TV-Duell zur Europawahl:Wenn zwei überzeugte Europäer streiten

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Manfred Weber (links) und Frans Timmermans in der ARD-Wahlarena (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

In der Wahlarena diskutieren die Spitzenkandidaten Weber und Timmermans überraschend viel über Klimaschutz. Beide haben ein Problem: Sie müssen bekannter werden.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Das erste direkte Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten für die Europawahl im deutschen Fernsehen beginnt mit kleinen Filmchen. Bevor Manfred Weber von der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) und der niederländische Sozialdemokrat mit der Debatte beginnen, werden sie und ihre Karrieren erst mal vorgestellt. Wie nötig dies ist, zeigen Umfragen: Nur 26 Prozent der Deutschen kennen CSU-Vize Weber, bei Timmermans liegt der Wert noch niedriger.

Die Macher der ARD-Wahlarena haben Weber in seine niederbayerische Heimat begleitet, wo er einst Gitarre spielte, und filmen ihn im Aufzug des Straßburger Europaparlaments, wo der 46-Jährige die größte Fraktion anführt und einen "Aufbruch für den Kontinent" fordert. Das Motto: "Der Mann will nach oben". Als erster Deutscher seit mehr als 50 Jahren will er Chef der EU-Kommission werden. Anders als Weber verfügt Timmermans, der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, über Regierungserfahrung, erläutert der Vorstellungsfilm und zeigt den Sozialdemokraten im Fußballstadion. Als seine wichtigsten Themen werden genannt: Klimaschutz und Kampf gegen Einwegplastik - und damit kommt er beim Publikum gut an.

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Timmermans beginnt sofort mit einem konkreten Vorschlag und plädiert dafür, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg wisse schließlich auch, was sie wolle, sagt der Sozialdemokrat. Weber möchte sich sichtlich nicht so recht festlegen, sagt aber auch: "Man muss auch das Wahlalter diskutieren." Die ersten Fragen in der Wahlarena drehen sich folglich um die Interessen der jungen Europäer, die seit Monaten jeden Freitag für Klimaschutz demonstrieren - und darum, wie die Umwelt bewahrt werden kann.

Wie im gesamten Duell tritt Timmermans leidenschaftlicher auf, er gestikuliert mehr und formuliert zupackender. "Wir müssen unseren Lebensstil ändern", sagt der 58-Jährige und bezieht sich auf den gerade veröffentlichten UN-Bericht zur Biodiversität, der ein massives Artensterben beschreibt. Was die beiden Männer im TV-Studio in Köln sagen, ist potenziell von enormer Bedeutung: Als Spitzenkandidaten der größten Fraktionen im EU-Parlament gelten sie als aussichtsreichste Bewerber um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Das neue Europaparlament wird vom 23. bis 26. Mai gewählt - und dort muss Junckers Erbe eine Mehrheit finden.

Der Niederländer verspricht, als Kommissionspräsident das Thema Nachhaltigkeit zur Chefsache zu machen und den Umbau der Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren anzuschieben. Weber nennt den Klimawandel eine "existenzielle Frage", aber warnt vor allzu schnellen Schritten, die ärmere Bürger und die Wirtschaft überfordern könnten. Ein klarer Dissens wird in der Frage einer CO2-Steuer deutlich, die der CSU-Politiker rundheraus ablehnt. Die Ärmsten und Schwächsten dürften nicht über höhere Sprit- und Heizölpreise belastet werden, sagt Weber und fügt hinzu: "Ich will Innovation."

Eine halbe Stunde lang geht es fast nur um Umweltschutz

Sein sozialdemokratischer Herausforderer plädiert hingegen für eine europäische Steuer auf Kohlendioxid. Er fordert auch eine Kerosinsteuer ein, um die Bevorzugung für klimaschädliche Flugreisen auszugleichen. Auch Weber sagt, er wolle die steuerliche Ungleichbehandlung von Bahn, Auto- und Flugreisen beenden. Das sei ein "wunder Punkt". Er wolle dies aber über den Emissionshandel lösen - und nicht mit neuen Steuern.

