Sammeln von Fluggastdaten:Unverdächtig nach Mallorca

Sammeln von Fluggastdaten: Laut EU-Richtlinie durften von Fluggästen etliche Daten gespeichert werden - zur Kriminalitätsbekämpfung. Das ändert sich nun.

Laut EU-Richtlinie durften von Fluggästen etliche Daten gespeichert werden - zur Kriminalitätsbekämpfung. Das ändert sich nun.

(Foto: Frank Sorge/Imago)

Der Europäische Gerichtshof macht den gläsernen Fluggast undurchsichtiger: Passagierdaten von EU-Flügen dürfen nur noch bei einer echten terroristischen Bedrohung gespeichert werden - oder auf "Verbrecherrouten".

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich einen Ruf als beherzter Gegner ausufernder Datenspeicherprojekte erarbeitet. Das gilt vor allem für die Vorratsdaten aus der Telekommunikation. Aber auch zu den Informationen, die über Flugreisende gesammelt werden sollen, hat er schon einmal ein Veto eingelegt: 2017, als es um ein Abkommen der EU mit Kanada ging. Dass das Gericht nun die EU-Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten deutlich zurückgeschnitten hat, kommt daher nicht überraschend. Die Speicherung müsse auf das "absolut Notwendige" beschränkt werden, urteilte der EuGH.

Die Richtlinie zu PNR-Daten, wie sie nach der englischen Bezeichnung abgekürzt werden (passager name record), war 2016 nach jahrelangem Streit verabschiedet worden. Demnach werden zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität von allen Flugreisenden 18 Datensätze gespeichert, darunter der Name und die Kontaktdaten, Flug- und Zahlungsinformationen, Reisebüro und Vielfliegereinträge. Immerhin: Sensible Daten zu Religion, ethnischer Herkunft und Gesundheit werden nicht erfasst - anders als damals im EU-Kanada-Abkommen. Hauptzweck ist die Verhütung bevorstehender Verbrechen. Nach dem deutschen Fluggastdatengesetz vom Mai 2018 kann das Bundeskriminalamt den Datenpool mit bestehenden Fahndungsdateien wie Inpol und dem Schengener Informationssystem abgleichen.

Das EuGH-Urteil betrifft zwar das belgische PNR-Gesetz, bedeutet aber auch für Deutschland einen erheblichen Korrekturbedarf. Im Kern ist es eine neuerliche Absage an eine "anlasslose" Massenspeicherung, die auch ohne konkrete Terrorlage flächendeckend Daten auf Vorrat sammelt. Wie schon zuvor bei den Telekommunikationsdaten betont der EuGH auch diesmal, dass gegen solche Speichergesetze an sich nichts einzuwenden ist - sofern sie strikt auf ihren Zweck beschränkt werden, eben die Bekämpfung schwerer Kriminalität. Das sei eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

Diesen Grundsatz hat der EuGH in drastische Einschränkungen der PNR-Richtlinie übersetzt. Die wichtigste: Für Flüge innerhalb der EU darf es fortan keine umfassende Speicherung von Passagierdaten mehr geben. Vielmehr erlaubt der EuGH die Sammelei künftig nur noch bei einer echten terroristischen Bedrohung, deren Feststellung sich auf konkrete Umstände stützt - und nicht auf die routinemäßigen Warnungen der Sicherheitsbehörden vor anhaltender Terrorgefahr. Ohne einen solchen Anlass muss die Speicherung auf verdächtige Flugrouten beschränkt werden, also etwa auf die typischen Wege der Schleuser und Drogenschmuggler. Der Standardflug nach Mallorca dürfte damit künftig datensicher sein.

Die Speicherfrist sinkt von fünf Jahren auf sechs Monate

Rechtsanwalt Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte bezweifelt indes, ob damit viel gewonnen ist; er betreibt mehrere PNR-Klagen aus Deutschland. Auch wenn die Sammelei auf angebliche Verbrecherrouten beschränkt werde, bleibe das Grundproblem bestehen: die Suche nach verdächtigen Mustern in an sich unverdächtigen Daten. "Das wird nach wie vor zu vielen Falschverdächtigungen führen."

Ein weiterer Punkt im Urteil: Die Fluggastdaten dürfen laut EuGH künftig nur dann zur Verhütung und Aufklärung terroristischer und schwerkrimineller Straftaten verwendet werden, wenn die Kriminalität mit dem Flugverkehr zu tun hat. Gemeint sind damit nicht nur Flugzeugentführungen, sondern auch Drogenkuriere und Menschenhändler, die ins Flugzeug steigen - oder Terroristen, die zum Anschlagsort per Linienflug reisen. Damit will der EuGH unterbinden, dass der rege Flugverkehr in Europa letztlich als Datenlieferant genutzt wird, um den Datenpool für die künftige Ausforschung der reisefreudigen EU-Bürger aufzufüllen wie die Gasspeicher für den Winter.

Zudem unternimmt der EuGH einen Schnitt direkt in den Wortlaut der Richtlinie. Dort steht ausdrücklich, dass die Speicherfrist fünf Jahre beträgt, wenngleich mit der Einschränkung, dass die Daten nach sechs Monaten "depersonalisiert" werden müssen. Der EuGH hält dies für unverhältnismäßig und deckelt die Speicherfrist generell auf sechs Monate. Das ist insofern bemerkenswert, als das EU-Gericht die Richtlinie keineswegs für ungültig erklärt hat, sondern nur im Wege der höchstrichterlichen Auslegung so umdeutet, dass sie mit den Grundrechten der EU-Charta im Einklang steht. Grundrechtskonforme Auslegung kennt man vom Bundesverfassungsgericht, doch für den EuGH ist sie vergleichsweise neu. Das Resultat ist kurios: Es bleibt beim Wortlaut der Richtlinie, wonach die Speicherfrist fünf Jahre beträgt - aber für jeden in Europa, auch für Deutschland, bedeutet "fünf Jahre" künftig "sechs Monate".

Innovativ sind schließlich die Anmerkungen des Gerichts zum Thema Algorithmen. Für die Durchforstung der riesigen Datenmengen mithilfe künstlicher Intelligenz dürfen laut EuGH keine selbstlernenden Maschinen eingesetzt werden. Und zwar deshalb, weil solche KI-Systeme selbständig die Kriterien verändern können, anhand derer sie nach verdächtigen Mustern suchen. Das aber würde den Rechtsschutz der Betroffenen unterlaufen - weshalb die Verdachtsbewertungen menschengemacht bleiben müssen.

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