Neue Handelspartnerschaft:Wie die EU Indien von Russland weglotsen will

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Ursula von der Leyen und Indiens Premier Narendra Modi begrüßen sich in Delhi. (Foto: AP)

Bisher hat sich die Regierung von Premier Modi nicht von Putins Angriff distanziert. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will Indien bei einem Delhi-Besuch auf ihre Seite ziehen - mit Hilfe von Geschäften und Technologie.

Von Björn Finke, Brüssel

Viel Lächeln, viel Händeschütteln, viele freundliche Worte: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der indische Premier Narendra Modi vermitteln am Montagmorgen vor den Fernsehkameras ein sehr harmonisches Bild des Staatsbesuchs in Indiens Hauptstadt Delhi. Doch es stehen auch heikle Themen auf der Tagesordnung - etwa die Haltung Indiens im Ukraine-Krieg. Die Regierung hat den Überfall durch die russische Armee bis jetzt nicht verurteilt und beteiligt sich nicht an Sanktionen.

Die Frage der Sanktionen spricht von der Leyen später auch bei einer Rede auf einer Konferenz an: "Wir drängen alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, unsere Anstrengungen für dauerhaften Frieden zu unterstützen", sagt sie da, ohne den Adressaten Indien zu nennen. Trotz solcher Streitpunkte ist diese Visite eine deutlich weniger angespannte Angelegenheit als der EU-China-Gipfel vor vier Wochen.

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Indiens Nachbarland und großer Rivale China weigert sich ebenfalls, gegen Russland vorzugehen. Nach dem Gespräch von der Leyens mit Pekings Regierungsspitze gab es keine gemeinsame Stellungnahme oder neue gemeinsame Projekte - diplomatischer Ausdruck der frostigen Beziehung. Bei Indien ist das anders: Von der Leyen und Modi vereinbaren die Gründung eines Handels- und Technologierats, zudem sollen die eingeschlafenen Gespräche über einen Handelsvertrag wieder aufgenommen werden. Für Indien sei die EU zwar längst der drittwichtigste Handelspartner, sagt von der Leyen: "Aber wir können so viel mehr machen; unser Handel liegt weit unter unseren Möglichkeiten."

Das Kalkül der EU lautet, die mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Demokratie der Welt enger an Europa zu binden - und damit auch den Einfluss Russlands zu schmälern. In ganz ähnlicher Mission war vorige Woche bereits der britische Premier Boris Johnson zu Besuch bei Modi. Indien ist bislang unter anderem bei Rüstungsgütern abhängig von Russland. Indiens Hersteller sollen aber künftig mehr selbst fertigen. Dafür benötigen sie westliche Partnerunternehmen, und die EU will hier gerne helfen.

Eine Überlegung: gemeinsame Standards, etwa für den Mobilfunk

Der neue Handels- und Technologierat wiederum soll Geschäfte in Technologiebranchen erleichtern. Zudem wollen sich Brüssel und Delhi dort beim Wettstreit um weltweite Standards abstimmen. Die EU und Indien seien "natürliche Partner", wenn es darum gehe, globale Technologiestandards zu setzen, sagt von der Leyen: "Wir teilen viele Werte", zum Beispiel, dass "Technologie individuelle Freiheit stärken soll und nicht die Fähigkeit des Staats, uns zu kontrollieren" - eine Spitze gegen Indiens Rivalen China.

Indien und die EU würden beide erkennen, dass es besser sei, Standards, etwa für die schnelle Mobilfunktechnik 5G, gemeinsam zu entwickeln anstatt jeweils eigene Lösungen zu verfolgen, ergänzt die Deutsche. Außerdem seien EU-Konzerne wichtige Kunden für Outsourcing-Anbieter in Indien. Gäbe es abgestimmte Datenschutz-Regeln in der EU und Indien, könnte dieses Geschäft noch wachsen - "mit immensen Vorteilen für europäische und indische Firmen", verspricht von der Leyen.

Bisher hat Indien mit keinem anderen Land oder Wirtschaftsblock einen solchen Handels- und Technologierat gegründet, um sich über diese Themen auszutauschen und abzustimmen. Die EU dagegen etablierte solch ein Gremium im vergangenen Jahr mit den USA. Fachleute beider Seiten treffen sich dort in verschiedenen Arbeitsgruppen. Wann der indisch-europäische Rat startet und welche Strukturen und Mitglieder er haben wird, ließen von der Leyen und Modi offen.

Fraglich ist auch, ob und welche Fortschritte bei Gesprächen über einen Handelsvertrag möglich sind, die im Juni wieder aufgenommen werden sollen. Indien ist beim Thema Freihandel traditionell skeptisch.

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