Preisbremse für Gas und Strom:Wie die Bundesregierung die Bürger entlasten möchte

Lesezeit: 5 min

Ein Zähler für den Verbrauch einer Gastherme (Foto: Imago)

Wie kommt Deutschland angesichts drohender Engpässe bei der Erdgasversorgung und massiv gestiegener Preise über den Winter? Die Bundesregierung will helfen - und gleichzeitig zum Sparen von Strom und Gas animieren.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Wer wollte es den Menschen verübeln, dass sie den Sommer im Herbst noch einmal in vollen Zügen genießen. Die Straßencafés sind gut gefüllt, die Vögel zwitschern, der Rasen im heimischen Garten sprießt, obwohl der Mäher längst eingemottet ist. Doch schon diese Woche soll es kühler werden, und mit jedem Grad, um das die Quecksilbersäule auf dem Thermometer sinkt, rückt ein Problem zurück ins Bewusstsein, das die nächsten Monate prägen wird: Wie kommt Deutschland angesichts drohender Engpässe bei der Erdgasversorgung und massiv gestiegener Preise über den Winter?

Die Bundesregierung ist dabei, Antworten auf diese Frage zu formulieren. An diesem Mittwoch will das Kabinett die ersten gesetzgeberischen Schritte zur Einführung einer Gas- und einer Strompreisbremse beschließen. Dabei orientiert sich die Koalition an den Empfehlungen der "Unabhängigen ExpertInnenkommission Gas und Wärme", die am Montag ihren Abschlussbericht an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) überreicht hatte. Fazit des 34-Seiten-Katalogs: Staatshilfen sind wichtig, um die Belastungen für Bürger und Betriebe im Rahmen zu halten, Staatshilfen allein aber werden das Problem nicht lösen. Vielmehr wollen die Fachleute auch die Privathaushalte in die Pflicht nehmen, die ihren jeweiligen Verbrauch um mindestens 20 Prozent reduzieren sollen. "Einsparen ist die sinnvollste Energiequelle", heißt es in dem Bericht, an dem zwei Dutzend Vertreter von Wissenschaft und Verbänden mitgewirkt hatten.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Weil für die Einführung einer Gaspreisbremse einige Monate Vorlauf nötig sind, will der Staat den Bürgern in einem ersten Schritt noch in diesem Jahr eine Abschlagszahlung an den Gasversorger abnehmen. Nach Angaben aus Regierungskreisen können Eigenheimbesitzer die Zahlung für Dezember einbehalten, Gleiches gilt für Mieter, deren Abschlag vom Hauseigentümer bereits deutlich erhöht wurde. Mieter, die derzeit noch eine alte, günstigere Vorauszahlung leisten, erhalten rund um den Jahreswechsel eine Gutschrift auf ihr Betriebskonto.

Vorgesehen ist ein Basiskontingent mit Deckel bei 40 Cent je Kilowattstunde

Bereits zum 1. Januar soll die geplante Strompreisbremse hinzukommen, deren Details derzeit noch ausgearbeitet werden. Vorgesehen ist eine Art Basiskontingent, bei dem der Preis bei 40 Cent je Kilowattstunde gedeckelt ist. Die Differenz zum tatsächlich geltenden Großhandelspreis übernimmt dann der Bund. Der Deckel liegt damit deutlich über dem Preis, den viele Stromkunden bisher zahlen. Zudem sollen nur 80 Prozent des bisher üblichen Verbrauchs subventioniert werden, für jede darüber hinausgehende Kilowattstunde muss der Endkunde den normalen Marktpreis zahlen. Damit erhält er einen Anreiz, möglichst nicht mehr als die kontingentierte Menge zu verbrauchen und mindestens 20 Prozent einzusparen. Die Stromkosten der Unternehmen sollen für 70 Prozent des bisherigen Verbrauchs bei 13 Cent je Kilowattstunde gedeckelt werden.

Die Kosten des Stromrabatts könnten sich bis April 2024 auf rund 60 Milliarden Euro summieren. Etwa die Hälfte davon soll durch das Abschöpfen von "Zufallsgewinnen" wieder hereinkommen, die etwa Wind- und Solarstromanbieter mit vergleichsweise niedrigen Produktionskosten derzeit erzielen. Insgesamt stehen für die Finanzierung der Gas- und der Strompreisbremse, die Unterstützung von Firmen sowie die Liquiditätssicherung bei Gasimporteuren 200 Milliarden Euro zur Verfügung.

Die eigentliche Gaspreisbremse soll vom 1. März 2023 an wirken

Am 1. März soll dann die eigentliche Gaspreisbremse eingeführt werden, die falls möglich aber rückwirkend zum 1. Februar gelten soll, wie aus Regierungskreisen zu erfahren war. Auch soll dafür ein Basiskontingent von 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs gelten. Der subventionierte Preis liegt hier bei zwölf Cent je Kilowattstunde, bei Fernwärme sollen es 9,5 Cent sein. Für Besitzer von Öl- oder Pelletheizungen wird noch eine Lösung gesucht. Um zu verhindern, dass ausgerechnet Villenbesitzer mit beheizbarem Pool besonders hohe Subventionen erhalten, müssen Besserverdiener den Staatsrabatt als geldwerten Vorteil versteuern. Dies gilt für Bürgerinnen und Bürger ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 75 000 Euro. Bei Paaren, die gemeinschaftliche veranlagt werden, liegt die Schwelle entsprechend bei 150 000 Euro.

