Migration:Innenministerin Faeser gerät in der Asylpolitik zwischen die Fronten

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Teils mit Holzbooten machen sich Flüchtlinge auf den Weg über das Mittelmeer. Die EU-Staaten streiten, wie sie mit ihnen umgehen sollen. (Foto: Joan Mateu/DPA)

Die EU-Staaten ringen bis zur letzten Minute um eine gemeinsame Asylpolitik. Die deutsche Regierung hat Mühe, ihre Position zu behaupten. Gelingt die Einigung am Donnerstag?

Von Markus Balser und Josef Kelnberger

Von einem "historischen Momentum" in der europäischen Asylpolitik hat die deutsche Innenministerin Nancy Faeser vor einigen Wochen gesprochen, der Begriff ist nun immer wieder zu hören in Brüssel: Momentum. Die Verhandlungen über gemeinsame Asylverfahren haben plötzlich Schwung aufgenommen. Denn Russlands Angriff auf die Ukraine hat den Mitgliedstaaten gezeigt, wie verletzlich sie sind, wenn sie nicht zu gemeinsamen Lösungen finden. Und die zuletzt wieder stark gestiegenen Flüchtlingszahlen erhöhen den Druck.

So intensiv wie noch nie zuvor beschäftigten sich die 27 Mitgliedstaaten mit dem Thema. Allein die Gesprächsatmosphäre wird von Beteiligten als historisch geschildert: Man suche wirklich nach Kompromissen. Das "Momentum" gebe es nach wie vor, sagte am Montag ein beteiligter EU-Diplomat. Aber offen blieb bis zuletzt, ob es reichen würde, um am Donnerstag in Luxemburg zu einem Beschluss der zuständigen Ministerinnen und Minister zu kommen. Scheitert das, wäre noch ein weiteres Sondertreffen in zwei Wochen denkbar.

Staaten an der EU-Außengrenze sollen mehr Verantwortung übernehmen

An diesem Mittwoch diskutieren zunächst die EU-Botschafter der 27 Mitgliedstaaten ein neuerliches Kompromisspapier, das die schwedische Ratspräsidentschaft erarbeitet hat. Die Materie ist hochkomplex, und um sie zu verstehen, muss man zwei Begriffe kennen: "Verantwortung" und "Solidarität". Die beiden sind untrennbar miteinander verknüpft.

Die Staaten an den Außengrenzen der EU sollen mehr Verantwortung übernehmen. Sie sollen grenznahe Asylzentren betreiben, dort alle irregulär ankommenden Migranten erfassen. Asylbewerber mit geringen Aussichten auf Erfolg sollen bis zur Bearbeitung ihres Asylantrags in den Asylzentren festgehalten und, falls der Antrag abgelehnt wird, von dort abgeschoben werden. Auch für alle anderen Asylverfahren bleiben im Prinzip die Staaten zuständig, in denen die Migranten europäischen Boden betreten haben. Die anderen Staaten sollen im Gegenzug Solidarität leisten und idealerweise nach einem festen Verteilungsschlüssel eine gewisse Zahl von Asylbewerbern übernehmen. Soweit die Theorie.

In der Praxis herrscht immer noch Misstrauen. Staaten wie Deutschland oder die Niederlande pochen darauf, dass Staaten wie Italien oder Griechenland ihren Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen, statt, wie jetzt üblich, Asylbewerber einfach weiter zu schicken. Die Mittelmeer-Anrainerstaaten fordern zum Beispiel eine "Kappungsgrenze", was heißt: In den Asylzentren würden die Asylverfahren nur bis zu einer bestimmten Zahl durchgeführt. Das stößt auf allgemeine Skepsis.

Die Mittelmeerstaaten wiederum fühlen sich allein gelassen. Nicht nur Polen und Ungarn, sondern auch etliche andere Staaten wollen keine Asylbewerber übernehmen. Wie in der EU üblich, versucht man das Problem mit Geld zu lösen. Für jeden trotz Verpflichtung nicht übernommenen Asylbewerber müsste eine Einmalzahlung geleistet werden, die Rede ist von 22 000 Euro. Auch darüber wird nun gestritten.

Die grüne Basis und Teile der SPD machen Druck auf die Bundesregierung

Damit es in den schwierigen Verhandlungen zu einer Lösung kommt, ist eine qualifizierte Mehrheit nötig. Zustimmen müssten am Donnerstag 55 Prozent der Mitgliedstaaten, und diese müssen 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Das sei möglich, aber nicht sicher, heißt es in Verhandlungskreisen.

Die deutsche Regierung gerät in den Gesprächen zunehmend unter Druck, und zwar von allen Seiten. Die von Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) festgelegte Verhandlungsposition sieht vor, dass Asylverfahren zumindest teilweise an die Außengrenzen der EU verlagert werden können. Allerdings will die Regierung aus humanitären Gründen mehrere Ausnahmen durchsetzen. So sollen unbegleitete Minderjährige und Familien mit Kindern keine derartigen Verfahren durchlaufen müssen. Doch laut Verhandlungskreisen wird es so gut wie unmöglich, eine Mehrheit für den Schutz von Familien zu bekommen. Lediglich Luxemburg und Portugal scheinen die Deutschen zu unterstützen. Besser stehen die Chancen, unbegleitete Minderjähre auszunehmen.

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Sollte Deutschland aber einem schwächeren Ergebnis zustimmen, droht heftiger innenpolitischer Streit. Grenzverfahren an der Außengrenze beförderten "haftähnliche Zustände", erschwerten "zivilgesellschaftliche und anwaltliche Unterstützung" und schränkten den Rechtsschutz ein, warnt ein offener Brief von 24 Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen. Unterzeichner wie der grüne Parlamentarier Kassem Taher Saleh signalisieren Widerstand im Bundestag, sollte Faeser zu wenig durchsetzen. "Unterm Strich muss es eine tatsächliche Verbesserung zur bestehenden Rechtslage geben, sonst ist die Änderung für mich nicht zustimmungsfähig."

Auch die grüne Basis macht Druck. "Abschottung und Abschreckung könnten der Preis für einen Solidaritätsmechanismus sein, der seinen Namen nicht verdient", heißt es in einem Brandbrief von 730 Mitgliedern. Die harte Linie der Regierung sei nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt, warnt Grüne-Jugend-Chef Timon Dzienus. Sie sorge sich um Menschenrechtsstandards, sagt Thüringens grüne Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich.

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