt für ihre flachen Hierarchien und ihr vertrauensvolles Miteinander, gerade in Abgrenzung zu den Katholiken. Bereits die Forum-Studie hatte diese Selbstidealisierung vor der Folie der "besseren Kirche" als Hindernis für die Aufarbeitung bezeichnet. Anzuerkennen sei, dass die Kirche mit dem Betroffenen sehr professionell umgegangen sei und es viele Präventionsbemühungen gegeben habe, "aber es war keine Aufarbeitung", sagt Caspari. "Ich würde es eher ,Flucht in die Prävention' nennen."
"Wir haben trotz unseres obersten Ziels, immer an der Seite der Betroffenen zu stehen, in der Vergangenheit Fehler gemacht und bedauern dies zutiefst", sagte Bernd Kuschnerus, Schriftführer des Kirchenausschusses und Leitender Geistlicher in der BEK. Die Ergebnisse ermöglichten es nun, Prozesse zu verändern und anzupassen.