Mehrheit im Senat erobert, Kontrolle im Kongress gewonnen, viele Siege bei Gouverneurs-Wahlen: Auch zwei Tage nach den für sie so erfolgreichen Mid-Terms können viele Republikaner ihr Glück immer noch nicht fassen. Während ihre Spitzenpolitiker in Washington bereits mit Präsident Barack Obama über mögliche Kompromisse verhandeln ( mehr über Chancen und Hindernisse hier), demonstrieren die Konservativen in Anrufen bei Talkradio-Stationen und bei Twitter ihr Selbstbewusstsein und bejubeln die "rote Welle".
Während sich viele liberale Amerikaner noch von dem Schock erholen und nach Erklärungen suchen, findet ein anderer Aspekt des Republikaner-Erfolgs immer mehr Beachtung, der dazu führen könnte, dass Amerika auf Jahre hinaus noch konservativer wird. Denn die Grand Old Party gewann auch viele Sitze in den Parlamenten der US-Bundesstaaten. Abgesehen von Nebraska gibt es dort überall sowohl einen Senat wie ein Repräsentantenhaus und die Republikaner kontrollieren nun in 29 der 50 Staaten beide Kammern. Im ganzen Land sind es mindestens 66 der 99 Kammern. Die Demokraten stellen nur noch in sieben Staaten die Mehrheit (sowie den Gouverneur) - das ist der niedrigste Wert seit Ende des Bürgerkriegs 1865.
Auf Vox.com hat Libby Nelson sehr genau aufgeschlüsselt, wieso dies wirklich "eine große Sache" ist. Weil dank der Polarisierung und des vergifteten Klimas in Washington politischer Stillstand herrscht, werden viele politische Weichen in den 50 Staaten gestellt. Mit ihren Mehrheiten können die Republikaner nun ihre Wertvorstellungen unter anderem in diesen Bereichen umsetzen:
- wie viel Geld für Schulen und Bildungseinrichtungen ausgegeben wird
- wer Waffen tragen darf (etwa in Schulen und Kirchen)
- unter welchen Umständen Abtreibung erlaubt ist, und welche Voraussetzungen Abtreibungskliniken erfüllen müssen (In Mississippi wurde ein Gesetz beschlossen, dass die einzige Abtreibungsklinik zur Schließung zwingen würde)
- wie Strafen für bestimmte Verbrechen umgesetzt werden
- wie sich die Bürger als Wähler registrieren lassen können (Dieser SZ.de-Artikel zählt Beispiele auf, wie Republikaner versuchen, Schwarze, Studenten und Latinos vom Wählen abzuhalten)
- wo Alkohol verkauft werden darf
- wie hoch bestimmte Steuern sein sollen (So erheben etwa Texas, Florida, Wyoming, South Dakota keine Einkommensteuer)
- wie streng - oder locker - Umweltauflagen für Unternehmen sein müssen
Ein Beispiel zeigt den Einfluss der Regionalparlamente besonders deutlich: Im Rahmen der Gesundheitsreform Obamacare stimmten 23 Bundesstaaten dagegen, die staatliche Krankenversicherung Medicaid auszuweiten, obwohl Washington 95 Prozent der Kosten übernommen hätte. Wegen dieser politisch motivierten Entscheidungen sind heute 4,5 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert, obwohl sie das Recht dazu hätten.
Lobby-Organisation formuliert Gesetze vor
Die vielen Wahlerfolge der Republikaner in den state legislatures basieren auf einer guten Planung, die finanziell auch von Gruppen wie der US-Handelskammer oder Americans for Prosperity (gegründet von den Koch-Brüdern) unterstützt wird. Zahlreiche Gesetze, die in mehreren US-Staaten etwa für lockere Umweltauflagen oder strengere Abtreibungsregeln eingereicht werden, gleichen sich mitunter aufs Wort. Sie werden aus Vorlagen übernommen, die von Juristen des American Legislative Exchange Council (Alec) formuliert werden. (Details bei NPR und beim Guardian)
Diese Organisation hat etwa die umstrittene "Stand your Ground"-Regel entwickelt, die Bürgern in 26 Staaten erlaubt, ihre Waffen im Falle einer gefühlten Bedrohung zu nutzen, ohne bestraft zu werden. Diese absurde Selbstverteidigungs-Regel wurde erst durch den Tod des 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin in Florida landesweit bekannt ( Hintergründe hier). Seit 2010 haben republikanisch kontrollierte Parlamente 205 Gesetze verabschiedet, die das Recht auf Abtreibung einschränken - im gesamten Jahrzehnt zuvor waren es weniger.
Als Folge der konservativen Dominanz können die Demokraten nicht nur ihre Themen wie Homo-Ehe, Marihuana-Legalisierung oder strengere Waffengesetze in den Regionalparlamenten schlechter durchsetzen. Mittelfristig gibt es noch ein weiteres Problem: Einer offiziellen Regierungsstudie zufolge, aus der Vox.com zitiert, begannen mehr als die Hälfte der bisherigen Kongress-Mitglieder in den state legislatures - das gilt auch für Barack Obama. Je weniger Abgeordnete die Demokraten auf Staatsebene haben und über je weniger Macht diese verfügen, desto schwieriger wird es für diese, sich zu profilieren und eine bundesweite Karriere zu starten.
Dass die "rote Welle" auch die Parlamente der US-Bundesstaaten erfasst hat, dürfte die Polit-Experten in Washington nicht überrascht haben. Doch auch die Öffentlichkeit hätte es wissen können - wenn sie zwei Tage vor der Kongresswahl die HBO-Show des britischen Satirikers John Oliver geschaut hätte. Oliver beschrieb dort - natürlich überspitzt, aber faktisch völlig korrekt - den Einfluss der Regionalparlamente und welche Folgen das Desinteresse der amerikanischen Bürger haben könnte. Die Warnung wurde nicht beachtet. Aber jeder, der sich für US-Politik interessiert, sollte sich den Videoclip anschauen.
Linktipps:
- Der wichtige Einfluss der state legislatures wird mit vielen Grafiken bei Vox.com vorgestellt.
- Ein interessantes Porträt über Kris Kobach, einen der wichtigsten Köpfe hinter der einflussreichen Alec-Organisation, erschien in der New York Times.