Es dauert etwas mehr als eine halbe Stunde, bis es nicht mehr um Umwelt- und Klimaschutz geht. Manch ein Zuschauer dürfte sich über diesen Fokus gewundert haben, denn zu Beginn hatten die Moderatoren Andreas Cichowicz und Ellen Ehni verkündet, dass das Publikum von einem Meinungsforschungsinstitut ausgewählt worden sei, um die deutsche Wählerschaft abzubilden. Dass die Gäste gut informierte Fragen stellten, trägt ebenso zum Gelingen des TV-Duells bei wie das Verhalten der Kandidaten. Beide sind fraglos überzeugte Europäer, aber sie tragen ihren Streit sachlich und mit Respekt aus.

Als die Sprache auf die Migrationspolitik kommt, wählt CSU-Mann Weber klare Worte: "Der Staat muss entscheiden, wer kommen kann und nicht die Schlepperbanden." Timmermans, der ehemalige niederländische Außenminister, plädiert für eine Aussöhnung zwischen Europa und Afrika samt "Marshall-Plan", um den Menschen dort bessere Perspektiven und weniger Gründe zur Flucht zu geben. Diesem Ziel schließt sich Weber an und möchte als Hebel vor allem Handelsverträge nutzen. Hierauf entgegnet der Sozialdemokrat, dass die EU mehr zur Modernisierung beitragen müsse - etwa durch ein Erasmus-Programm für afrikanische Studenten, die für ein Jahr in Europa studieren sollen dürfen.

Der EVP-Mann Weber nennt es "indiskutabel", dass die Grenzschutzagentur Frontex erst 2027 mit 10 000 neuen Beamten ausgestattet werden soll, wie es die EU-Innenminister beschlossen hätten. Auch Timmermans betont die Wichtigkeit, die Außengrenzen zu schützen, ohne sich in Asylfragen von Menschlichkeit abzuwenden. Der Sozialdemokrat lobt folglich die Bundeskanzlerin für ihre Reaktion auf die Flüchtlingskrise 2015: "Merkel hat Europa gerettet."

Einig sind sich beide, dass die neue EU-Kommission paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden und die Digitalkonzerne höhere Steuern zahlen sollen. Hier werden Unterschiede deutlich, denn Timmermans wirbt dafür, der EU Kompetenzen zu übertragen. Er möchte einer minimalen Körperschaftssteuer von 18 Prozent einführen - und erzählt dazu eine seiner liebsten Anekdoten. Andreas Schieder, der Spitzenkandidat der SPÖ, habe herausgefunden, dass Starbucks in Österreich 18 Millionen Euro Umsatz mache - und wegen legaler Steuertricks nur 800 Euro Steuern zahle. Dies sei niemandem zu vermitteln, findet Timmermans - schon gar nicht dem Besitzer einer Eckkneipe, der 8000 Euro Steuern zahlen müsse.

Ob sich die Bekanntheitswerte von Weber und Timmermans durch die erste TV-Debatte gesteigert haben, wird sich nach Bekanntgabe der Einschaltquote abschätzen lassen. Am 16. Mai treffen beide erneut aufeinander, dieses Mal bei ZDF und ORF. Auch bei dieser Gelegenheit dürften sie dafür werben, am 26. Mai unbedingt zur Europawahl zu gehen, damit der Anteil der "rechten Spinner" (Zitat Manfred Weber) und Europaskeptiker im EU-Parlament nicht zu groß wird. Der Sozialdemokrat Timmermans erinnert an die Bedeutung einer jeden Stimme: Viele junge Briten würden sich heute ärgern, dass sie am Brexit-Referendum nicht teilgenommen hätten, weil sie es für undenkbar hielten, dass eine Mehrheit für den EU-Austritt stimmen könnte. Solch böse Überraschungen wollen die Spitzenkandidaten der EU ersparen.

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