Für die rund 25 000 Großunternehmen mit besonders hohem Verbrauch schlägt die Kommission eine eigene Preisbremse vor, die dafür sorgt, dass die Firmen gegenüber Wettbewerbern mit deutlich niedrigeren Energiekosten - etwa in den USA - nicht völlig ins Hintertreffen geraten. Die Unternehmen sollen ein Lieferkontingent von 70 Prozent mit einem Preis von sieben Cent je Kilowattstunde erhalten. Umstritten ist allerdings noch, ob es den Firmen erlaubt werden soll, nicht benötigtes Gas weiterzuverkaufen. Die Kommissionsmitglieder hatten sich mehrheitlich für die Idee ausgesprochen, weil damit ein weiterer Sparanreiz gesetzt würde. Kritiker warnen hingegen, für viele Firmen könnte es finanziell attraktiver sein, die Produktion massiv einzuschränken oder gar aufzugeben und stattdessen ihr Gaskontingent mit hohem Gewinn zu veräußern. Das Ergebnis wären staatlich subventionierte Betriebsschließungen und höhere Arbeitslosigkeit.

SZ PlusEnergie
:So spart man Hunderte Euro bei Strom und Gas

Irgendwann wird sie kommen, die Nebenkostenabrechnung. Und sie wird hoch ausfallen, sehr hoch. Doch viele Menschen können in ihrem Alltag noch viel Energie sparen - und damit Kosten. 25 Tipps.

Von Elisa von Grafenstein, Julian Hosse, Andreas Jalsovec, Dominik Wierl und Paulina Würminghausen

Alle Preisdeckel werden jedoch bei der Bewältigung der Krise nicht helfen, wenn nicht zugleich massiv Gas eingespart wird. Vor allem manch besonders energieintensiven Betrieben ist es bereits gelungen, ihre eingesetzte Gasmenge um 20, gelegentlich sogar 30 Prozent zu reduzieren. Möglich wurde das unter anderem, weil Gas in der Vergangenheit so billig war, dass es teilweise regelrecht verschleudert wurde. Bei den privaten Haushalten hingegen halten sich die Sparbemühungen bisher in Grenzen.

Anzeigekampagnen, Energieberater und Geldgeschenke

Deshalb will die Kommission hier mit einem Mix aus Anreizen, Überzeugungsarbeit und Drängeln nachhelfen. So schlagen die Fachleute unter anderem vor, die Bürgerinnen und Bürger mithilfe groß angelegter Anzeigenkampagnen und der Veröffentlichung von Sparerfolgen zu einer Reduzierung des Gas- und Fernwärmeverbrauchs zu motivieren. Hinzukommen könnten Energieberater, die die Menschen "emotional ansprechend" informieren, eine App, die Gaskunden warnt, wenn der Verbrauch steigt, und Geldgeschenke für jeden, der das 20-Prozent-Ziel übertrifft. Darüber hinaus soll der ökologische Umbau der Industrie, der Bauwirtschaft und aller anderen gesellschaftlichen Bereiche durch neue Heizungs- und Steuerungstechnologien sowie eine bessere Gebäudedämmung massiv beschleunigt werden.

Um zu verhindern, dass die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich zu den immens gestiegenen Energiepreisen auch noch höhere Steuern zahlen müssen, will sich das Kabinett außerdem mit dem jüngsten Steuerprogressionsbericht befassen. Der Expertise zufolge kämen 2023 und 2024 allein aufgrund der deutlich gestiegenen Preise und Löhne Steuermehrbelastungen in Höhe von insgesamt 45,1 Milliarden Euro auf die Menschen zu, obwohl die Kaufkraft vieler Betroffener nicht etwa gestiegen, sondern sogar gesunken ist. Finanzminister Lindner hatte jedoch mehrfach betont, dass er kein Krisengewinnler sein wolle und die inflationsbedingten Mehreinnahmen deshalb vollständig an die Einkommensteuerzahler zurückgeben werde.

Erreicht werden soll das, indem alle Eckwerte des Einkommensteuertarifs deutlich nach rechts verschoben werden. Der Grundfreibetrag soll von 10 347 in diesem auf 10 908 im nächsten und 11 604 im übernächsten Jahr steigen, der Kinderfreibetrag erhöht sich in ähnlicher Größenordnung. Eine Familie mit zwei Kindern muss deshalb im kommenden Jahr erst dann überhaupt Einkommensteuer zahlen, wenn ihr Jahreseinkommen mehr als 33 864 Euro beträgt. Der nächste hinzuverdiente Euro wird dann mit dem Eingangssteuersatz von 14 Prozent belastet.

Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent, der derzeit oberhalb von 58 597 Euro greift, soll 2023 erst oberhalb von 62 826 Euro und 2024 ab 66 778 Euro fällig werden. Die Regelungen zum "Reichensteuersatz" bleiben hingegen unverändert. Damit trage man dem Umstand Rechnung, dass die hohe Inflation Spitzenverdienern weit weniger zusetze als Menschen mit geringem oder durchschnittlichem Einkommen, hieß es in Ministeriumskreisen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusEnergiekrise
:Als es nicht alles im Überfluss gab

Wer wüsste besser, wie man Energie spart, als Menschen mit 80 oder 85? Von Winfried Kretschmanns Katzenwäsche halten sie nichts - aber sie haben andere Tipps.

Von Julia Schriever

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: