EU-Ausstieg:In den Brexit-Verhandlungen bahnt sich der erste Clinch an

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Big Ben in London spiegelt sich in einer Pfütze. (Foto: AFP)
  • May stellt eine Verbindung her zwischen dem britischen Anliegen, schnell ein umfassendes Handelsabkommen mit der EU zu schließen, und der Kooperation in der Sicherheit.
  • In Brüssel sieht man das als unerwünschten Kuhhandel. Auch die Regierungen reagieren gereizt auf Mays Ansinnen.
  • Die EU will außerdem zuerst über die Austrittsvereinbarung verhandeln. Erst danach soll es um die künftige Partnerschaft gehen.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der Mann aus der EU-Kommission lässt keinen Zweifel: "Es muss eine europäische Antwort geben auf Terrorismus und Cyberkriminalität." Beruflich widmet er sich dem Kampf gegen beide Übel, als EU-Kommissar verantwortet er den Aufbau einer Europäischen Sicherheitsunion. Seine Name ist Julian King. Staatsbürgerschaft: britisch. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat King im August - nach dem Brexit-Votum also - mit dem wichtigen Portfolio betraut. Es war ein Signal, dass die EU in Sicherheitsfragen auch künftig auf engste Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich baut. Bislang hatten die Briten wissen lassen, dass sie das ähnlich sehen. Seit Eintreffen des Brexit-Briefes von Premierministerin Theresa May ist man sich in Brüssel und anderen EU-Hauptstädten nicht mehr so sicher.

In ihrem Brief stellte May eine Verbindung her zwischen dem britischen Anliegen, schnell ein umfassendes Handelsabkommen mit der EU zu schließen, und der Kooperation in der Sicherheit. "Im Sicherheitsbereich würde das Scheitern einer Vereinbarung bedeuten, dass unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus geschwächt würde", schrieb sie. Genau diese Drohung war in Brüssel befürchtet worden, auch wenn man das in London ausdrücklich nicht als solche verstanden wissen will. Außenminister Boris Johnson rief eigens einflussreiche Europapolitiker wie den EU-Abgeordneten Elmar Brok an, um sie zu überzeugen, dass es um keine Erpressung gehe.

Dokumentation
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Mit diesem Schreiben an EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die britische Premierministerin den Brexit eingeleitet.

Im Entwurf für eine Brexit-Resolution des EU-Parlaments war schon vor Eintreffen des May-Briefs gewarnt worden, dass es keinen Kuhhandel geben könne zwischen "innerer und äußerer Sicherheit einschließlich der Verteidigungszusammenarbeit auf der einen Seite und den Wirtschaftsbeziehungen auf der anderen Seite".

Sicherheit und Handel - dürfen sie gegeneinander ausgespielt werden?

Auch die Regierungen reagieren gereizt auf Mays Ansinnen. "Es gehört sich nicht, Sicherheit und Handel gegeneinander auszuspielen", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der Süddeutschen Zeitung. "Mit weniger Zusammenarbeit schaden die Briten ihrer eigenen Sicherheit." Das ist der springende Punkt: Aus Sicht der Europäer haben die Briten in den Brexit-Verhandlungen keine Waffe, mit der sie sich selber nicht mindestens so sehr selbst verletzen würden wie die anderen. Das müsste eigentlich auch May so sehen. Als Innenministerin hatte sie stets betont, wie wichtig die Sicherheitskooperation sei. Trotz britischer Ausnahmeklauseln sorgte sie dafür, dass Großbritannien dabei blieb bei der EU-Polizeibehörde Europol oder beim europäischen Haftbefehl.

Gerade Europol ist nicht zuletzt ein britisches Projekt. Seit 2009 ist Rob Wainwright der Direktor, ein Brite. Noch im November hat die britische Regierung entschieden, eine neue EU-Verordnung zu billigen, die im Mai in Kraft tritt. Andernfalls hätte Großbritannien schon dann aus Europol aussteigen müssen. Zwar ist London ein besonders starker und für die anderen wertvoller Partner; im Kampf gegen Terror und grenzüberschreitende Kriminalität sind die Briten aber auf die Zusammenarbeit mit den anderen angewiesen. Speziell ist die Lage bei den Geheimdiensten. Die anderen sind auf Informationen aus London erpicht, doch hier läuft die Zusammenarbeit ohnehin zumeist nicht im EU-Rahmen, sondern zwischen den Staaten.

Auch militärisch ist ihre Stärke unbestritten, doch in der EU-Verteidigungspolitik waren die Briten ohnehin stets ein Bremser. Erst das Brexit-Votum hat Bewegung in das Projekt einer verstärkten militärischen Zusammenarbeit gebracht. Ein wirkliches Druckmittel ergibt sich also auch hier nicht. "Für die äußere Sicherheit ist vor allem die Nato zuständig", sagt Asselborn. "Und da bleiben die Briten Mitglied."

May versucht dennoch, die sicherheitspolitische Karte zu spielen, um wenigstens etwas in der Hand zu haben, wenn es um das für die Briten essenzielle Thema geht: die Wirtschaft. Im Grunde ist das Kräfteverhältnis klar. Gut 44 Prozent der britischen Exporte gehen in die EU, nur acht Prozent der EU-Ausfuhren nach Großbritannien. May ist auch bewusst, so schrieb sie es in ihrem Brief, dass "wir Einfluss auf die Regeln verlieren werden, die die europäische Wirtschaft beeinflussen". Sie wisse auch, dass die britischen Unternehmen sich an diese "anpassen" müssten. Bereits jetzt haben Firmen große Investitionen im Königreich wegen der unsicheren Lage auf Eis gelegt. Die Regierung in London hatte ihnen versichert, dass "wo immer es praktikabel ist, die gleichen Regeln auch nach dem Brexit gelten".

Großbritannien schlägt deshalb ein "ehrgeiziges Freihandelsabkommen" vor. Sollte dies nicht zustande kommen, würden die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gelten - also auch Zölle, die mit dem EU-Binnenmarkt einst abgeschafft wurden. Geht es nach dem Vereinigten Königreich, sollen die Beratungen über ein Handelsabkommen "so schnell wie möglich" beginnen. In ihrem Brief verweist May darauf, dass dies "detaillierte Gespräche" erfordere; aber da Großbritannien bereits EU-Mitglied sei, hätten beide Seiten "regulatorische Rahmenbedingungen und Standards, die bereits zusammenpassen". Die Briten dürften alles daran setzen, dass auf ihre Finanzindustrie so wenig Kosten wie möglich zukommen. Am besten natürlich gar keine. Das ist mit der EU aber nicht zu machen, denn am Ende darf der Deal für Großbritannien nicht günstiger zu haben sein als die EU-Mitgliedschaft.

Neben all den Begehrlichkeiten, die noch für Streit sorgen werden, ist ein erster Konflikt absehbar. Die EU will zuerst über die Austrittsvereinbarung verhandeln - inklusive der Frage, welche finanziellen Verpflichtungen Großbritannien zu erfüllen hat. Erst danach soll es um die künftige Partnerschaft, also auch die Wirtschaftsbeziehungen, gehen. In Mays Brief gibt es einen Satz, der in Brüssel die Hoffnung nährt, dass die Briten das genauso sehen könnten. "Wir glauben, dass es notwendig ist, die Bedingungen unserer künftigen Partnerschaft neben denjenigen unseres EU-Austritts zu vereinbaren", schrieb May. Das Wort, auf das es jetzt ankommt, heißt auf Englisch alongside. Das kann man natürlich so interpretieren, dass die beiden Verhandlungen nicht parallel ablaufen sollen. Andererseits könnte es auch bedeuten, dass Großbritannien sehr wohl von Anfang an über ein Handelsabkommen sprechen will - die Austrittsverhandlungen liefen dann quasi nebenher. Also gleichzeitig.

© SZ vom 31.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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